Das Licht der Weisheit in Graz

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Interreligiöses und internationales Flair in Graz bei der Vorbereitung auf das Projekt "Interreligiöses Europa" 2003: Ein furche-Bericht.

Selten geschieht es, dass Politiker das Licht der Weisheit in Händen halten. In Graz ist es geschehen. Dort überreichte vergangenen Freitag Jehangir Sarosh, Präsident von WCRP/Europa (World Conference of Religion and Peace), dem Grazer Bürgermeister, Alfred Stingl, das "Licht der Weisheit": eine Kerze. "Licht der Weisheit" - das sei in seiner Religion außerdem eine Bezeichnung für Gott, fügte Sarosh, ein Angehöriger des Zoroastrismus, einer über 3000 Jahre alten Religion aus dem Iran, hinzu. Wie kommt das Licht der Weisheit - oder Gott - nach Graz?

Zusammengeführt hat Sarosh und Stingl das Projekt "Interreligiöses Europa". Interkulturelle und interreligiöse Begegnung und Zusammenarbeit, so lautet sein hochgestecktes Ziel. Hintergrund des Projekts: Wenn Graz sich im Jahr 2003 als Kulturhauptstadt Europas präsentiert, so sollen auch die Religionen vertreten sein.

"Schließlich geht es im kommenden Jahr nicht nur um tolle Theateraufführungen, um Architektur, Film und Kultur, sondern auch um geistige Grundlagen und Werte", betonte Stingl bei einem gemeinsamen Abendessen mit den Vertretern von WCRP/Europa.

Die Konferenz zum Projekt, zu der die Städte Graz und Sarajevo gemeinsam einladen, wird vom 5. bis 9. Juli 2003 in Graz stattfinden. Hier soll es vorrangig um das Ziel gehen, den interreligiösen Dialog mit gesellschaftspolitischen Fragen des Zusammenlebens in den Städten zu verknüpfen. Vier Themenbereiche stehen auf der Tagesordnung:

* Erziehung - Bildung - Kultur: Wie können Erziehung und Bildungssystem ihren Beitrag zu einem besseren Verständnis von Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen leisten?

* Identitäten - Riten - Symbole - Öffentlichkeit: Wie lernen die Bürger europäischer Städte, ihre verschiedenen Traditionen und Lebensgewohnheiten im Alltag zu respektieren?

* Medien - Sprache -Information: Inwiefern prägen die Medien mit ihrer Berichterstattung und Sprache das Zusammenleben der Kulturen und Religionen in den Städten Europas?

* Stadt - Staat - internationale Gemeinschaft: Wie kann die Kooperation von Religionsgemeinschaften mit städtischen, nationalen und europäischen Institutionen gefördert werden?

Respekt voreinander

Diese Fragen sollen überall dort in Graz diskutiert werden, wo Menschen verschiedener Nationen, Religionen und Weltanschauungen zusammenkommen: In Kindergärten, Schulen und Orten der Erwachsenenbildung; in Behörden, Friedhöfen und Gotteshäusern. Stolz macht Bürgermeister Alfred Stingl darauf aufmerksam, dass Graz mit seinen rund 30.000 Menschen aus 150 Staaten der Erde die erste Kulturhauptstadt in Europa sei, die einen Schwerpunkt auf den interreligiösen Dialog setze. "In dieser kleinen Welt Graz trifft sich die größere Welt im Respekt voreinander", so das Stadtoberhaupt.

Die größere Welt hat bereits ihre Vorhut nach Graz geschickt - verkörpert durch die WCRP/Europa-Vertreter: Aus Großbritannien kommen der zoroastrische Präsident des WCRP/Europa, Jehangir Sarosh, und der muslimische Imam, Abduljalil Sajid. Aus Bosnien-Herzegowina ist Generalvikar Mato Zovki´c angereist, aus Deutschland der Theologe Günther Gebhardt. Gebhardt wird als Vertreter der Stiftung Weltethos von Hans Küng das Projekt "Interreligiöses Europa" wissenschaftlich begleiten.

Aus Italien kommt die jüdische Vizepräsidentin Lisa Palmieri-Billig, die in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium ein internationales Medien-Projekt plant. "Wir möchten die Pressevertreter aller wichtigen europäischen Medien einladen, gemeinsam mit Vertretern der Religionen die Berichterstattung über religiöse Konflikte zu analysieren", verrät sie exklusiv der furche. "Journalisten tragen durch mangelndes Wissen und einseitige Darstellung Mitverantwortung an der Verschärfung von religiösen Konflikten. Wir brauchen permanente Strukturen von Austausch und Information, um das zu verhindern."

Was Palmieri-Billig mit allen Mitglieder der WCRP verbindet, ist der Traum von einem friedlichen Zusammenlebens aller Religionen dieser Welt. Imam Sajid bringt es - stellvertretend für alle anderen - auf den Punkt: "Ich will die Welt verändern", erklärt er ohne Umschweife. "Das ist meine Berufung, meine Aufgabe, meine Vision!"

1970 hat diese gemeinsame Vision vieler religiöser Menschen Gestalt angenommen. Im japanischen Kyoto versammelten sich mehr als 1000 Vertreter der Religionen aller Kontinente. Die "World Conference on Religion and Peace" war geboren. Heute ist sie die größte internationale Organisation für eine Zusammenarbeit aller Religionen auf dem Weg zum Frieden.

Der Terror des 11. Septembers hat daran nichts geändert - im Gegenteil. "Seit dem 11. September sind wir und unsere Arbeit sehr geschätzt", zieht Präsident Sarosh ein Resümee. "Es gibt eine unglaubliche Nachfrage nach Wissen über Glauben und Kultur des Islam."

Auch der Vertreter von WCRP/Frankreich, Bernard Reber, bestätigt für sein Land die gestiegene Nachfrage nach interreligiösem Dialog: "Nach dem 11. September war es sehr einfach, Politiker für Diskussionsveranstaltungen mit Muslimen zu gewinnen." Kopfzerbrechen bereitet Reber allerdings die momentan sehr angespannte Situation zwischen Juden und Muslimen in Frankreich.

"Schon die Formel 'im Namen Gottes' kann eine gemeinsame Erklärung zum Scheitern bringen, weil von jüdischer Seite der Vorwurf der Vereinnahmung des Gottesnamens kommt." Wenn es im Palästina-Konflikt um das Land gehe, das Juden in aller Welt als Zufluchtsort betrachten, würden auch Juden, die sich sonst gar nicht als gläubig bezeichnen, zu unerbittlichen Gegnern der Muslime, berichtet Reber. So sei eine interreligiöse Wallfahrt zu einer Synagoge in Paris an jüdischen Extremisten gescheitert, die jeden Dialog verhindern wollten.

Dialogverhinderer

Sein Kollege, Imam Sajid, kämpft ebenfalls mit Dialogverhinderern - aber auf muslimischer Seite. Der aus Pakistan stammende Vizepräsident des WCRP/England ist in der islamischen Welt eine Stimme, die auch die palästinensischen Hamas-Führer nicht völlig überhören können. "Ihr bringt den gesamten Islam in Verruf, habe ich zu ihnen gesagt", berichtet Sajid im Exklusiv-Gespräch mit der furche. "Dieser Terror ist nicht der Wille des Propheten! Ihr könnt Euch auf keine Koranstelle berufen, die so etwas vorschreibt. Macht endlich Schluss mit diesem Kreislauf der Gewalt!" Allerdings - die Hamas-Führer blieben unbeeindruckt. Trotz solcher Rückschläge gibt Sajid nicht auf. "Ich werde weiterhin schreiben und überall sagen, dass Vergebung der erste Schritt sein muss."

Deutliche Worte findet Sajid auch, wenn er nach der Wurzel des islamischen Fundamentalismus gefragt wird: "Die Ursache ist das westliche Unverständnis. Die Vertreter des Westens sind arrogant und dominant. Sie glauben, dass sich die ganze Welt nach ihren Vorstellungen richten müsste. Auf der anderen Seite stehen die Mullahs und Imame. Sie sind engstirnig und lehnen jede Einmischung der westlichen Welt ab." Der Terroranschlag vom 11. September hat Sajid zwar erschüttert, aber nicht erstaunt. "59 der muslimischen Länder werden vom amerikanischen Geheimdienst CIA dominiert. Der Westen, allen voran die USA, enthält muslimischen Ländern das Recht auf Demokratie vor, damit er seine Propaganda gegen den Islam aufrechterhalten kann. Sehen Sie sich doch nur die Schaufenster der Buchläden an! Überall Bücher mit bärtigen Mullahs auf dem Cover - Mullahs mit Waffen in den Händen!"

Respekt für das Recht

Statt des gefürchteten "clash of civilizations" fordert der Imam energisch, endlich die Vielfalt der Kulturen und Religionen zu akzeptieren. Das beinhalte auch das Recht einer jeden Gesellschaft, ihre eigene Rechtssprechung selbst gestalten dürfen, sagt der muslimische Richter am Muslim Familiy Court in Brighton. "Wir müssen respektieren, dass in einem Land wie Saudi-Arabien Diebstahl mit Handabhacken bestraft wird, wie es der Koran vorschreibt. Für uns Europäer mag das fremd und barbarisch sein, und nicht alle muslimischen Länder haben diese Auslegung des Koran. Aber wenn ein Volk damit einverstanden ist, dann ist das okay. Dafür können die Leute in Saudi-Arabien ihre Geschäfte offen stehen lassen. In Graz wäre das sicherlich unmöglich!"

Dass Imam Sajid gegenüber den eigenen Glaubensgenossen äußerst energisch werden kann, beweist der Besuch eines Imam aus Bangladesch in seiner Moschee. Nach dem Gebet kritisierte der Gast das Verhalten der muslimischen Gläubigen in Großbritannien als nicht-islamisch: "Da habe ich ihm das Buch eines Gelehrten gezeigt, der vor 800 Jahren 32 Arten des Gebets beschrieb und sie alle schlüssig auf die Autorität des Propheten zurückführen konnte. Und ich habe zu dem Imam aus Bangladesch gesagt: Wer zum Teufel bist Du denn, dass Du so ganz genau weißt, dass es nur diese eine Art des Gebets gibt, die Du kennst?"

Solch harsche Predigt von Imam zu Imam zeigte Wirkung. Der Imam aus Bangladesch entschuldigte sich am nächsten Morgen bei den Gläubigen.

Sajid glaubt an die Überzeugungskraft von Gespräch und vernünftiger Argumentation. Mit diesen Waffen kämpft er für ein friedliches Zusammenleben der Religionen in der Welt. "Natürlich müssen sich die Muslime ändern. Aber der Westen ganz genauso! Die Zukunft unserer Welt hängt davon ab, dass wir endlich lernen, die Unterschiede zwischen Religionen und Kulturen als Reichtum zu begreifen, nicht als Bedrohung!"

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