Das Narrativ der Befreiung

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"Österreich ist frei!" Nicht nur vor 60 Jahren waren diese Worte gültig. Sie benennen einen Urgrund der Identität dieses Landes, aber auch den Auftrag für die Zukunft.

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"Österreich ist frei!" Nicht nur vor 60 Jahren waren diese Worte gültig. Sie benennen einen Urgrund der Identität dieses Landes, aber auch den Auftrag für die Zukunft.

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Nun also der 15. Mai: Der 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Staatsvertrags stellt den Höhepunkt und wohl auch Abschluss der Staatsjubiläen dar (nimmt man das, was rund um den 25./26. Oktober, also die Jahrestage des Abzugs der Besatzungstruppen sowie des Neutralitätsgesetzes, noch sein wird, aus). Das Volk, das kommen wollte, war am 8. Mai beim "Fest der Freude" auf dem Wiener Heldenplatz und lauschte - unter anderem -den Klängen von Beethovens Neunter.

Einen richtigen, wenn auch immer noch zaghaften Versuch stellt dieses Fest dar, um mit der bis vor Kurzem allgemeinen Zögerlichkeit etwas zu feiern, was in viel zu vielen Köpfen immer noch als "Niederlage" herumspukt. Dabei gilt es, den Beginn einer Erfolgsgeschichte zu begehen, die auf den Trümmern und Totenfeldern des Krieges und den Leichenbergen der Vernichtungslager erbaut wurde. Auch wenn die derzeitige politische wie gesellschaftliche Krisenzeit keineswegs wegzudiskutieren ist, verstellen die Mühen der Ebene doch den Blick auf die historisch einmaligen zivilen Errungenschaften, die aus der notwendigen militärischen Niederlage von 1945 erwuchsen.

Wo längst verheilte Wunden erneut geleckt werden

Dass der politische Defätismus trotz dieser Geschichte immer noch unfröhliche Urständ feiert, zeigt ein Blick in manch rechte Publikation. Die Wochenschrift Zur Zeit etwa, Theorieorgan des allzu rechten Geistes, wollte bis zuletzt immer noch nicht loslassen, längst verheilte Wunden zu lecken: "Berlin, 1945: Heute wird vom linken Zeitgeist die damalige Niederlage im Zweiten Weltkrieg in ein positives Licht gerückt" konnte man da Ende April zur Einbegleitung der Cover-Story lesen.

Dortfindet man auch den Historiker Lothar Höbelt, der an der Uni Wien den heimischen akademischen Nachwuchs in Zeitgeschichte ausbildet, als Kriegsschuld-Leugner wieder mit Sätzen wie: "Kriege zu führen ist das selbstverständliche Recht souveräner Staaten." Leider ist das alles immer noch (oder: schon wieder) salonfähig. Und allen, die den Straches im Land ihre Stimmen geben wollen, sei ins Stammbuch geschrieben: Dieser Geist wird dann unter Garantie wieder aus der Flasche gelassen, in die er unter einigen Mühen gesperrt wurde.

Der Untergang 1945 war eine Befreiung

Dennoch sollte derlei Aussicht wie auch die Unterstellung "linker" Zeitgeistigkeit keineswegs zu einem moralischen Defätismus führen, der an der Verfestigung des Narrativs zweifelt, auf das sich dieses Land in immer wieder zu kleinen Schritten, aber doch sicher (siehe eben das Fest der Freude ) verständigen kann: Ja, der Untergang 1945 war eine Befreiung -trotz allem, was an Unmenschlichkeit und Leid auch nach 1945 gefolgt ist, von den Erfahrungen mit der Roten Armee als Besatzungsmacht bis zu den Vertreibungen, die nicht zuletzt auch hierzulande das Elend noch lange Zeit vergrößert haben. Zu diesem Narrativ der Befreiung gehört auch ein ganz selbstverständlicher Blick auf die Entwicklungen und Taten, die zur Katastrophe von 1945 geführt haben, und das Bekenntnis zur historischen Verantwortung, die daraus erwächst. Das ist ein politischer Auftrag, der bis in die unmittelbare Gegenwart hinein wirkt. Und immer neu und beständig zu buchstabieren bleibt.

Ja, es gibt viel zu feiern: 70 Jahre Frieden in diesem Land und 60 Jahre Freiheit. Das ist -ein Blick in die Geschichte wie in die Welt ringsum zeigt dies überdeutlich -alles andere als selbstverständlich. Und fragiler, als der satte Zeitgenosse es gerne hätte.

Hinzuzufügen bleibt, dass dies eine österreichische wie eine europäische Dimension hat: Denn auch das niedergescholtene und zerraunzte Projekt Europa ist eine Auferstehungsgeschichte aus den Ruinen, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat. Es wäre die größte anzunehmende politische, aber auch historische Dummheit, sich dieses Erfolgs zu begeben.

otto.friedrich@furche.at |

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