Das neue Gewand des Antisemitismus

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"Der Antisemitismus hat sich rehabilitiert und globalisiert. Seine Vitalität ist ungebrochen, auch in Österreich“, so der Befund des Wiener Publizistik-Professors Maximilian Gottschlich.

Es ist ein altes, böses Spiel in einer neuen Variante: Oftmals sei die Behauptung zu hören, "Es ist kein Wunder, dass man etwas gegen die Israelis hat. Mit ihrer Palästinenser-Politik sind sie auch nicht besser als die Nazis.“ Eine derartige Aussage sei bloß die jüngere Version der Unterstellung, "Kein Wunder, dass man etwas gegen die Juden hat. Sie haben überall ihre Finger im Spiel, wo es um ihren Vorteil geht.“ Maximilian Gottschlich entlarvt solche Vorurteile: Hinter der Maske legitimer antizionistischer Israel-Kritik verberge sich der neue Antisemitismus mit dem alten Ziel, den Juden das Existenzrecht abzuerkennen.

In seiner jüngsten Publikation "Die große Abneigung“ skizziert Gottschlich die Entwicklung des österreichischen Antisemitismus der Nachkriegszeit vom kollektiven "Opfer-Mythos“ über den Konflikt zwischen Bruno Kreisky und Simon Wiesenthal 1970 und die Affäre um Bundespräsident Kurt Waldheim ab 1986 bis hin zur Schuldprojektion - und deren Umkehr im Zuge des Nahostkonfliktes. Insbesondere geht der Kommunikationswissenschafter der Frage nach, welchen Weg der öffentliche und veröffentlichte Antisemitismus in Österreich seit der Waldheim-Affäre genommen hat.

Umfragen belegen Antisemitismus

"Der Antisemitismus ist ein Charakteristikum des Österreichers“, meinte Sozialpsychologe Erwin Ringel einst lapidar. Heute glaubt jeder zweite Österreicher, dass "die Juden die internationale Geschäftswelt beherrschen“, jeder fünfte wünscht sich Politiker, "die ihre Stimme gegen den jüdischen Einfluss im Land erheben.“ Mehr als ein Zehntel meint, "es wäre besser, keine Juden im Land zu haben.“ Zwei Drittel der Österreicher halten Israel für gefährlicher als den Iran oder Nordkorea und somit für den Weltfriedensstörer Nummer eins - der europäische Durchschnitt liegt zehn Prozent darunter. Diese von Gottschlich zitierten Zahlen über die antisemitische Einstellung der österreichischen Bevölkerung 2010/11 basieren auf empirischen Befunden aus der Meinungs- und Medienforschung. Durch den Vergleich zu einer 1986 von Gallup durchgeführten Studie zeigt er, wie sich das antisemitische Meinungsklima in den vergangenen 25 Jahren verändert hat.

Gottschlichs Fazit: Die Semantik des alten Antisemitismus - Diffamierung jüdischer Personen, Schüren antijüdischer Ängste, relativierender Umgang mit dem Holocaust und dem Gedenken daran - ist inzwischen medial geächtet. Doch in den Medien werde nicht selten der schmale Grat zwischen legitimer Israel-Kritik und antisemitischen Ressentiments überschritten, so sein diskursanalytischer Befund. Dennoch müsse es möglich sein, Israel-Kritik zu äußern, zitiert er die jüdisch-amerikanische Poststrukturalistin und Feministin Judith Butler.

Die österreichische Gesellschaft jedenfalls habe "eine ausgeprägte Immunschwäche, eine verminderte Widerstandskraft gegen die allgegenwärtige antisemitische Versuchung“, sowohl in der nicht-öffentlichen wie in der öffentlich-politischen Sphäre. Die derzeitige Wirtschaftskrise etwa stelle eine solche "antisemitische Versuchung“ dar: 43 Prozent der Österreicher bejahen das antisemitische Vorurteil, die Juden wären an der Wirtschaftskrise Schuld. Sie nehmen damit nach den Ungarn (46 Prozent) den europaweit zweiten Platz ein.

Als Ursachen für den hiesigen Antisemitismus nennt Gottschlich die bekannten Schwierigkeiten im Umgang mit dem nationalsozialistischen Erbe: Der Opfer-Mythos als tragender Teil des Gründungsmythos der Zweiten Republik verhalf der "österreichischen Seele“ zur Psychokatharsis, indem er eine antisemitische Strategie der Schuldabwehr und -umkehr verfolgte. Die wahren Opfer, nämlich jene der Shoah, blieben ausgeklammert. Erst die Affäre Waldheim enttarnte den latenten österreichischen Antisemitismus: Durch die massive Kritik aus dem Ausland, insbesondere des Jüdischen Weltkongresses, sah sich Österreich erneut als Opfer, diesmal als Opfer einer mächtigen, internationalen "jüdischen Verschwörung.“

Rückblickend betrachtet wurde die Affäre Waldheim zum Katalysator für ein neues österreichisches Geschichtsverständnis und eine neue Erinnerungskultur. Heute - so Gottschlichs These - werde die Politik Israels gegenüber den Palästinensern mit jener der Nazis gegenüber jüdischen Menschen in Beziehung gesetzt und so die Opfer-Täter-Umkehr vollzogen, die für das Täterland Österreich eine kollektive psychische Entlastung bewirke. Zudem habe sich der europäische Antisemitismus längst mit dem radikal-islamischen Antizionismus "zu einer unheilvollen Melange“ vermischt. Im Gegensatz dazu komme die antizionistische Israel-Kritik der Linken "auf Samtpfoten daher“ und rühre wie auch jene vieler Medien aus der "instinktiven Sympathie der Linken mit dem ‚Underdog‘, den Palästinensern.“

Mitgefühl ist der Schlüssel

Wissen allein reicht als Mittel gegen Antisemitismus nicht aus. Es bedürfe einer ausgeprägten Kultur des Mitgefühls als Gegenentwurf zur Gleichgültigkeit, ist Gottschlich überzeugt. Er möchte seine Publikation nicht bloß als objektive Sammlung "epidemiologischer Befunde zur sozialen Krankheit Antisemitismus in Österreich“ verstanden wissen, sondern als Plädoyer gegen dieses destruktive Potenzial.

Maximilian Gottschlich, der sich seit Langem mit jüdisch-christlicher Verständigung beschäftigt, widmet dieses Buch seinen Großeltern Clara und Max. Diese führten in der NS-Zeit eine damals so benannte "Mischehe“. Sie wurden enteignet, delogiert und zur Zwangsarbeit in einem Wiener Rüstungsbetrieb verpflichtet, blieben aber vor der Deportation bewahrt.

Die große Abneigung

Von Maximilian Gottschlich. Czernin Verlag 2012.

280 Seiten, gebunden. e24,90

Am Rand

2010 glaubte jeder zweite Österreicher, dass "die Juden die internationale Geschäftswelt beherrschen“, jeder fünfte wünschte sich Politiker, "die ihre Stimme gegen den jüdischen Einfluss erheben“ und 12 Prozent meinten, "es wäre besser, keine Juden im Land zu haben.“

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