Das Neue Testament zur Homosexualität

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Sag mir: Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er diese Existenz mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück?" Papst Franziskus stellte diese Frage im Herbst 2013 in einem Interview. Dieser Tage rückte derartige Frage wieder ins Licht der Öffentlichkeit, weil die vatikanische Bildungskongregation den Neutestamentler Ansgar Wucherpfennig SJ als Rektor der Theologischen Hochschule Frankfurt-St. Georgen verhinderte. Wucherpfennig hatte sich für einen neuen Umgang der Kirche mit Homosexuellen ausgesprochen. Wie aber stellen sich die biblischen Befunde zu Homosexualität heute dar?

Drei Stellen im Neuen Testament

Im Neuen Testament deuten drei Stellen auf Homosexualität hin. Dabei ist den biblisch Schreibenden die irreversible homosexuelle Veranlagung oder Neigung im Sinne heutiger sozialwissenschaftlicher und biologischer Erkenntnisse unbekannt. Denn "Homosexualität" setzt ein modernes Personenverständnis voraus. Das war damals so unbekannt wie uns Heutigen die ritualisierten Praktiken griechischer Tempelprostitution. Textkritisch ist darum nach der Aussageintention der biblisch Schreibenden zu fragen. Worin liegt die aktuelle Bedeutung?

1 Kor 6,9-10 enthält einen zehnteiligen Lasterkatalog, der illustriert, was "Ungerechte" sind, die das Reich Gottes nicht erben. Das betrifft auch den Bereich der Sexualität. "Unzüchtige","Ehebrecher" sowie "mit Männern verkehrende Männer" (griechisch: arsenokoit¯es) werden genannt. Der Begriff arsenokoit¯es, wörtlich verstanden: "einer, der mit Männlichem (ars¯en) im Bett ist /Beischlaf hat (koit¯e)", enthält weder eine Angabe über das Alter der betreffenden Person (Mann oder Kind) noch über die Art des Einverständnisses zur angedeuteten homoerotischen Praxis (freie Einwilligung oder Zwang). Die von der Einheitsübersetzung vorgeschlagene Übersetzung "Knabenschänder" ist damit zwar möglich, schränkt aber den Begriffsinhalt ein. Für Christen, die durch Christus "gerecht" geworden sind (1 Kor 6,11), gehören die in 1 Kor 6,9-10 genannten Laster der Vergangenheit an. Verbunden mit den Ausdrücken "Unzüchtige" und "Menschenhändler" findet sich arsenokoit¯es nochmals im Lasterkatalog 1 Tim 1,9-10. Es handelt sich dabei um drei Bezeichnungen für den Missbrauch anderer Menschen.

Röm 1,26b-27 steht im Kontext von Röm 1,18-32, einem Abschnitt, in dem Paulus eine umfassende Unheilsituation aufzeigt. Obwohl allen Menschen gegeben ist, Gott wahrzunehmen in seinen Schöpfungswerken, wird Gott nicht als Gott anerkannt und verehrt (Röm 1,19-21). Gestörte Gottesbeziehung, "Vertauschen" der Wahrheit Gottes mit der Lüge und Anbetung der Schöpfung an Stelle des Schöpfers (Röm 1,25) hat Störungen in den menschlichen Beziehungen zur Folge. Röm 1,18-32 bildet den dunklen Hintergrund für die in Röm 3,21 beginnende Darstellung der Erlösungstat Gottes in Jesus Christus: Die an Christus Glaubenden wissen sich befreit aus der Unheilsituation und bekunden dies durch eine neue Lebenspraxis. In wortgetreuer Übersetzung von Röm 1,26b-27 heißt es: "Ebenso wie die Weiblichen von ihnen den natürlichen (physikos) Umgang mit dem gegen die Natur (physis) vertauschten, so verließen auch die Männlichen den natürlichen Umgang mit dem Weiblichen und entbrannten in ihrem Verlangen zueinander, Männliche mit Männlichen die Schamlosigkeit verübend." Paulus spricht nicht von Männern und Frauen, sondern gebraucht das Wortpaar "männlichweiblich" (ars¯en-th¯eleia). Sicher nicht ohne Absicht verwendet er erneut das Verbum "vertauschen". Tiefster Grund für Störung im sexuellen Bereich ist ein verzerrtes Verständnis von Gott (Lüge) und ein gestörtes Verhältnis zu seiner Schöpfung.

Im Hinblick auf die Schöpfungsordnung

Die Hauptfrage bei der Interpretation dieser Stelle betrifft das Verständnis von "natürlich"(physikos) und "Natur"(physis). Wir dürfen davon ausgehen, dass Paulus -unter Einfluss und in Abgrenzung von hellenistischer Philosophie und Lebensart -diese Ausdrücke auf die Schöpfungsordnung bezieht. "Gegen die Natur" sind Ausdrucksformen der Sexualität, die sich loslösen von der Schöpfungsordnung (Gen 1,28). Für den Bezug zur Schöpfungsordnung spricht vor allem auch das an Gen 1,27 erinnernde Begriffspaar "männlich-weiblich". Der Akzent liegt auf dem Gedanken, dass Mann und Frau zusammen "Bild" Gottes sind, wobei dies keine bipolare Ordnung ist, die sich notwendig auf die Zeugung von Kindern reduzieren ließe. Der Auftrag in Gen 1,28 bleibt sehr weit und lässt sehr wohl Raum für zum Beispiel das Phänomen der Intersexualität, der fehlenden biologischen Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. Hinsichtlich der konkreten Form der homoerotischen Beziehungen zwischen Frauen wie zwischen Männern bleibt Röm 1,26b-27 ähnlich unbestimmt und offen.

Die drei Stellen belegen das Faktum verschiedener homoerotischer Praktiken in der Umwelt des frühen Christentums. Sie sprechen nicht von homosexueller Verfasstheit des Menschen.

Die Bibel beantwortet heutige Fragen nicht direkt. Vielmehr ermutigt sie, aktuelle Probleme im Licht des Evangeliums zu betrachten und Fragen der Lebenspraxis mit dem Glauben an Christus in Einklang zu bringen. Im Anschluss an die textkritische Auseinandersetzung ist damit nach der christlichen Anthropologie zu fragen: Wenn Gott lesbische Liebe schafft, warum sollte lesbische Liebe zwischen so Veranlagten dem sechsten Gebot widersprechen? Eine textunkritische, fundamentalistische Lesart der Bibel verunmöglicht die Antwort auf derlei lebenspraktische Fragen der Pastoral. Fundamentalismus führt dazu, dass sich der über andere Menschen moralisierend erhebende Mensch dem Schöpfungswillen Gottes widersetzt.

Dagegen zeigt die vorgelegte textkritische Befassung von Röm 1,26b-27, dass Paulus nicht moralisiert, sondern aus seinem historischen Erfahrungsbereich Beispiele bringt, um jene Unheilsituation zu illustrieren, in der Jesus Erlösung schafft. Im Zentrum der Argumentation des Paulus steht nicht die Homosexualität, sondern das Evangelium von Christus: Gott, der mit Liebe schaut und nicht zurückweist.

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