"Das sind Extremisten..."

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Vor über 30 Jahren ist die deutsche Soziologin Irmgard Pinn zum Islam konvertiert. Heute kämpft sie an der Seite muslimischer Communities gegen Vorurteile und für Toleranz. Im Interview spricht Pinn über den vermeintlichen "Clash of Civilizations" und die Stellung der Frau im Islam.

Die Furche: New York, Madrid, London und das Attentat auf den niederländischen Künstler Theo van Gogh: Ist der Traum von der multikulturellen Gesellschaft ausgeträumt?

Irmgard Pinn: Ich beschäftige mich weniger mit Traumdeutung als mit der sozialen Realität - und hier würde ich einfach sagen: Die mitteleuropäischen Gesellschaften sind multikulturell; damit müssen wir uns auseinandersetzen und versuchen, sie friedlich und unter den Prinzipien der Gerechtigkeit zu gestalten. Da gibt es nichts zu träumen, da muss man handeln.

Die Furche: Trotzdem gibt es seit dem 11. September 2001 im Verhältnis zwischen westlicher und muslimischer Welt eine neue Qualität, die dem Szenario vom "Clash of Civilizations" erschreckend nahe kommt...

Pinn: Man hängt mittlerweile an diesem Datum einiges auf, was bei genauerer Betrachtung eher von symbolischer Bedeutung ist. Ich sehe nicht, wie sich etwa in der deutschen Gesellschaft das reale Zusammenleben zwischen einheimischen nichtmuslimischen Deutschen und den größtenteils zugewanderten muslimischen Bürgern und Bürgerinnen tiefgreifend verändert haben sollte. Was sich aber verändert hat, ist die öffentliche Wahrnehmung...

Die Furche: Wohl nicht zum Positiven: Der Islam gilt vielen heute als "heiße", "aggressive" Religion...

Pinn: Dieser Eindruck entspricht der medialen Berichterstattung. Ich denke, dass aus allen Religionen und Weltanschauungen etwas herauszufiltern ist, um Militanz und Aggressivität zu legitimieren: Aber überwiegend vertritt der Islam die Position, dass das menschliche Zusammenleben friedlich und gerecht zu gestalten ist.

Die Furche: Tatsächlich ist der Umgang durch die Terrorangst aber rauer geworden. Das zeigt auch die neue Gangart der Londoner Polizei: Statt Toleranz auch gegenüber "Hasspredigern" zu üben, verfolgt sie nun eine "Shoot to kill"-Politik...

Pinn: Das sehe ich natürlich mit Sorge - genauso wie die Sicherheitspolitik der deutschen Bundesregierung. So hat es bei uns eine Menge Razzien in Moscheen gegeben, die in teilweise nicht nachvollziehbarer rigider Form durchgeführt wurden - zum Beispiel, indem Uniformierte Gebetsräume regelrecht stürmten, und wo die Verantwortlichen auch später klar gesagt haben, dass es ihnen darum gegangen ist, die Muslime einzuschüchtern. Es wird also mit Verdächtigungen und Unterstellungen Politik gemacht.

Die Furche: Was sagen Sie zur Sorge über muslimische Parallelgesellschaften im Westen?

Pinn: Vom soziologischen Gesichtspunkt aus ist es eine natürliche Erscheinung in einer Einwanderungsgesellschaft, dass sich die neu Zugewanderten zunächst in Communities zusammenschließen, um ihre eigenen Positionen zu verstärken und bestimmte Bedürfnisse abzudecken. Mein Vater ist in seiner Jugend aus seinem Dorf in Norddeutschland nach Kiel "ausgewandert". Und was hat er als erstes gemacht? Er hat sich einem Heimatverein angeschlossen! Wenn es jetzt so ist, dass sich Leute, die aus der Türkei oder Afrika kommen, auch zusammentun, kann ich daran nichts Verwerfliches finden.

Die Furche: Problematisch wird es dann, wenn in diesen Communities Werte hochgehalten werden, die westlichen Werten widersprechen: Erst jüngst hat etwa ein Imam einer Wiener Moschee mit demokratiefeindlichen Aussagen für Empörung gesorgt...

Pinn: Ich habe das verfolgt und finde die Ansichten dieses Imams ganz schrecklich. Da stehen mir die Haare zu Berge - wie gewiss mindestens 90 Prozent aller Muslime. Das sind Extremisten, die sich Nischenpositionen erobern können. Das darf man nicht mit Gleichmut hinnehmen, sondern da muss man in angemessener Weise reagieren - und sei es mit Ausweisung. Nur ist es schlimm, wenn - wie in Deutschland - auch große islamische Verbände wie die Milli Görüs mit Terroristen verglichen werden, obwohl aus deren Reihen noch nie religiös motivierte Gewalt hervorgegangen ist. Da werden Leute, die in keiner Weise mit Terrorismus oder subversiver Gewalt sympathisieren, auf Grund ihrer Islam-Interpretation und ihrer islamisch geprägten Lebensweise stigmatisiert.

Die Furche: Von Milli Görüs hat sich einst Metin Kaplan abgespalten - der "Kalif von Köln", der im Oktober 2004 von Deutschland in die Türkei abgeschoben und dort nun wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist. Wie schätzen Sie ihn ein?

Pinn: Kaplan gehört für mich eher in die Kategorie "nicht ganz ernst zu nehmen". Ich denke schon, dass gewisse Leute, die psychisch labil sind, auf falsche Ideen kommen könnten. Man muss das sicher beobachten. Aber wir haben ja auch gesehen, dass seine Anhängerschaft rapide zurückgegangen ist.

Die Furche: Ein umstrittenes Thema im Dialog mit dem Islam ist die Stellung der Frau. Kritische Beobachterinnen wie Edit Schlaffer meinen, dass das Ideal im Koran die eine Seite, die gelebte Praxis in muslimischen Gesellschaften aber eine andere sei...

Pinn: Wenn wir das so sehen, dann ist aber auch das westliche Ideal einer aufgeklärten, emanzipierten Frau in weiten Teilen nicht kompatibel mit dem, was ich in der Praxis sehe. Das haben Ideal und Wirklichkeit oft so an sich, dass sie nicht deckungsgleich sind. Aber als Idealvorstellung taugt der Islam sehr gut für eine Leitlinie, um Frauen eine respektierte, angesehene Position in der Gesellschaft zu verschaffen.

Die Furche: Würden Sie sich selbst als muslimische Feministin bezeichnen?

Pinn: Jein. Der Feminismus hat ja viele Facetten, und manche davon heben etwa bei Männern nur das Negative hervor. Dem würde ich mich nicht anschließen. Ich würde aber sagen, dass ich eine frauenbewegte Muslima bin.

Die Furche: Wie geht es einer frauenbewegten Muslima mit Zwangsverheiratungen?

Pinn: Dieses Phänomen gibt es ohne Zweifel, und ich versuche auch seit langer Zeit, innerhalb der muslimischen Community darüber aufzuklären. Das Problem ist aber, dass wir muslimische Frauen Angst haben, mit diesen Themen in die Öffentlichkeit zu gehen: Oft wird das ja nicht als Aufklärungsbemühen wahrgenommen, sondern es heißt dann: "Jetzt gebt ihr selber zu, wie es bei euch aussieht!" Ich werbe jedenfalls seit 20 Jahren dafür, Frauenhäuser einzurichten, wo Frauen Zuflucht finden, aber nicht automatisch mit ihrer Familie brechen müssen. Nur gibt es keine öffentlichen Mittel dafür.

Die Furche: Ein anderes Reizthema ist das Kopftuch. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Pinn: Dieses Thema wird von Befürwortern wie Gegnern so hochgeschaukelt, dass ich nur mit offenem Mund davorstehe und mir denke: Wie kann man einem Stück Stoff nur eine dermaßen große Bedeutung beimessen? Ich für meinen Teil möchte eine Gesellschaft, wo es einer Frau frei steht, ihr Haar zu bedecken oder nicht.

Die Furche: Tragen Sie selbst ein Kopftuch?

Pinn: Ab und zu. Wenn ich im Iran bin, schon. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich dadurch als Person eine andere bin.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Pendlerin zwischen Aachen und Teheran

Irmgard Pinn ist genervt. "Sie haben Glück, dass ich mit Ihnen überhaupt noch spreche", meint Sie auf die Frage, ob Sie für ein Gespräch über das vermeintliche Ende der multikulturellen Gesellschaft zu haben sei. "Ich bin ja gerne bereit, Verantwortung zu übernehmen. Aber wenn man sich ständig für Sachen rechtfertigen muss, die einem zuwider sind, dann kann einem das schon auf die Nerven gehen." Dabei lässt die 59-jährige Soziologin und Anti-Rassismus-Forscherin, die aus dem Dorf Neutin in Schleswig-Holstein stammt, nichts an Engagement vermissen: Schon als Studentin der Soziologie und Sozialpädagogik organisierte sie Jugend-Austauschreisen zwischen deutschen und afrikanischen Jugendlichen. Später verlagerte sich ihr Interesse in den Iran. Noch während des Studiums konvertierte die Protestantin zum Islam. "Ich habe mich lange damit auseinandergesetzt und das einfach gut gefunden", erzählt sie heute. Ihr iranischer Mann habe sie dabei jedenfalls keineswegs gedrängt. Dass dies oft gedacht werde - ebenso wie die Einschätzung, dass sich intellektuelle, selbstbewusste Frauen nicht für eine islamische Gesellschaftsordnung aussprechen könnten -, hat sie u. a. in ihrem Buch "Europhantasien. Die islamische Frau aus westlicher Sicht" (1995, diss Verlag) heftig kritisiert. 2002 hat Pinn, die in Aachen und Teheran lebt, schließlich den Verein "forum unabhängiger muslime" mitbegründet, der sich die Förderung des interreligiösen und -kulturellen Dialogs und die Integration durch Bildung, Partizipation und Empowerment zur Aufgabe setzt. Dass sich die Situation der Frauen im Iran unter dem neuen, erzkonservativen Präsidenten Mahmud Ahmedinejad verschlechtert, glaubt Pinn einstweilen nicht: "Die Frauen, die ich in Teheran treffe, sind so professionell und zielorientiert. Die werden sich nicht unterkriegen lassen. Da bin ich zuversichtlich."

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