DP116401 - © Wiener Domverlag -  William Blake: Gottes Richtspruch über Adam (1795)

Das verstörende Bild vom strafenden Gott

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Der Gott der Christen (und der Juden) ist nicht nur "lieb". In den biblischen Büchern tritt er auch als Zürnender oder Eifersüchtiger auf. Wie kann ein solches Gottesbild heute noch verstanden und angenommen werden?

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Der Gott der Christen (und der Juden) ist nicht nur "lieb". In den biblischen Büchern tritt er auch als Zürnender oder Eifersüchtiger auf. Wie kann ein solches Gottesbild heute noch verstanden und angenommen werden?

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Viele Menschen sind mit dem Bild eines strafenden Gottes aufgewachsen. Eines Gottes, der Furcht einflößt. Später wollten sie sich von dieser Abhängigkeit emanzipieren. Bei manchen gelang es und sie fühlten sich dann ohne Gott freier. Andere hat dieser "strafende Gott" zeitlebens "verfolgt". Glücklich, wer später doch noch zu einer Gottesbeziehung fand, die ihn gerade in der Verantwortung vor einem liebenden Gott frei gemacht hat.

Wieso "bedrängt" dieser strafende Gott so viele Menschen?

Schon in der "Vorzeit", also bevor die Geschichte mit Gott historisch lokalisierbar wird, prasseln die Strafen Gottes auf die Menschen nieder. Die ersten elf Kapitel im Buch Genesis berichten darüber. Den Menschen, den Gott nach seinem Abbild geschaffen hat, vertreibt er aus dem Paradies, weil er seinem Schöpfer misstraut hat (vgl. Gen 3,24).

Aber die Bosheit des Menschen nimmt noch zu. Da reut es Gott, ihn geschaffen zu haben, und er beschließt, ihn durch eine große Flut vom Erdboden zu vertilgen, "mit ihm auch das Vieh". (Gen 6,7) Nur den gerechten Noach und dessen Familie will er retten. Die Biochemikerin Renée Schroeder findet die Sintflut so schrecklich, dass sie ihretwegen Kinder die Bibel überhaupt nicht mehr lesen lassen will. "Denn die Arche Noah ist die Beschreibung eines Genozids", wie sie es in einem Interview formulierte.

Die "Urgeschichte" entspricht in der biblischen Erzähltradition einer eigenen Gattung. Für diese Erzählungen gibt es keine historischen Wurzeln, vielmehr handelt es sich um die Reflexion eines gläubigen Volkes zurück an den Anfang. In den biblischen Erzählungen spiegelt sich auch der Einfluss uralter Traditionen und Mythen anderer Kulturen und Völker rings umher wider. Auch von einer Sintflut erzählen Kulturen auf allen Kontinenten zu unterschiedlichen Zeiten.

In die biblische Erzählung sind ganz deutlich erkennbar mesopotamische Sintflutberichte eingeflossen, wie wir sie etwa aus dem berühmten Gilgameschepos (1100 v. Chr.) kennen. In den Mythen gibt es viele Gründe, warum die Götter vernichtende Fluten schicken. In der Bibel rührt die Sintflut aus dem moralischen Fehlverhalten der Geschöpfe. Aber gerade das Buch Genesis schildert einen Gott, der im Bild der Arche dem Menschen - und sogar der Tierwelt - Weiterleben sichern will.

Die Sintflut - auch für Kinder

Am Ende der Flut schließt Gott mit Noach und seinen Söhnen einen Bund. Der Regenbogen soll ein Bundeszeichen sein zwischen Gott "und der Erde". Es ist der erste Bund Gottes, von dem die Bibel berichtet. Und er wird keine Flut mehr über die Erde schicken. Man kann, so glaube ich, Kindern ruhig die Sintflutgeschichte erzählen, wenn man sie erklärt. Und Kinder werden dann den Regenbogen noch mehr bestaunen.

Warum hat das Bild vom strafenden Gott die vielen anderen Bilder von ihm beharrlich verdrängt, oft bis heute?

Es gibt verschiedene Gründe. Zum einen scheint es dem Menschen eigen zu sein, Schicksalsschläge, Unglück, Katastrophen einer höheren Macht zuschreiben zu wollen, wie immer er diese Macht auch nennt. Israel erlebt so viel Unglück: Krieg, Naturkatastrophen, Vertreibung und Verbannung. Muss da nicht Gott seine Hand im Spiel haben? Ein Gott, der sie damit erziehen will?

Die Propheten sagen schwerste Prüfungen voraus, um das Volk zur Umkehr zu mahnen. Und das Unglück trifft ein. Ist das die Strafe Gottes? Warum hat er es nicht verhindert?

Selbst die Jünger Jesu meinten, dass Krankheiten Folgen der Sünde seien. Als ein Blinder zu Jesus kam, fragten sie: "Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst, oder haben seine Eltern gesündigt, dass er blind geboren wurde?" (Joh 9,2) "Weder er noch seine Eltern", antwortet Jesus. "Sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden." Das heißt aber, dass Gott nicht Leid verursacht, sondern heilen will.

Hinter allem aber steht wohl ein ganz bestimmtes Erziehungsprinzip. Das griechische Wort paideia (Erziehung) hat vor allem jene der Kinder vor Augen. Zucht und Erziehung sind notwendig, damit der Heranwachsende bekommt, was er für das Gelingen des Lebens und für das gute Zusammenleben mit anderen braucht. Im griechischen Verständnis war vor allem jeweils der Vater dafür verantwortlich. Und neben vielen anderen Mitteln war auch die körperliche Züchtigung berechtigt. Bis in die neutestamentliche Literatur wird aus dem Buch der Sprichwörter zitiert: "Mein Sohn, verachte nicht die Zucht des Herrn. Wen der Herr liebt, den züchtigt er, wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat." (Spr 3,11f)

In der Wirkungsgeschichte dieser Worte hat sich wohl die Angst vor einem strafenden Gott verfestigt. Eine Liebe, die dahinter stehen soll, wurde immer mehr verdunkelt. Man hat auch allzu viel als Gottes "Züchtigung" bezeichnet. Ja hat den strafenden Gott sogar als Erziehungsmittel missbraucht.

In vielen Familien sind Kinder aufgewachsen, die immer wieder hören mussten: Gott straft dich, wenn du das oder jenes tust. Und aufregende Predigten, wie Gott die Sünder straft bis hin zur ewigen Strafe in der Hölle, gab es nicht nur in der Barockzeit.

Tsunamis und andere "Strafen"

In erschreckender Weise werden auch heute noch Katastrophen als Züchtigung Gottes interpretiert: Aids habe Gott zugelassen wegen der verheerenden Promiskuität, sagen manche. New Orleans sei ein Opfer der Flut geworden, weil es dort viele Freudenhäuser gegeben habe (auch Kirchen wurden zerstört!). Der Tsunami habe in Thailand 200.000 Menschen in den Tod gerissen, weil es ein Land sei, in dem der Sextourismus blüht.

In einer österreichischen Zeitung schrieb ein Priester: "Auch die Vulkanwolke (jene, die von Island kam) zeigt uns, dass Gott da ist, dass er ein Zeichen setzen will." Und während ich dies alles schreibe, kommentiert ein Bischof die furchtbare Katastrophe vom 24. Juli in Duisburg so: "Love-Parade ist kein harmloses Feiern. Wenn Gott straft, tut er dies mit der Absicht, den Menschen zurückzuholen. Gott straft aus Liebe." Solche Deutungen sind töricht und verantwortungslos, weil dadurch das Gottesbild bei vielen immer wieder aufs Neue entstellt wird.

Ein Mensch scheint besonders fromm zu sein, wenn er alles in seinem Leben und in der Welt direkt auf Gottes Eingreifen, auf seinen Plan zurückführt. Und doch denkt gerade dieser Mensch von Gott zu klein und ist sich der eigenen Verantwortung für seine Lebensgestaltung zu wenig bewusst.

Am Anfang der Welt steht Gott. Das glauben alle, denen nicht ein rein materialistisches Weltbild genügt. Aber diese Schöpfung hat Gott in die freie Bahn der Entfaltung entlassen. Die Naturwissenschaft nennt das Evolution. Das mindert nicht die Ehrfurcht vor der Schöpferkraft Gottes, sondern erhöht sie geradezu. Die Schöpfung ist gleichsam nicht zu Ende, sie weitet sich aus. Sie liegt, wie wir im Römerbrief lesen (vgl. Röm 8,22), "in Geburtswehen", was auf immer Neues hinweist.

Und was da und dort in der Natur an Katastrophen geschieht, ist nicht das unmittelbare Eingreifen Gottes, sondern es sind Zeichen und Folgen der Evolution, die auch immer von Verlusten lebt. So kann keiner die Katastrophen als Strafe Gottes interpretieren. Wohl aber bringen sie den Menschen zum Nachdenken, zur Erkenntnis seiner Begrenztheit, bisweilen auch zum Bewusstsein, dass er selbst an manchen Fehlentwicklung schuld ist.

Auch den Menschen hat Gott in seine Freiheit "entlassen". Er ist keine Marionette im großen Welttheater. Und Gott züchtigt ihn nicht mit scharfer Rute, sondern hat ihm alles mitgegeben, damit er sein Leben selbst verantworten kann. Gott lässt dem Menschen die freie Wahl.

Der Autor ist emeritierter Weihbischof in Wien

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