"Das war Wien von seiner SCHÖNSTEN SEITE "

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Maria Vassilakou, Wiener Vizebürgermeisterin und Spitzenkandidatin der Grünen, über fünf Jahre Rot-Grün, politische Mitbewerber - und die jüngste ausnahmesituation in der Flüchtlingskrise.

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Maria Vassilakou, Wiener Vizebürgermeisterin und Spitzenkandidatin der Grünen, über fünf Jahre Rot-Grün, politische Mitbewerber - und die jüngste ausnahmesituation in der Flüchtlingskrise.

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Vor der Konkurrenz durch NEOS fürchtet sie sich nicht - und auch nicht wirklich vor Ursula Stenzel. "Durchaus erfolgreich" sei man in der Koalition mit der SPÖ gewesen, aber zufrieden ist sie nicht, sagt Maria Vassilakou.

Die Furche: Zuletzt wurde Österreich bzw. Wien sehr für seinen Umgang mit der Flüchtlingskrise gelobt. Zu Recht?

Maria Vassilakou: Ich war ergriffen von den Ereignissen des letzten Wochenendes: einerseits von der Freude und der Erleichterung in vielen Gesichtern der Flüchtlinge und andererseits von der Hilfsbereitschaft seitens unzähliger Wienerinnen und Wiener. Sie haben vor Ort ihr Möglichstes gegeben. Es waren unglaubliche Szenen -Wien von seiner schönsten Seite.

Die Furche: Der Wiener VP-Chef Manfred Juraczka hat in einem Interview mit der FURCHE (Nr. 36) gefordert, dass Menschen, die nach Österreich kommen, unsere Werteordnung annehmen sollen. Er kritisiert, dass in Wien unter Rot-Grün in den Kindergärten "aus falsch verstandener Toleranz keine religiösen Feste mehr praktiziert werden".

Vassilakou: Das schließt nahtlos an viele tief enttäuschenden Aussagen der ÖVP an: enttäuschend insbesondere für eine Partei, die vorgibt, christliche Werte zu vertreten. Vielleicht rührt es auch daher, dass Juraczka nie in der Situation war, in einem Land nur mit einem kleinen Koffer anzukommen und neu beginnen zu müssen. Diese Menschen kommen voller "Bammel" und Hoffnungen auf ein neues Leben an. Sie wollen einen Platz in dieser neuen Gesellschaft finden. Das ist das große Kapital, das Zuwanderer und Flüchtlinge mitbringen. Sie werden dankbar sein, dass sie sich hier ein neues Leben aufbauen können. Sie brauchen ein warmes Willkommen und Unterstützung auf den ersten Wegen.

Die Furche: Das alles ist aber kein Widerspruch zu den Aussagen Juraczkas, dass es eine gemeinsame Werteordnung braucht

Vassilakou: Ich verstehe nicht, warum man das Selbstverständliche wie eine Fahne aggressiv schwingen muss. Die Unterstellungen sind immer die gleichen: Sie wissen das nicht, sie wollen das nicht, und man muss es ihnen zehnmal am Tag vor die Nase knallen, bis sie es sich gemerkt haben. Zu den europäischen Werten gehören Freiheit, Offenheit, Respekt und Hilfsbereitschaft. Bringt man das der anderen Seite entgegen, erfährt man in der Regel Dankbarkeit und die Bereitschaft, sich auf die neue Gesellschaft einzulassen. Jeder Mensch wünscht sich, seinen Platz zu finden. Mich stört, dass immer davon gesprochen wird, dass es Menschen gebe, die nicht dazugehören wollen.

Die Furche: Und was ist mit der falsch verstandenen Toleranz?

Vassilakou: Ich persönlich fände es sehr sympathisch, wenn alle Feste der in einem Kindergarten vertretenen Religionen gefeiert würden. Aber letztlich ist das eine autonome Entscheidung jeder Schule und jedes Kindergartens. Es gibt da keine entsprechenden Vorgaben. Ich finde ja, dass man Feste feiern soll. Den Kindern entgeht jede Menge Spaß und die Chance, voneinander zu lernen. Ich finde, dass religiöse Feste zu den kulturellen Ritualen gehören, die eine Gesellschaft verbinden.

Die Furche: Sie haben vor dem Sommer plakatiert: "Ich soll den Häupl-Michi nicht immer so ärgern". Manche Beobachter meinen freilich, sie hätten ihn viel zu wenig geärgert, hätten als Preis fürs Mitregieren vieles nicht mehr thematisiert, was die Grünen als Opposition sehr wohl kritisiert haben...

Vassilakou: Die Frage ist nicht, ob wir ihn geärgert haben, sondern ob wir ihn mit Erfolg geärgert haben. Wenn ich die letzten fünf Jahre Revue passieren lasse, möchte ich zu bedenken geben, dass diese fünf Jahre ohne größere Skandale über die Bühne gegangen sind. Das kann man nicht von jedem Bundesland behaupten. Nicht zuletzt deshalb, weil die Grünen viel gestoppt haben, es viel Auseinandersetzung gegeben hat und wir sehr wohl in vielen Bereichen durchaus erfolgreich waren. Dennoch: Ich möchte klarstellen, dass ich nicht zufrieden bin. Manchmal haben wir uns durchgesetzt - und manchmal war die SPÖ nicht einen Millimeter zu bewegen.

Die Furche: Zum Fall des von den Grünen zur SPÖ übergelaufenen S¸enol Akkılıç: Ist das vergeben und vergessen?

Vassilakou: Weder noch. Lehren zu ziehen ist das wichtigste in der Politik. Die Furche: Das wären welche?

Vassilakou: Man muss die schwierigsten Auseinandersetzungen gleich zu Beginn führen und nicht zum Schluss.

Die Furche: NEOS zielt auf ähnliche Wählerschichten ab wie die Grünen, wie schätzen Sie diese Konkurrenz ein?

Vassilakou: Ihre Themen sind nicht besonders sensationell. Sie haben die Themen, die klassisch die Oppositionsparteien einnehmen: gegen Korruption, Parteibuchwirtschaft und die Rathausbürokratie waren alle Oppositionsparteien schon einmal.

Die Furche: Das waren auch Themen der Grünen

Vassilakou: Ja, aber das waren in den vergangenen Jahren auch die Themen der FPÖ und, wenn auch kaum merkbar, der ÖVP. Der Vergleich macht Sie sicher: Die Grünen waren die treibende Kraft im Haus, wir decken seit 1991 Missstände auf. Die Untersuchungskommission im Gesundheitsbereich hat z. B. Missstände in der Pflege festgestellt. Wir haben diese restlos beseitigt.

Die Furche: Das trauen Sie NEOS nicht zu?

Vassilakou: Sie würden sich erst beweisen müssen. Aktuell kämpfen sie um den Einzug in den Landtag, und Papier ist geduldig.

Die Furche: Wird es nach dem 11. Oktober mehr als einen grünen Bezirk (7.) geben?

Vassilakou: Ich halte es für realistisch, dass wir bis zu sechs grüne Bezirksvorsteher stellen können. Wir haben gute Chancen im vierten, sechsten, achten, neunten und achtzehnten Bezirk. Und da neuerdings Ursula Stenzel auf Blau macht, auch im Ersten.

Die Furche: War das von Seiten der FPÖ nicht ein kluger Schachzug, um enttäuschte bürgerliche Wähler ins Boot zu holen?

Vassilakou: Das Problem vieler Politiker ist die Eitelkeit, da soll sich niemand ausnehmen. Diese führt dazu, dass man beginnt, sich einzubilden, dass die Wähler seine Leibeigenen seien und dass sie einem blind folgen. Es kann sein, dass Ursula Stenzel die bittere Erfahrung macht, dass ihre Wähler sich wegen der von ihr vertretenen Werte für sie entschieden haben. Diese werden sie jetzt bei der FPÖ nicht finden. Kann aber auch sein, dass ihr Kalkül aufgeht - man wird sehen.

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