David Flusser - © Privat

David Flusser - Jude und Jesuskenner

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Der Brückenbauer zwischen Judentum und Christentum ist 83-jährig verstorben.

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Der Brückenbauer zwischen Judentum und Christentum ist 83-jährig verstorben.

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Dass kein entscheidender Gegensatz zwischen Jesus und dem Judentum bestand, kann nur glaubhaft machen, wer das Judentum kennt." Dies schreibt David Flusser im großen Jesus-Bildband, den der Herder-Verlag vor Jahresfrist herausbrachte. Flusser, der jüdische Jesus-Forscher, spricht damit aus, was nach der Wiederentdeckung des Judentums durch die Christen Allgemeingut wurde: Jesus, der Messias der Christen, war Jude, und es macht Sinn, ihn auch durch jüdische Augen zu betrachten. Gerade Christen können von Juden lernen, wenn sich diese auf die Gestalt Jesu einlassen.

David Flusser gehörte zu denjenigen Juden, die solche Auseinandersetzung vorantrieben. Der - wie der epochale Martin Buber, der Jesus Christus als "seinen großen Bruder" bezeichnet hatte - aus Wien stammende Flusser zählte ebenso wie der 1999 verstorbene Schalom Ben-Chorin zu den Protagonisten jüdischer Jesusbegegnung. Während Ben-Chorin Jesus aber als Bruder (wie Martin Buber) und als Mensch, nicht aber als Messias betrachtete, legte Flusser 1968 in der rororo-Monographie "Jesus - in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten" seinen Zugang vor, in dem er nachzuweisen versucht, Jesus selbst habe sich als Messias gesehen.

Der 1917 geborene Flusser verbrachte seine Jugend in Böhmen. 1938 emigrierte er nach Palästina, wo er Philologie und jüdische Geschichte studierte. Von 1962 an lehrte Flusser an der Hebräischen Universität in Jerusalem, seine Forschungen galten dem Zweiten Tempel, dem Talmud und eben dem Neuen Testament. Talmudwissen und die Kenntnis des Neuen Testaments ermöglichten es Flusser, das Jüdische am Christentum aufzuzeigen ("Die rabbinischen Gleichnisse und der Gleichniserzähler Jesus", 1981). 1990 veröffentlichte er sein Buch "Das Christentum - eine jüdische Religion", in dem er seine Erkenntnisse zusammenfasste.

Im erwähnten Jesus-Bildband aus 1999 weist Flusser auch darauf hin, dass der Antijudaismus schon in den Evangelien beginnt: "Auch ich war früher für das Problem blind. Intensivere Forschungen haben mich eines Besseren belehrt. Es gibt nämlich schon im Neuen Testament Beschuldigungen und Thesen, die manchmal bestimmte Gruppen und oder die ganze Judenschaft feindlich treffen. An einigen Stellen wird sogar das Wesen des jüdischen Glaubens und des Gesetzes in Frage gestellt. Wenn ein Christ solche Angriffe und Behauptungen irgendwo über das Christentum fände, würde er sie dann nicht auch als antichristlich bezeichnen?"

Trotz dieser ernüchternden Diagnose blieb David Flusser als jüdischer Jesus-Forscher einer der großen Brückenbauer zwischen den verschwisterten, durch die Geschichte in ihrem Verhältnis belasteten Religionen. Am 16. September ist David Flusser 83-jährig in Jerusalem verstorben.

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