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Die Enthüllungen des Historikers krisztián ungváry über die Stasi-Kontakte von Kardinal Paskai, dem emeritierten ungarischen Primas, haben in Ungarn eine lebhafte und kontroverse Debatte über die Rolle der Kirche zur Zeit des Kommunismus ausgelöst. Nachstehend fasst Ungváry seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen zusammen.

Die Kirchen galten als wichtige Feindobjekte der Staatspartei. Dabei erhielt die katholische Kirche, von der die kommunistischen Machthaber annahmen, sie würde vom Vatikan gesteuert, eine herausgehobene Rolle. Neben der Geheimpolizei befasste sich das Staatliche Amt für Kirchenangelegenheiten (ÁEH) offen mit der Observierung und Terrorisierung der Priester.

Die Staatssicherheit setzte große Kräfte ein, um die Priester zu brechen; in den 1970er Jahren bestand ein erheblicher Teil der Bischöfe bereits aus "loyalen Personen" und aus inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi (im folgenden IM). 1977 waren auf dem Gebiet "Maßnahmen gegen die kirchliche Reaktion" 421 IM beschäftigt. Diese Anzahl der Personen umfasste alle Konfessionen und Sekten, während die Zahl der katholischen Priester mehrere Tausende betragen hat, es ist also offensichtlich, dass der größte Teil der Priesterschaft keine Agententätigkeit ausgeübt hat. Umso interessanter ist, wie sich die zahlenmäßig wenigen, die IM geworden sind, verhalten haben.

Die Zahl der IM hat sich bis zur Wende kaum verändert, nach Aussagen ehemaliger Mitglieder der Staatssicherheit erwies sich die kirchliche Abwehr als ihre "Erfolgsstory". Die Prozentzahl der IM war unter den Bischöfen am höchsten. Über den Prozess, wie Menschen gebrochen wurden, wissen wir sehr wenig. Im Weiteren werde ich durch das Schicksal von Kardinal László Paskai, (Deckname "Lehrer") einige der Möglichkeiten und Zwangswege aufzeigen, mit denen ein Priester konfrontiert wurde.

Exemplarisches Schicksal

Paskai wurde 1927 geboren, 1946 legte er im Franziskanerorden sein erstes Gelübde ab, von 1951 an studierte er in Gyöngyös, später in Szeged an der Theologischen Hochschule bzw. an der Theologieakademie. Nach seinem Studium blieb er eine Zeit lang in Szeged, 1965 kam er als Spiritual ins Zentrale Priesterseminar nach Budapest.

Dort begann man, ihn "umzuspinnen". Das Zentrale Seminar galt damals als "heißer Boden", so wurde etwa 1959 ein ganzer Jahrgang gefeuert, weil die Studenten nicht bereit waren, sich an einer Friedensversammlung zu beteiligen. In der ersten Hälfte der 60er Jahre wurden mehrere Vergeltungsmaßnahmen gegen Priester ergriffen, viele bekamen langjährige Freiheitsstrafen. Das ist der Hintergrund des ersten, mit dem "Lehrer" am 13. November 1965 geführten, inhaltlich nichts sagenden Gespräches.

"Lehrers" Führungsoffizier, Hauptmann György Keresztury, bezeichnet seinen Gesprächspartner als "Agentenanwärter". Laut Aufzeichnungen des Dossiers traf Keresztury "Lehrer" etwa monatlich; der konnte aber die Annäherungsversuche abwenden. Anfänglich hat er sogar einen starken Charakter gezeigt, wie etwa in dem von Keresztury verfassten Bericht vom 9. Juni 1966 nachgewiesen wird:

Wir haben lange über meine Bitte diskutiert, dass er seine Eindrücke über die Seminaristen schriftlich festhält, er hat dies nicht für möglich gehalten. Wir haben uns darauf geeinigt, dass er für das nächste Treffen seine schriftlichen Anmerkungen anonym anfertigt.

Der Führungsoffizier wollte "Lehrer" offensichtlich ins Ausland schicken, weil man für die Kontrolle der als "feindliche Objekte" geltenden kirchlichen Zentren in Westeuropa (zum Beispiel das in den Berichten oft erwähnte Jesuitenkolleg in Leuwen) keinen anderen Mann finden konnte. Dieser Tatsache ist zu verdanken, dass "Lehrer" erneut nach Leuwen reisen durfte. Die Reise wurde am 16. Juni 1967 vorbereitet. "Lehrer" musste seinen genauen Reiseplan und sein Programm vorlegen. Über seine Reise berichtete "Lehrer" Keresztury am 22. Juli 1967. Keresztury hat Folgendes schriftlich festgehalten:

Die Reise unseres Agentenanwärters ist diesmal besser gelungen, als im Vorjahr, er konnte in einem breiteren Kreis Kontakte knüpfen. Seine Kenntnisse beinhalten aber für uns nicht viele neue Elemente. Sein Bericht kann in erster Linie mit der Zielsetzung verwendet werden, dass wir unseren Kandidaten mit unseren Stellen schrittweise enger verbinden, kompromittieren.

Der erhoffte Kompromittierungsprozess kam wegen des Widerstandes des "Lehrers" nicht voran. Darüber erfährt man aus dem Bericht von Keresztury am 13. März 1968:

Unser Kandidat hat auf unsere Bitte die Seminaristen aufgezählt, die nach seiner Meinung zu einem späteren Zeitpunkt geeignet wären, entsandt zu werden, damit sie ihr Studium in einem westlichen Land fortsetzen. Eine kurze Beschreibung - obwohl er mündlich dies vorgetragen hat - wollte er uns nicht schriftlich geben, weil er dies mit seiner Funktion als Spiritual für unvereinbar hält. Aufgrund der Namen kann festgestellt werden, dass er peinlich genau die Personen vermeidet, die angeschuldigt werden könnten, mit uns in irgendeinem Kontakt zu stehen {...}. Sein Standpunkt bestätigt, dass man sich mit der Erziehung des Kandidaten noch viel beschäftigen muss.

Vier Jahre nach seinem "Umspinnen" war man noch immer nicht so weit gekommen, dass der "Lehrer" in eine konspirative Wohnung gebracht oder über ihn eine Agentenkarteikarte ausgestellt wurde. Gelegentlich hatte er auch schriftliches Material überreicht, in dem aber nur Grundinformationen bezüglich seiner Reisen zu lesen waren.

Neuer Führungsoffizier

Im März 1972 erhielt er in Person von Major László Bozsik einen neuen Führungsoffizier und in diesem Jahr wurde er offiziell zum Agenten. Die jahrelange "Erziehungsarbeit" seines Führungsoffiziers hat bei ihm nur sehr langsam Wirkung gezeigt.

In seinem Bericht vom 14. April 1972 kann man allerdings eine Änderung entdecken, er hat nämlich Abt Monsberger, der die Wahl des Abtes in Pannonhalma aus der Sicht der Staatssicherheit nicht vorbereitet hat, so wie bei den Franziskanern, bei denen der erste Kandidat durch das Staatliche Amt für Kirchenangelegenheiten nicht akzeptiert wurde, kritisiert und damit der Stasi Material gegeben.

"Lehrers" letzter bekannter Bericht stammt vom 3. Mai 1974 über die Amtsenthebung von Kardinal Mindszenty und die Konferenz über den Heiligen Thomas. Danach wurde ein zweiter Band seines Dossier angelegt, der im Archiv leider nicht vorliegt.

Die Karriere von Paskai ging ununterbrochen weiter. 1979 wurde er zum Bischof geweiht, 1982 zum Erzbischof, ab 1986 war er Vorsitzender der Ungarischen Katholischen Bischofskonferenz, 1987 wurde er Erzbischof von Esztergom-Budapest und Primas, 1988 Kardinal.

Paskais öffentliche Tätigkeit steht im Gegensatz zur Zurückhaltung "Lehrers". Als Bischof hat er als verlängerter Arm der Staatssicherheit die kirchliche Basis-Bewegung rund um den Piaristenpater György Bulányi unterdrückt. Bezüglich Mindszenty hat Paskai noch 1987 gegenüber der Zeitung Wochenpresse erklärt, der ungarische KP-Chef der ersten Nachkriegsjahre, Mátyás Rákosi, "wollte einen Ausgleich" und Mindszenty habe mit seiner Sturheit seine Kirche ruiniert.

Zynischerweise sagte er auch später noch, er halte es für nicht nötig, dass Mindszenty rehabilitiert werde, weil "das Leiden auf sich zu nehmen, in der Kirche eine natürliche Sache sei" (Fernsehinterview am 14. Mai 1989). Es ist kein einziger Fall bekannt, in dem Paskai sich für Priester, die wegen der Verweigerung des Staatseides suspendiert oder für Gläubige, die wegen der Verweigerung des Wehrdienstes verfolgt wurden, eingesetzt hätte.

Im Gegenteil: Die Bischofskonferenz gab noch 1987 ein Rundschreiben heraus, das diejenigen, die den Dienst mit der Waffe verweigert hatten, verurteilte. Kennzeichnend für Paskais übertriebene und auffällige Loyalität war, dass er im September 1989 in der Bischofskonferenz als einziger für die Aufrechterhaltung der "Bewegung der Friedenspriester", die die Sammelstelle der mit dem Einparteistaat kollaborierenden Priester war, stimmte.

Was ist mit Paskai zwischen 1975 und 1989 passiert, dass er aus einer Person, die die Mitarbeiter des Innenministeriums ausgetrickst hat, zum treuen Diener des Kádárismus geworden ist? Er als Betroffener äußert sich nicht dazu, obwohl er sich noch vor einem Jahr an der Wahl des Papstes beteiligt hat. Paradoxerweise sollte er sich für die Dokumente seiner Agententätigkeit bis 1975 nicht schämen: Was sich aus diesen Unterlagen ergibt, spricht eher für ihn, weil seine Berichte nur nichtssagende Dinge enthalten.

Das Agentendossier des "Lehrers" birgt aber auch mit andere Erkenntnisse. So hatte sogar der Agent, der in einer sehr bedrängten Lage war, einen gewissen Spielraum. Es stellt sich also nicht die Frage, wer in einer Diktatur IM geworden ist, sondern die Frage, was er dann getan hat.

Die Geschichte von Paskai als IM - zumindest aufgrund der zur Verfügung stehenden Fakten - beweist, dass man inoffizieller Mitarbeiter sein konnte, auch ohne besonders niederträchtig zu werden. Er taute nur langsam auf, aber auch nach zehn Jahren lieferte er sich nicht ganz den Organen der Staatssicherheit aus. Man muss hinzufügen: Viele Geistliche, etwa die Bischöfe Mihály Endrey und József Udvary waren viel mutiger als Paskai, sie haben nicht einmal das getan, in manchen Fällen waren sie sogar nicht bereit, mit dem staatlichen Kirchenamt ÁEH zusammenzuarbeiten. Auch unter den Agenten gab es manche, die einen stärkeren Widerstand geleistet haben.

Spielraum und Zwangsweg

Es stimmt also nicht, dass Paskai wegen seiner Agententätigkeit ganz freigesprochen werden kann, weil man dann diejenigen, die der Versuchung des Bösen besser als er widerstehen konnten, negieren würde. Diejenigen, die die Helden und Märtyrer der Kirche sind.

Daraus folgt aber auch, dass die Veröffentlichung der Akten nicht nur "Verlierer" entstehen lässt. Bezüglich vieler Personen, die als Agenten abgestempelt worden sind, könnte es sich herausstellen, dass sie auch innerhalb der ihnen aufgezwungenen Rolle einen Spielraum gefunden haben und ihre Menschenwürde und ihre menschliche Integrität bewahren konnten. Mit dem gegenwärtigen Schweigen konserviert die Ungarische Katholische Bischofskonferenz aber das Kádár-Regime. Jede einzelne Person, die insgeheim noch ihre Agentenvergangenheit mit sich schleppt, ist ein Gefangener der Diktatur, auch 15 Jahre nach der Wende.

Gleichzeitig gibt es aber auch die beängstigende Erfahrung, dass sogar auch bei Personen, die ihrer Verpflichtung als Agent nur zögerlich nachgekommen sind, mit der Zeit eine Art Loyalität gegenüber der Staatsmacht, die sie aber eigentlich gedemütigt hat, entstehen konnte.

Die erzwungene Übernahme der niederträchtigen Rolle hat in vielen Personen den inneren Widerstand nicht erhöht, sondern geschwächt. Die Verantwortlichen der Geheimdienste haben gerade mit dieser Fehlbarkeit der menschlichen Seele gerechnet. Das war ihre größte Niedertracht.

Die Stärkung dieser Erkenntnis in der Öffentlichkeit ist der Sinn der Veröffentlichung der Agentenberichte.

Der Autor ist Historiker und lebt in Ungarn. Er ist landesweit als Autor des Buches "Die Schlacht um Budapest", das auch auf Deutsch übersetzt wurde, bekannt.

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