Defensive Militanz
Die rechtsextreme Bürgerwehr "Soldiers of Odin"(SOO) geht gegen Migranten vor - und verbreitet sich international.
Die rechtsextreme Bürgerwehr "Soldiers of Odin"(SOO) geht gegen Migranten vor - und verbreitet sich international.
Mitte Juli sorgte eine Nachrichtenmeldung in den Niederlanden für Aufsehen: In der Provinz Groningen nahm die Polizei einen Asylbewerber fest, der mehrere Frauen belästigt haben sollte. Zuvor war der Mann durch eine selbsternannte Bürgerwehr gestellt worden - nach einer "Treibjagd", wie die Tageszeitung Volkskrant berichtete. "Auf der Runde durchs Viertel", so beschrieb es die Gruppe auf ihrer Facebook-Seite. Ihr Name: "Soldiers Of Odin". Es war das erste Mal, dass er in den Niederlanden auftauchte. Und so fragten sich die Medien: Wer sind diese Soldaten Odins und wo kommen sie her?
Die Frage stellt man sich in diesem Jahr in mehreren Ländern. Im Februar begannen Patrouillen in Estland und Norwegen. Im Lauf des Winters und Frühjahrs entstanden mehrere lokale Abteilungen in kanadischen Städten. Es gibt ein Video der Gruppe mit dem Titel "United Pride Worldwide", in dem entschlossen blickende Männer in schwarzer Kleidung durch dunkle Straßen ziehen. Männerbündisch sieht das aus, martialisch, wie ein Aufmarsch. Sie tragen Kapuzen und darunter ziemlich kurze Haare. Am Ende erscheint das Logo von "Soldiers Of Odin" (SOO), die schwarz-weiße Silhouette eines Wikingers mit Hörnerhelm, mit den Flaggen Finnlands, Belgiens, Frankreichs, Islands, Irlands, Großbritanniens, der Schweiz und Australiens. Auch in Tschechien, Deutschland und den USA gibt es Abteilungen.
Selbsternannte Beschützer
Der Bezug auf den nordischen Kriegsgott ist kein Zufall. Geografisch nicht, denn SOO entstanden im Oktober 2015 in der finnischen Kleinstadt Kemi, an der schwedischen Grenze gelegen. Anlass war die Ankunft zahlreicher Migranten in Finnland im Zuge der europäischen Flüchtlingskrise. SOO, die sich gegen Einwanderung sowie vermeintliche Überfremdung und Islamisierung richten, verbreiteten sich vor allem in den skandinavischen Ländern schnell.
Inhaltlich indes ist die Referenz an Odin entweder eine deutliche Ansage oder zumindest ein rhetorischer Verweis an die neonazistische Szene. Nordische und heidnische Mythologie spielen dort seit langem eine bedeutende Rolle. Gründer Mika Ranta ist Mitglied der Finnischen Widerstandsbewegung, ein Zweig der in Skandinavien aktiven Nordischen Widerstandsbewegung. Diese ist neonazistisch und bekannt für zahlreiche rassistische, antisemitische und homophobe Aktionen sowie Angriffe auf Linke. Ranta ist nicht die einzige personelle Verbindung in die militante Rechte. Gleiches wird aus anderen Ländern gemeldet, etwa aus Kanada oder den Niederlanden.
"Soldiers Of Odin" selbst freilich stellen sich ganz anders dar. "Protecting our Citizens and Defending our Streets", diese Parole findet sich auf ihrer Facebook-Seite. Eine Auffassung, wie sie in der heutigen Zeit gebräuchlich ist: Es gilt, das Abendland gegen Islamisierung zu verteidigen, die Nachbarschaft vor Fremden zu schützen, die Grenzen vor Immigranten und die Frauen vor Antänzern. Kein Zufall ist es, dass der internationale Zuwachs von SOO sich einstellte, als die sexistischen Übergriffe der Kölner Silvesternacht in vielen europäischen Ländern den Diskurs bestimmten.
Das Selbstverständnis der Soldaten Odins leitet sich aus dieser Perspektive ab. "Wir halten die Straße sicher für Kinder, Frauen und Alte. Wir spielen nicht selber Richter, sondern übergeben Leute der Polizei. Und wir machen keinen Unterschied nach Hautfarbe. Einen Weißen, der mit Drogen dealt, halten wir auch fest. Warum also sollten wir extrem sein?"
Mit diesen Worten beschreibt der Gründer der SOO-Abteilung im niederländischen Kerkrade unter dem Tarnnamen "Ragnor" gegenüber der Regionalzeitung De Limburger deren Tätigkeit. In einem Statement einer kanadischen Abteilung heißt es, man wolle "die Straßen zurückerobern." Ronny Alte, ehemaliger SOO-Sprecher in Norwegen, sagte Reuters, man wolle vor allem "Gewalt und Drogenverkauf verhindern und nicht zuletzt sexuelle Übergriffe."
Doppelbödige Moral
Unabhängig davon, um welchen nationalen SOO-Zweig es sich handelt, fällt eines auf: In Online-Foren klingen nicht wenige Beiträge von Mitgliedern und Sympathisanten so, als meinten ihre Absender das durchaus ernst. Man mag gegen diese Hilfssheriff-Mentalität einige Argumente finden, ihren Trägern einen fortgeschrittenen Law-and-Order-Fetischismus diagnostizieren und die Anmaßung kritisieren, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Vielleicht sollte man aber auch die schrittweise Normalisierung von Neighbourhood-Watch-Projekten ins Auge fassen, wenn man sich fragt, woher das Modell Bürgerwehr im 21. Jahrhundert seinen Sex-Appeal bezieht.
Gerade dabei gibt es just frappierende Parallelen mit denen, die SOO als ihre Gegner wahrnehmen. Auch die besessenen Tugendritter der Londoner "Muslim Patrol" oder der Wuppertaler "Scharia-Polizei" agierten im Bewusstsein, die vermeintlich eigene Bevölkerungsgruppe oder ihr Quartier gegen schändliche Einflüsse verteidigen zu müssen. Dass man dabei auch gerne drohend und handgreiflich wurde gegen angeblich zu leicht bekleidete Frauen und Homosexuelle oder nächtlichen Passanten die Bierflaschen wegnahm, gehörte zum Auftreten dazu. Der selbstgerechte religiöse Eifer rechtfertigte das, und so ließ sich Militanz als Defensive umdeuten.
Eine weitere Gemeinsamkeit zeigte sich zu Jahresbeginn: In London reagierte der National-Front-Ableger "Britain First" 2014 mit sogenannten "Christian Patrols". Zwei Jahre später berichten norwegische Zeitungen von einer Gruppe namens "Soldiers Of Allah", die als Gegenmaßnahme zu den SOO-Aktivitäten nun durch Oslo patrouilliert. Mission: "Das Böse verhindern und das Gute ermutigen", zitierte die Zeitung Verdens Gang. Nach dem Start in Oslo strebt man eine Ausdehnung auf weitere Städte an. Nicht umsonst äußern sich skandinavische Politiker nicht nur kritisch gegenüber SOO, sondern warnen allgemein vor einem vermehrten Aufkommen von Bürgerwehren.
Was "Soldiers Of Odin" betrifft, so distanziert man sich in den wenigen offiziellen Statements der Gruppen freilich genauso nachdrücklich von Gewalt wie von den nazistischen Umtrieben einiger Mitglieder. Deren frühere Aktivitäten in der White-Pride-Szene werden bisweilen salopp als Jugendsünden abgetan. Medienberichte, wonach sich in Kemi, der finnischen Wiege der SOO-Bewegung, manche Migranten nachts nicht mehr auf die Straße trauen, sprechen eine andere Sprache.
Schwieriger als einfach nur rechts
Es ist ein wild schwingendes Pendel, das dort im Namen Odins ausschlägt. Selbst die rechte britische Boulevardzeitung Daily Mail musste nach einem exklusiven Besuch im Hauptquartier in Kemi feststellen, dass dort um den Tresen herum Waffen-Repliken ausliegen und Nazi-Devotionalien wie ein Totenkopf mit SS-Mütze oder ein Hakenkreuz-Dolch. Zugleich leisten etwa die SOO-Mitglieder im kanadischen Edmonton Freiwilligenarbeit in einem Obdachlosenheim, und ihre niederländischen Kollegen starteten in diesem Sommer per Facebook einen Spenden-Aufruf, um Bedürftigen zu helfen. Im Nachbarland Belgien sorgte man sich zur gleichen Zeit dagegen über die Erkenntnis, dass vier Militärs SOO-Mitglieder sind.
Ein detailliertes Bild der "Soldiers Of Odin" bekommt man demnach nur, wenn man all diese Puzzle-Teilchen zusammenfügt. Der Befund ist eine Bestätigung dessen, was man schon von Pegida kennt: Die Kategorien "Nazis" oder "keine Nazis" greifen zu kurz, um die jüngsten Entwicklungen in der europäischen Rechten zu erfassen. Trotz personeller und inhaltlicher Affinitäten wird man SOO damit nicht gerecht. Zutreffender wäre wohl die Bezeichnung "rechtsoffen", die auch gewisse Patriotenrock-Bands oder nationalpopulistische Parteien charakterisiert. Mit dieser Brückenfunktion vom bürgerlichen ins radikale Spektrum ist die Gruppierung ein typisches Phänomen dieser Zeit. So wie übrigens auch die Gegenbewegung, die sich spontan in Finnland gebildet hat: Die "Loldiers Of Odin" sind eine Gruppe von Clowns, die nun ebenfalls durch die Straßen der großen Städte patrouillieren. Mit Trompeten, Trommeln und Zuckerwerk. Die "Soldiers" fühlen sich verunglimpft und drohen den "Loldiers" mit Klagen. Wegen widerrechtlicher Verwendung des Namens.