Dem Leiden Sinn abgewinnen

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Er war kein Märtyrer, kein Ordensgründer und kein bedeutender Theologe. Warum wird Jakob Kern (1897 - 1924) am 21. Juni vom Papst eigentlich seliggesprochen?

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Er war kein Märtyrer, kein Ordensgründer und kein bedeutender Theologe. Warum wird Jakob Kern (1897 - 1924) am 21. Juni vom Papst eigentlich seliggesprochen?

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Selbst der sonst so wortgewandte Prälat der Prämonstratenser-Chorherren vom Stift Geras im Waldviertel, Abt Joachim F. Angerer, ringt nach Worten, wenn er gefragt wird, warum gerade dieses Mitglied seines Ordens demnächst zu den Seligen gezählt werden darf: "Das Außergewöhnliche an Jakob Kern war eigentlich das Gewöhnliche, das Alltägliche." Wie ratlos auch immer man mit solchen Auskünften zurückbleibt, so wahr ist doch eines: Das Leben des Franz Alexander Kern, wie sein Taufnahme lautete, enthält keine spektakulären Höhepunkte. Es ist vermutlich das Schicksal von Millionen Kriegsopfern, die ihre körperlichen und seelischen Verwundungen ihr ganzes Leben lang zu bewältigen versuchen.

Der Erste Weltkrieg war das prägende Ereignis im Leben von Franz Kern: Er wuchs als Kind einer christlichen Arbeiterfamilie in Wien-Ottakring auf. Ab seinem 11. Lebensjahr besuchte er das Erzbischöfliche Knabenseminar in Hollabrunn. Doch sein großer Wunsch, Theologie zu studieren und Priester zu werden, wurde vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges durchkreuzt. Kern legte die Kriegsmatura ab und wurde schließlich 1916 als Einjährig-Freiwilliger zum 4. Tiroler Kaiserjägerregiment und zur Offiziersausbildung nach Vöcklabruck versetzt. Im selben Jahr verzeichnet sein Feldtagebuch am 11.September lapidar: "Verwundet durch Gewehrschuß. Lungen- und Leberdurchschuß."

Mit diesem Tag an der Front in Südtirol beginnt eine ständige Gratwanderung zwischen Leben und Tod. Fast ein dreiviertel Jahr lang ringt Kern ums Überleben. Er hat nach wie vor ein Ziel, das ihn durchhalten läßt: Priester zu werden. Tatsächlich übersteht er eine Notoperation, erholt sich langsam - und wird umgehend an die Front zurückbeordert. Erst nach dem Ende des Krieges rückt er seinem Ziel um einen Schritt näher: Er tritt ins Wiener Priesterseminar ein und beginnt sein Theologiestudium.

Doch die Zeiten sind chaotisch. Nach dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie mit ihrer Gesellschaftsordnung befinden sich auch andere alte und ehrwürdige Autoritäten in der Krise. Besonders dann, wenn sie - wie die römisch-katholische Kirche - eng mit der Obrigkeit verbunden sind. Aus Protest gegen die österreichische Militärdiktatur wird in der endlich unabhängig gewordenen Tschechoslowakei eine eigene Kirche gegründet: die Tschechische Nationalkirche. Sie setzt sich für die Entfeudalisierung kirchlicher Strukturen, für die Freigabe des Zölibats, für Unabhängigkeit von Rom und für die Feier der Liturgie in der Nationalsprache ein - Reformbemühungen, die heute wieder aktuell und populär sind.

Damals jedoch ist der Aufschrei der Empörung unter den monarchie- und romtreuen Katholiken Österreichs groß. Auch Franz Kern ist als überzeugter Patriot über die aufmüpfigen Tschechen empört und erschüttert. Und als schließlich die Nachricht die Runde macht, daß ein tschechischer Prämonstratenserpriester, Isidor Bogdan Zahradnik, aus dem Orden austritt, heiratet und sich der neugegründeten Nationalkirche anschließt, faßt Kern einen Entschluß, der heute schwer nachvollziehbar erscheint: Er nimmt den Austritt Zahradniks zum Anlaß, selbst anstelle Zahradniks in den Prämonstratenser-Orden einzutreten. Da Kern den damaligen Prälaten von Stift Geras, Abt Ämilian Greisl, kennt, bittet er in Geras um Aufnahme, was ihm 1920 auch gewährt wird. Nach einem Jahr legt er die einfache Profeß ab. Schließlich wird er dort 1922 auch zum Priester geweiht und als Seelsorger in mehreren kleinen Waldviertler Pfarren des Stiftes eingesetzt Sein durch die Kriegsverletzungen ständig angegriffener Gesundheitszustand verschlechtert sich aber so gravierend, daß wieder eine Operation notwendig ist: 1923 werden Kern, der mittlerweile den Ordensnamen "Jakob" nach dem Märtyrer Jakob Lacops aus dem 16. Jahrhundert trägt, unter lokaler Betäubung vier Rippen entfernt. Auch diese Operation übersteht er noch einmal dank seines zähen Durchhaltewillens, doch lassen seine Kräfte stark nach. Nach einer Erholungszeit in Meran setzt er seine Tätigkeit als Seelsorger fort. Doch bereits ein Jahr später, am Tag seiner feierlichen Ordensprofeß, muß er nach etlichen Blutstürzen wieder an der Lunge operiert werden. Diesmal überlebt er den Eingriff nicht.

Historische Quellen sind nicht zugänglich Vieles an Jakob Kern - vor allem seine Auffassung von Selbstopfer und Sühne - ist nur aus der politisch-historischen Situation seiner Zeit und der Spiritualität des 19. Jahrhunderts erklärbar und aus heutiger theologischer Sicht problematisch. Umso unbegreiflicher ist daher die Tatsache, daß praktisch keine Arbeiten existieren, die das Leben des neuen Seligen historisch-kritisch untersuchen. Dagegen dominieren süßlich-kitschige Stilisierungen der Sühnebereitschaft Jakob Kerns, die teilweise keine Grundlage in seinen eigenen Aufzeichnungen haben und den neuen Seligen in größere Entfernung rücken als es nötig wäre.

Gerade Jakob Kern war nämlich ein äußerst humorvoller und geselliger Mensch. Seine Bundesbrüder bei der Studentenverbindung Amelungia schätzten seine Kameradschaftlichkeit und den Schalk, der ihm oft genug im Nacken saß, wenn er mit ihnen zusammen auf der Bude eine Zigarre rauchte und sein Bier trank. Bei der Amelungia, die seine Seligsprechung maßgeblich betrieben und den seligen Bundesbruder heute auf ihr Banner geschrieben hat, fand Kern Freunde, die seine idealistische Lebenseinstellung schätzten.

Kern war sicher kein großer Denker, der den Krieg und die Ideale seiner Zeit kritisch hinterfragt hätte. Doch er war ein ungemein liebenswürdiger Mensch. Zeitzeugen wie Helene Oswald aus Geras, die Kern als 16jähriges Mädchen kennenlernte, berichten von der fröhlichen Ausstrahlung, die der junge Ordensbruder trotz seiner schweren Krankheit besaß: "Er war ein Mensch, der nie grantig war. Ich habe ihn nie gesehen, daß er entweder ungeduldig gewesen wäre oder zwider ... obwohl er ja oft Blut gespuckt hat. Er war immer freundlich. Unsere Mutter hat immer gesagt: Das ist ja ein halber Heiliger." In den Waldviertler Dörfern um das Stift schätzte man die einfachen und klaren Worte des jungen Priesters bei der Predigt, seine einfühlenden Worte als Beichtvater und seinen unbedingten Einsatz als Seelsorger.

Dieses Engagement und sein tiefer Glaube gaben ihm Kraft, seinem lebenslangen Kriegsleiden einen Sinn abzugewinnen. Der emeritierte Ordinarius für Christliche Philosophie in Wien, Karl Wucherer-Huldenfeld - selbst ein Geraser Prämonstratenser -, will jeder Glorifizierung des Leidens von Jakob Kern vorbeugen, wenn er über seinen Mitbruder sagt: "Er hat sich dieses Leiden nicht gewünscht, im Gegenteil: Er hat immer wieder Pläne für die Zeit seiner Genesung gemacht. Aber er hat tapfer ohne Verbitterung das ihm auferlegte Leiden getragen. Er war kein großer Theologe; er hat einfach gewußt: Ich muß dort, wo ich stehe, tun, was ich kann."

Stellvertretend für die vielen, die aus dem Glauben ihrem Leiden ebenfalls Sinn abgewinnen, wird Jakob Kern am 21. Juni bei der Papstmesse auf dem Wiener Heldenplatz seliggesprochen werden.

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