Demütig sein. Trösten.

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Fragen an die Religion - nicht nur nach Beben, Tsunami und Flut.

Irgendwie war zu erwarten, dass die Religion wieder ins Spiel kommt: Die Geologen & Co mögen erläutern können, dass es die Erdplatten waren, die sich da im Indischen Ozean aufeinander geschoben haben. Man findet sich rational ab mit dieser Erklärung. Doch man will sich intellektuell wie emotional ganz und gar nicht damit abfinden, dass dies einhergeht mit jedenfalls Hunderttausenden Toten und dazu noch zigfachem Elend.

Auch in einer Medienöffentlichkeit, der mittlerweile kein Unglück auf der Welt mehr fremd ist, und die ob der tagtäglichen Überflutung mit Meldungen über Not und Leid Betroffenheit oft nur mehr vorgaukelt, waren bald Fragen nach dem Warum zu hören und zu lesen.

Kommentatoren wie Kirchenleute setzten sich mit der Theodizee auseinander, der in der Aufklärung neu formulierten Menschheitsfrage, warum Gott das Leid zulasse, und was für ein Gott das sei. In solchen Zeiten sind Theologen und Kirchenmänner gefragt - auch der Wiener Erzbischof musste da in der zib Rede und Antwort stehen. Es sei "Gottes Zorn" gewesen, habe ein Muslim in Aceh gemeint, und ein führender Christ habe von einem "Anruf zur Umkehr" gesprochen. Und betroffen von dem, was er in Aceh erlebt hatte, schrieb Kardinal Schönborn in der Wiener Kirchenzeitung Der Sonntag, die Geschehnisse in Südasien hätten ihn daran erinnert, "dass wir dem Schöpfer in jedem Augenblick unser Dasein verdanken und daher dankbar jeden Tag als ein unverdientes Geschenk annehmen sollten".

An den allmächtigen und gütigen Gott glaube ja kaum mehr jemand, "vor allem auch nach Auschwitz", wischte Georg Hoffmann-Ostenhof im profil die Diskussion um die Religion beiseite. Deswegen klängen "die Auslassungen der Theologen, Bischöfe und Priester zum Thema vielfach so wolkig und zuweilen geradezu lächerlich".

Des Kardinals zitierte Worte wie des sich hier als Religionskritiker gerierenden Polit-Kommentators haben, wenn sie auch diametral argumentieren, eine Gemeinsamkeit: Die Religionsgeschichte seit Menschheitsbeginn, aber auch die Aufklärung und ihre Folgen haben keine schlüssige, rationale Antwort auf die Leid-Frage zu geben vermocht. Selbst eine "globale" Mediengesellschaft steht vor Grenzen, die sie nicht überwinden kann: Die Ohnmacht des Menschen angesichts des Leids ist nicht zu leugnen.

Was aber soll dann von der Religion geleistet werden, wenn sie die Unfassbarkeiten der Existenz nicht zu erklären imstande ist?

Der große Theologe Karl Rahner hat in den siebziger Jahren in Bezug auf die Frage nach dem Sinn des Leids verschiedene Antwortmöglichkeiten auf ihre Tragfähigkeit hin abgeklopft - und alle verworfen. Weder ein Zorn Gottes, noch eine Läuterung des Menschen noch sonst etwas könne der Sinn des Leidens sein: Wie könnte auch das Hinraffen eines unschuldigen Babys durch die Flut mit einem gütigen Gott vereinbar sein? Rahners Erkenntnis: So wie Gott letztlich ein Geheimnis bleibe, so sei es auch mit der Frage nach dem Leid.

Eine dürftige Antwort? Vielleicht. Oder eine Aufforderung zur Demut, dass auch Religion hier nichts erklären kann.

Was aber bleibt dann zu tun? Vielleicht ganz wenig: Trost geben. Wenn der Religion sonst nichts anderes zukommt, dann zumindest dies.

"Aus der Tiefe rufe ich zu dir": Solcher Schrei, niedergeschrieben in den Psalmen, ist etwa für Christen (und Juden) eine religiöse Wirklichkeit - und auch das darauf folgende "Höre meine Stimme!" Oder Prophetenworte, einem Volk in Unterdrückung zugesprochen: "Tröstet, tröstet mein Volk!"

Dass - im Gegensatz zur zitierten Kommentatoren-Meinung - die Religion nach Auschwitz eben nicht verschwunden ist, hat auch damit zu tun, dass sich Theologen, oder allgemein: religiöse Menschen genau auf diese Trost-Aufgabe der Religion, dieses Trotz-allem-Hoffen besonnen haben.

Eine spektakuläre Katastrophe mag im ersten Augenblick Aufsehen erregende Erklärungen verlangen. Beim zweiten Hinsehen aber erweist sich auf die Frage nach dem Sinn des Leids vielleicht doch, dass der Religion und ihren großen wie kleinen Repräsentanten zukommt, Trostgeberin zu sein.

Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

otto.friedrich@furche.at

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