„Den Dialog mit der gelebten Religion der Menschen führen“

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Auch für Christen ist eine Begegnung mit Angehörigen anderer Religionen in Wertschätzung möglich, die die Wahrheit der anderen bejaht, meint Missionstheologe Franz Helm.

Er hat als junger Priester in Brasilien in den Basisgemeinden gelebt und dort auch Missiologie studiert. Seit Mitte der 90er-Jahre gehört P. Franz Helm SVD in Österreich zu den „Missionsexperten“.

Die Furche: Pater Helm, in einem Artikel der Zeitschrift „Bilum“ schreiben Sie von einem neuen Verständnis des Begriffs Mission, das stark in Richtung Dialog geht. Hat Mission dann überhaupt noch etwas damit zu tun, neue Christen „anzuwerben“?

P. Franz Helm: Dialog bedeutet keine Selbstaufgabe. Warum soll es heute für Unternehmen, politische Parteien und zivilgesellschaftliche Gruppierungen selbstverständlich sein, andere zu überzeugen und sie auch zu einer Übernahme von eigenen Produkten und Aktivitäten zu bewegen, aber für Religionen nicht? Ich würde es aber nicht „anwerben“ nennen, sondern „vorschlagen“ und „einladen“.

Die Furche: Kann man einem Andersgläubigen gleichzeitig mit Respekt begegnen und versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass der eigene Glaube der richtige ist?

Helm: Der Respekt vor der Glaubensüberzeugung der anderen schließt noch nicht die Zustimmung und schon gar nicht die Übereinstimmung mit ein. Manchmal muss – bei allem Respekt – eine gegenteilige Meinung vertreten werden, und man darf auch umgekehrt auf Respekt hoffen. Die katholische Kirche hat im 2. Vatikanum festgelegt, dass sie nichts von alledem ablehnt, was in anderen Religionen gut und heilig ist. Daher ist eine Begegnung in Wertschätzung möglich, die die Wahrheit der anderen bejaht.

Die Furche: Muss man dann nicht zwangsläufig von der Mission im Sinne der „Anwerbung“ oder „Bekehrung“ absehen?

Helm: Ein altes Axiom besagt, dass das, was wir nicht von Gott wissen, ungleich größer ist als das, was wir wissen. Gemeinsam sind wir verpflichtet, dem unsere Begriffe und Vorstellungen sprengenden Gott suchend nahezukommen. Der Dialog wird umso intensiver, je mehr die Bereitschaft wächst, voneinander zu lernen und die Sehnsucht da ist, die anderen – bei voller Wahrung ihrer Freiheit – für den eigenen Glauben oder die eigene Gemeinschaft zu gewinnen.

Die Furche: Welchen Platz haben in diesem Konzept die sogenannten Naturreligionen? Oft wirkt es, vor allem in Bezug auf Afrika, als wären diese Religionen das sprichwörtliche fünfte Rad am von Christentum und Islam gelenkten Wagen …

Helm: Der Respekt muss natürlich genauso den „Naturreligionen“ wie den „Weltreligionen“ gelten. Die Gefahr besteht, dass christliche Theologie und Institution ein übermächtiges und ungleiches Gegenüber ist. Mir scheint, dass christliche Kirchen westlicher Prägung manchmal gerade deshalb nicht in der afrikanischen Lebensrealität angekommen sind, weil sie den Dialog mit der gelebten Religion der Menschen zu wenig geführt haben und weil vieles als überholt oder magisch abgelehnt wird.

Die Furche: Sie sagen, dass im Zuge dieses neuen Missionsverständnisses alle christlichen Kirchen zusammenarbeiten. Wie gehen Sie mit Evangelikalen oder Pfingstkirchen um, die ja durchaus in ihrem Missionsverständnis recht offensiv auftreten?

Helm: Die Zusammenarbeit funktioniert sicher am besten mit den historischen protestantischen Kirchen, wie Lutheranern oder Anglikanern, eventuell auch noch mit der nächsten Generation, also zum Beispiel Methodisten. Bei unabhängigen Kirchen, die sich bewusst in Distanz zu den historischen Kirchen konstituiert haben, ist das schwierig. Ebenso bei Evangelikalen und Pfingstkirchen, die traditionell anti-ökumenisch sind. Allerdings ist zu beobachten, dass auch diese Kirchen eine Entwicklung durchmachen, die hinzielt auf ein ganzheitliches Missionsverständnis. Das heißt, auch Fragen der menschlichen Entwicklung, von Versöhnung, Frieden und Gerechtigkeit sowie von Bewahrung der Schöpfung werden stärker bedacht.

Die Furche: Warum sind diese Kirchen in Afrika so erfolgreich?

Helm: Ich denke, sie haben viel Zulauf, weil sie den Nöten und Bedürfnissen der Menschen entgegenkommen. Einerseits können kleine Gemeinden in den schnell wachsenden Städten den Menschen, die ihren sozialen Rückhalt in Dorf oder Clan verloren haben, neue Heimat und konkrete Unterstützung in einem fremden Umfeld geben. Ein strenger Moralkodex hilft auch, in der neuen Umgebung zu einem geordneten Leben zu finden. Andererseits hat die afrikanische Religiosität emphatische Züge, und das Wirken von Geistern in der Welt ist nach diesem Weltbild eine selbstverständliche Realität. Das kommt den Pfingstkirchen entgegen. Genauso wie die Tatsache, dass, wenn kein Geld da ist, um Medikamente zu kaufen, die Aussicht auf Wunderheilung sehr ansprechend ist.

Die Furche: Welche Auswirkungen haben Fundamentalisten auf den Versuch, den Missionsbegriff modern aufzufassen?

Helm: Fundamentalismus macht dialogunfähig, weil er von vorgegebenen fixen Wahrheiten und Werthaltungen ausgeht. Statt Wahrheit und Werte in der Begegnung mit anderen immer neu zu aktualisieren und zu konkretisieren, werden sie verabsolutiert. Diese Haltung ist in einer unüberschaubaren sich schnell verändernden Welt und Gesellschaft zwar verständlich, sie hilft aber nicht, diese Welt den heutigen Herausforderungen entsprechend zu gestalten.

(Die Fragen stellte Michael Weiß per E-Mail.)

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