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Katholisch-jüdische Beziehungen: Den Dialog wieder beleben

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Die Kirche könnte und müsste einiges tun, um die in Stagnation befindlichen katholisch-jüdischen Beziehungen in Fahrt zu bringen.

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Die Kirche könnte und müsste einiges tun, um die in Stagnation befindlichen katholisch-jüdischen Beziehungen in Fahrt zu bringen.

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In den letzten Jahren stieg in katholisch-jüdischen Dialogkreisen die Sorge um eine Stagnation dieses Dialogs - insbesondere auf der institutionellen Ebene. Zum einen war da die laue Reaktion katholischer Bischöfe und des Vatikans auf Mel Gibsons neuerliche Verwendung klassischer antisemitischer Stereotype in seinem Film "Die Passion Christi" 2004. Zuvor hatten schon der amerikanische Theologe und Kardinal Avery Dulles und Stimmen aus dem Vatikan das Dokument "Reflexionen über Bund und Mission", das 2002 aus dem Dialog zwischen dem Nationalen Rat der Synagogen und dem Sekretariat für ökumenische und interreligiöse Beziehungen der US-Bischofskonferenz entstanden war, attackiert. Diese Stellungnahme war von Kardinal Walter Kasper, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen und dessen Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden, ausdrücklich ermutigt worden.

Klassischer Antijudaismus

Allerdings war Kasper in der letzten Zeit bei theologischen Themen leise geworden, obwohl er die Konsultation "Christus und das jüdische Volk", die von führenden katholischen Bildungsinstitutionen in Europa und den USA veranstaltet wurde, stillschweigend unterstützt hatte und zu deren Treffen im italienischen Arriccia, Oktober 2006, auch persönlich gekommen war. Zu Beginn seiner Präsidentschaft beim Einheitsrat 2001 hatte Kasper Bahnbrechendes zum christlich-jüdischen Verhältnis geliefert, in den vergangenen Jahren nahm das stark ab. Es gelang ihm auch nicht, 2005, anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums der Konzilserklärung Nostra Aetate eine neue vatikanische Stellungnahme dazu herauszubringen.

Schlüsselfrage ist, ob die Überlegungen Kaspers oder die Ergebnisse der Konsultation "Christus und das jüdische Volk" ins katholische theologische Denken Eingang finden können. Die Theologie des christlich-jüdischen Verhältnisses, wie sie von Gregory Baum oder Johann Baptist Metz entwickelt wurde, steht im Nervenzentrum christlicher Identität. Als oberster Sprecher des Vatikans sowohl für die Ökumene der Christen untereinander als auch für die christlich-jüdischen Beziehung könnte Kardinal Kasper ein Vehikel dafür sein, dass das neue Verständnis theologischer Mainstream wird. Aber in der Karwoche 2007 unterstützte Kasper persönlich eine vom Vatikan und der russisch-orthodoxen Kirche veranstaltete Aufführung der Matthäuspassion (einer Komposition des Wiener russisch-orthodoxen Bischofs Hilarion Alfejew, Anm.), wo Texte der klassischen antijüdischen Theologie der Kirchenväter, die in orthodoxen Kreisen verbreitet ist, verwendet wurden, etwa das Wort: "Du (Christus) hast uns befreit vom Fluch des Gesetzes."

Damit sich die christlich-jüdischen Beziehungen verbessern, müsste die Kirchenleitung aber bereit sein, gegen die fortdauernden Manifestationen des klassischen theologischen Antijudaismus aufzutreten. Nur wenn die neue Theologie des Verhältnisses der Kirche zum jüdischen Volk hier in den Vordergrund tritt, kann man wirklich sagen, dass diese die christliche Seele erreicht hat.

Ein Test für das Verhalten der Kirche wird sein, wenn das Dokument über die Grundlage kirchlicher Identität der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des Weltkirchenrats, in der auch der Vatikan Mitglied ist, erscheint. Der Internationale Rat der Christen und Juden veranstaltete im Dezember 2006 gemeinsam mit dieser Kommission eine Konsultation im schweizerischen Boldern. Die Leitung der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung gab damals zu einiger Hoffnung Anlass, dass in dieses das neue theologische Denken, das durch den christlich-jüdischen Dialog entstanden ist, einbezogen wird.

Der gegenwärtige Papst schrieb als Präfekt der Glaubenskongregation einige potenziell positive Aufsätze zur Theologie des katholisch-jüdischen Verhältnisses, darunter sein Vorwort zum ausführlichen Dokument der Päpstlichen Bibelkommission "Das jüdische Volk und seine heilige Schrift in der christlichen Bibel" (2001). Aber bis heute gab es wenige Anzeichen für diese Sicht in seinen Äußerungen als Papst. Im Gegenteil, einige seiner Überlegungen, etwa die Gründonnerstagspredigt 2007, scheinen sich teilweise an der antijüdischen Sichtweise eines Johannes Chrysostomus auszurichten.

Anlass zur Sorge gibt auch, dass ein Vortrag von Kardinal Dulles, den er 2005 in Washington hielt, von der Kirchenleitung öffentlich unwidersprochen blieb. Der Vortrag richtete sich gegen das Herzstück von Nostra Aetate und die eindeutige Lehre von Johannes Paul II., indem Dulles erklärte, das II. Vatikanum habe die Frage, ob die Juden in den Bund Gottes mit eingeschlossen sind, nicht gelöst: Das ist ein Verweis auf den Gedanken in der klassischen christlichen Theologie, dass die Juden vom Bund Gottes ausgeschlossen wären, weil sie Jesus abgewiesen hätten. In der Linie solchen Denkens, das mittlerweile diskreditiert schien, wurden die Juden im Bund durch die Anhänger Christi ersetzt. Es gab nur private Versicherungen von Kardinal Kasper und anderen Bischöfen, Kardinal Dulles' Sichtweise wäre eine rein persönliche und repräsentiere nicht das offizielle katholische Denken. Aber ich selbst habe erlebt, wie andere Bischöfe die Sicht von Dulles gutgeheißen haben.

Wieder Ausgeschlossene?

Weiters scheint Papst Benedikt von der Anerkennung einer größeren katholischen Mitverantwortung an der Schoa Abstand zu nehmen. Hier scheint der gegenwärtige Papst hinter die von Johannes Paul II. eingestandene katholische Verstrickung zurückzugehen. Benedikt hat natürlich die NS-Ideologie verdammt und sich gegen Manifestationen des Antisemitismus geäußert. Aber in seiner Ansprache in der Kölner Synagoge 2005 und bei seinem Besuch im Auschwitz-Birkenau 2006 interpretierte er den Nationalsozialismus als neuheidnisches Phänomen und spielte die zentrale Rolle der klassischen Kirchenlehre als Nährboden für die Unterstützung seiner Ideologie herunter. Sowohl in Köln als auch in Birkenau erwähnte Benedikt weder das vatikanische Dokument über die Schoa 1998, "Wir erinnern", noch die stärkeren Aussagen über die katholische Mitverantwortung, wie sie in Stellungnahmen der deutschen (1995) und französischen (1997) Bischöfe sichtbar war.

Auch Benedikts XVI. jüngstes Motu Proprio "Summorum Pontificum", das den Gebrauch des tridentinischen Messritus erleichtert, wirft ernste Fragen auf, denn es scheint die praktische Eliminierung alttestamentlicher Lesungen zu sanktionieren sowie das Gebet für die Bekehrung der Juden aus dem Missale von 1962 neu zu bestätigen, das die Juden als "blind" anspricht und sagt, dass sie "einen Schleier vor ihren Augen" hätten.

Einige Bischofskonferenzen - darunter die deutsche und die US-amerikanische - haben den Papst ersucht, die nachkonziliare Version des Gebets für die Juden für alle liturgischen Feiern am Karfreitag verpflichtend zu machen. Der Internationale Rat der Christen und Juden, der Arbeitskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken und das Internationale Jüdische Komitee für interreligiöse Konsultationen haben dasselbe getan. Protest kam auch aus Österreich und Frankreich, die Oberrabbiner von Israel haben dem Papst gleichfalls in diesem Sinn geschrieben. Diese Frage könnte auf der Stelle durch ein päpstliches Dekret gelöst werden, wie es durch Papst Johannes XXIII. geschah, als er den auf die Juden gemünzten Ausdruck "perfideis"/"treulosen" aus dem Karfreitagsgebet eliminierte.

Bei der Auseinandersetzung um das Motu Proprio geht es um die fundamentale katholische Integrität. Die Medien haben wiederholt jüdische Besorgnisse über dieses Dokument thematisiert. Juden haben in der Tat jeden Grund, besorgt zu sein. Aber letztlich bleibt es ein katholisches Problem: Kann der Vatikan sowohl das weitaus positivere Gebet für die Juden in der nachkonziliaren Karfreitagsliturgie und gleichzeitig das erniedrigende Gebet des Messbuchs von 1962 gleichzeitig offiziell zulassen? Können Katholiken mit zwei Stimmen über die Beziehungen zum Judentum sprechen und ernst genommen werden? Wenn Papst Benedikt auf diese Sorgen nicht vor der Fastenzeit 2008 eingeht, dann wird er sich mit Sicherheit einer schlechten Bewertung katholisch-jüdischer Beziehungen gegenübersehen.

In den letzten vier Jahrzehnten hat es die katholische Kirche auch verabsäumt, ihr diesbezügliches Anmerken auch auf liturgische Bücher - inklusive der Texte liturgischer Gesänge - sowie auf Bibelstudienprogramme zu richten.

Hoffnung Bischofssynode

Kann der Dialog wieder in Fahrt kommen? Ich hoffe es. Das Vorbereitungsdokument für die Bischofssynode über die Bibel, die im Oktober 2008 stattfinden soll, hat mit einer großen Betonung der Verbindungen der Kirche zum jüdischen Volk dieses Potenzial - wenn die Bischofssynode es sich zu eigen macht. Aber das erfordert auch die gemeinsame Anstrengung jüdisch-christlicher Gruppen, um sicherzustellen, dass wichtige Bischöfe auf der Synode dieses Thema auch aufnehmen. Tun sie das, wird das sicher eine Nagelprobe für Benedikts XVI. persönliches Engagement für die katholisch-jüdische Versöhnung darstellen, denn der Papst muss das Schlussdokument der Synode ja approbieren.

Aber auch die Juden sollten den Dialog ernsthafter angehen, nicht zuletzt dessen theologische Dimensionen. Einige jüdische Gruppen, vielleicht aus der Einschätzung heraus, dass in diesem Pontifikat für die katholisch-jüdischen Beziehungen nicht viel zu holen sein wird, haben sich in eine "Nur das Boot nicht zum Schaukeln bringen"-Mentalität zurückgezogen, in der Hoffnung, dass sich das seit dem II. Vatikanum Erreichte festigt. Solch eine defätistische Haltung unterminiert aber letztlich die Arbeit im Dialog engagierter Katholiken. Einige der jüdischen Reaktionen auf das Motu Proprio waren schwach und scheinen ein Minderwertigkeitsgefühl im Umgang mit dem Vatikan widerzuspiegeln.

Wenn Christen ihren Willen zeigen, die theologische Diskussion neu zu entfachen, könnten sie den Dialog wieder auf einen guten Kurs bringen. Ich habe noch Hoffnung darauf. Aber die Stagnation kann nicht mehr viel länger anhalten, ohne dass eine dauerhafte Verschlechterung im christlich-jüdischen Verhältnis eintritt.

Der Autor lehrt am Catholic Theological Union in Chicago und ist Präsident des Internationalen Rates der Christen und Juden. Aus dem Amerikanischen von Otto Friedrich.

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