Den Globus sanft bereisen

Werbung
Werbung
Werbung

Tourismus kann ärmeren Weltregionen Chancen und Einnahmen bringen - oder Ungleichheiten verstärken. Nachhaltigkeit soll negative Effekte bekämpfen - und schafft das teilweise auch.

Der Tourismus setzt Menschen in Bewegung. Etwa 1 Milliarde überquert jährlich in seinem Namen Staatsgrenzen. 6 bis 7 Prozent der Jobs und 5 Prozent des Einkommens sind ihm im globalen Maßstab direkt oder indirekt zu verdanken.

Potenziell eröffnet der Tourismus armen Ländern die Chance, ihren Lebensstandard zu heben. Ebenso allerdings kann er soziale Ungleichheiten verstärken, Umweltbelastungen massiv erhöhen und lokale Kulturen marginalisieren.

Solchen negativen Auswirkungen wird - mittlerweile mit inflationärer Häufigkeit - der Begriff der "Nachhaltigkeit“ entgegengesetzt. In keiner anderen Sparte wird er so häufig verwendet wie im Tourismus.

Im Sprachgebrauch etabliert hat es sich in Folge der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro, gemeinhin Rio-Konferenz genannt. Hier wurde von 178 Staats- und Regierungschefs in Zusammenarbeit mit NGOs in der sogenannten Agenda 21 das Nachhaltigkeitsprinzip formuliert; als Voraussetzungen für seine Umsetzung wurden neben Klima- und Artenschutz vor allem soziale Maßnahmen, unter anderem die Bekämpfung der Armut sowie die umfassende Einbeziehung der Bevölkerung in politische Entscheidungsprozesse eingefordert.

Aufstieg des sanften Tourismus

Dass Rio 1992 auch die Geburtsstunde des nachhaltigen Tourismus sei, ist allerdings ein Mythos, versichert Eugenio Yunis, der ehemalige Leiter der Abteilung für Nachhaltige Tourismusentwicklung bei der Welttourismusorganisation UNWTO und heutige Geschäftsführer des chilenischen Dachverbandes für Tourismusunternehmen FEDETUR. "Tourismus stand bei dieser Konferenz noch nicht auf der Tagesordnung. Erst 1995 wurde die Agenda 21 für Reisen und Tourismus adaptiert“, erklärte Yunis.

Die Idee eines nachhaltigen Tourismus bahnte sich erst, begleitet von Initiativen der UNO, gegen Ende der 1990er-Jahre ihren Weg.

Beim Gipfel Rio+10 2002 in Jonannesburg wurde ein Regelwerk statuiert, das von nachhaltigem Tourismus geringstmögliche Umweltbelastung, einen Beitrag zur Reduzierung der Armut und soziale Verträglichkeit einfordert. Die durch ihn generierte Wertschöpfung soll in der bereisten Region bleiben, die Arbeit unter geregelten Bedingungen bei gerechter Entlohnung und ohne menschrechtswidrige Praktiken wie Kinderarbeit geleistet werden.

Seit "Rio+10“ ist nachhaltiger Tourismus buchstäblich in aller Munde. Politische Entscheidungsträger, die dem Anliegen einst nur ein schwerhöriges oder gar kein Ohr leihen wollten, überschlagen sich mit Lippenbekenntnissen. Touristische Organisationen und Anbieter vom Österreichischen Reisebüroverband (ÖRV) bis zu multinationalen Großveranstaltern wie TUI oder Thomas Cook schreiben sich nachhaltigen Tourismus auf ihre Fahnen und fahren bzw. fliegen gut damit.

Nachhaltiger Tourismus ist ein ansehnliches Geschäft geworden. Aktuelle Studien weisen ihm in Deutschland einen potenziellen Marktanteil von über 20 Prozent aus.

2011 stieg beispielsweise der Gesamtjahresumsatz des alternativen Reiseveranstalters "forum anders reisen“ von 117 Millionen Euro 2010 auf 138 Millionen; die Zahl der Reisekunden von 94.000 auf 101.400 Personen.

Dass immer mehr Veranstalter nachhaltiges Reisen - und sei es als Nischenprodukt - ins Programm nehmen, zeigt, dass auch angebotsseitig in den letzten Jahren Fortschritte erzielt worden sind.

Ebenso, dass Hotels - durchaus auch zu ihrem eigenen Besten - Maßnahmen zur Reduktion des Energie- und Wasserverbrauchs ergriffen haben. Oder dass kundig betreute Nationalparks sich der Artenpflege und Information der Gäste widmen. Die Aufzählung der Wachstumsindikatoren zeugt jedoch auch von einem Missverständnis: Nachhaltiger Tourismus wird häufig auf den Umwelt-Aspekt reduziert, praktisch mit Öko-Tourismus gleichgesetzt. Die womöglich noch wichtigeren sozialen und ökonomischen Aspekte werden ignoriert.

Humanitäre Standards

Beim Gipfel von Rio sollten aber gerade humanitäre Standards eine besondere Rolle spielen, meint Manfred Pils: "Gerechtigkeit und Menschenrechte, das sind die wirklichen Defizite unserer Zeit.“

Mit logistischen Herausforderungen ist der nachhaltige Tourismus ohnehin konfrontiert. Das Transport-Problem - allein innerhalb des Tourismus verursacht der Luftverkehr 40 Prozent aller Emissionen - potenziert sich mit wachsenden Touristenströmen.

Die größte Hürde erwartet der Weltgipfel in Rio aber in Form der wirtschaftlichen Großwetterlage. "Insofern kommt die Konferenz zu einem sehr schlechten Zeitpunkt“, fürchtet Eugenio Yunis. "Die politischen Entscheidungsträger werden die Krise zum Vorwand nehmen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Große Erwartungen habe ich also nicht. Immerhin hat man erkannt, dass der Tourismus ein wichtiger Faktor in unserem Leben ist. Deshalb braucht er Regulierungen und kann nicht einfach unkontrolliertem Wachstum überlassen werden.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung