Den jüdischen Aufbruch beharrlich begleitet

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Wer noch in den 80er Jahren in Wien nach jüdischem Leben suchte, wurde meist bloß im Verborgenen fündig. Bis in jene Zeit reichte die aus der Zeit der Schoa herrührende Zögerlichkeit der Juden der Stadt, auch öffentlich präsent und sichtbar zu sein. Durch die Generation der Nachgeborenen, vor allem aber durch die Turbulenzen um die Präsidentschaft Kurt Waldheims kam es zum Umschwung, ja gerade zu einem jüdischen Identitätsschub. An der Spitze der Israelitischen Kultusgemeinde IKG stand damals, ab 1987, Paul Grosz, der den jüdischen Aufbruch in die Gesellschaft behutsam, aber beharrlich begleitete.

Dabei war Grosz selber ein Überlebender des Terrors, mit seinem Vater war es dem 1925 Geborenen gelungen, die NS-Jahre in Wien als U-Boot zu überstehen. Nach dem Krieg holte er die Matura nach und erlernte das väterliche Kürschnerhandwerk. 1950 wanderte er in die USA aus, kehrte aber nach dem Tod des Vaters 1955 nach Wien zurück. Seit 1972 gehörte Grosz dem Vorstand der IKG an, von 1987 bis 1998 stand er ihr als Präsident vor. Seine erste große Leistung war, die verzagte und in der Frage, wie mit der Causa Waldheim umzugehen, tief gespaltene Gemeinde zu einen und zu einem Player in der Zivilgesellschaft zu machen, die sich eben genau in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zu formieren begann.

Und Grosz’ Ägide konnten sich neue Initiativen entwickeln. So startete etwa Kurt Rosenkranz 1989 sein wegweisendes Projekt einer jüdischen Volkshochschule – das Jüdische Institut für Erwachsenenbildung“ gilt heute europaweit als wegweisende Institution. Auch in Sachen Restitution und materieller Aufarbeitung dessen, was die Schoa angerichtet hatte, konnte Grosz erste, wenn auch arg späte Erfolge erreichen – etwa die Errichtung des Österreichischen Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus oder die Mauerbach-Versteigerung: Jahrelang war von den Nazis geraubtes Gut von der Republik Österreich in der Kartause Mauerbach bei Wien gelagert worden. 1996 wurden die Kunstgegenstände zugunsten der Kultusgemeinde versteigert.

Wie Paul Grosz auch für jüdisches Selbstbewusstsein stand, so sehr war er um Ausgleich und Konfliktbereinigung bemüht. Ende der neunziger Jahre wurde in der Gemeinde eine zupackende Generation der Nachgeborenen bestimmend, bei den Präsidentenwahlen 1998 kam es zum Patt zwischen Grosz und Ariel Muzicant: Paul Grosz zog daraufhin seine Kandidatur zurück, Muzicant wurde gewählt und machte den Vorgänger in Würdigung seines Wirkens zum Ehrenpräsidenten der IKG.

Pionier des christlich-jüdischen Dialogs

Besonders verdient hat sich der am 29. August Verstorbene und am 31. August in Wien zu Grabe Getragene auch um den christlich-jüdischen Dialog gemacht. In seiner Amtszeit war dies Chefsache. Grosz gehörte – im Gegensatz zu seinem Nachfolger – jahrelang dem Vorstand des „Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ an. Ende der 80er Jahre arbeitete er an den ersten großen offiziellen Begegnungen zwischen der katholischen Kirche und österreichischen Juden mit.

Dies würdigte beim Begräbnis auch der emeritierte Wiener Weihbischof Helmut Krätzl, der Grosz als Beispiel dafür charakterisierte, dass jemand, „der selbst die furchtbarste Art der Verfolgung und Ausgrenzung erlebt hat, Hoffnung ausstrahlen konnte“.

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