Den Zusammenhalt nicht gefährden

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Vor allem das Vertrauen der BürgerInnen braucht die EU. Jetzt mehr denn je. Denn es stehen große Entscheidungen bevor. Leider ist zu befürchten, dass sich die Staats- und Regierungschefs in Nizza weitgehend auf technokratische Fragen beschränken und Fragen, bei denen es ums Vertrauen der BürgerInnen geht, nicht ins Zentrum ihrer Beratungen stellen.

Gesagt wird, die Erweiterung der Union mache Reformen im institutionellen Gefüge und in der Entscheidungsfindung nötig: Deshalb soll die Zahl der Kommissare festgelegt werden; deshalb soll entschieden werden, ob auch in Zukunft jeder Staat Anspruch auf einen Kommissar hat; deshalb soll es vermehrt zu Mehrheitsentscheidungen kommen, die Einstimmigkeit soll weiter zurückgedrängt werden; deshalb geht es auch um die Stimmgewichte der Mitgliedstaaten im Rat und um die Frage eines stärker proportionalen Wahlrechts zum Europäischen Parlament im Zusammenhang mit dem Wunsch, auch dort die Zahl der Abgeordneten mit 700 zu begrenzen. Aber sind das die entscheidenden Fragen - gerade im Lichte der bevorstehenden Erweiterung der Union?

Absurdidäten Die kleinen Staaten kämpfen um das Recht, jeweils einen Kommissar zu behalten, die großen sind bereit ihren zweiten Kommissar abzugeben, verlangen aber dafür eine ihrer Bevölkerungsgröße besser entsprechende Gewichtung der Stimmen im Rat. Beides ist absurd. Die Kommission ist ein europäisches Gremium und keine Vertretung der Mitgliedstaaten. Der Rat wiederum ist die Vertretung der Mitgliedstaaten und daher spricht dort die Achtung der Souveränität der Staaten für das Prinzip "Ein Staat, eine Stimme". Im Falle der Einstimmigkeit der Entscheidungen ist dieses Prinzip auch erfüllt. Geht man den Weg in Richtung vermehrter Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit - und das ist die übereinstimmende Absicht - dann riskiert man, dass die Staaten, die überstimmt worden sind, die Beschlüsse nicht besonders herzhaft umsetzen werden. Das gefährdet den Zusammenhalt und die kohärente Entwicklung der Union.

Welches wäre die Alternative? Zunächst in der Gesetzgebung: Sobald die Gesetze der Gemeinschaft nicht mehr einstimmig und insoweit von der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten beschlossen werden, sondern mit Mehrheit, fehlt ihnen - zumindest in den bei der Abstimmung unterlegenen Staaten - jede demokratische Legitimation. Will man aus Effizienzgründen den Weg zur Mehrheitsentscheidung voranschreiten, so bedarf es einer Absicherung dieser Entscheidungen durch eine Mehrheit im Europäischen Parlament. Das beschafft die notwendige demokratische Legitimation und trägt zum Zusammenhalt der EU bei. Es führt aber auch dazu, dass endlich der Souverän, die Völker Europas, seine Position in der Entwicklung der Gemeinschaft bekommt. Und das ist eine der Voraussetzungen für mehr Vertrauen der Menschen in die Union. Der Vorschlag, es solle stattdessen im Rat einer sogenannten doppelten Mehrheit bedürfen, einer Mehrheit der Staaten und einer Mehrheit der durch die Staatenvertreter repräsentierten Bevölkerung Europas geht am Problem vorbei. Das hat mit Demokratie nichts zu tun.

In der Kommissars-Frage und bei der Stimmgewichtung im Rat ginge es um mehr Ehrlichkeit. Natürlich wäre es möglich, dass die Mitgliedstaaten Kommissare nur im Rahmen eines Rotationsverfahrens stellen. Das - von den Kleinen akzeptiert - könnte auch gegen die Großen gewendet werden, wenn sie im Gegenzug zum Verzicht auf einen Kommissar mehr Stimmgewicht im Rat wollen. Die einzige Institution, die über kurz oder lang zu einer der Bevölkerungsgröße entsprechenden Vertretung wird kommen müssen, ist das Europäische Parlament.

Wenn es um das Vertrauen der Bevölkerung Europas geht, dann braucht es nicht nur eine angemessene demokratische Vertretung, dann braucht es auch gesicherte und einklagbare Grundrechte der Menschen gegenüber den Einrichtungen der Union. Auch da ist zu befürchten, dass es vorläufig nur zu einer Proklamation der Grundrechts-Charta kommt. Geht es um das Vertrauen, dann darf das nicht der letzte Schritt sein.

Die Union braucht das Vertrauen der Menschen, gerade wenn es um die Erweiterung geht. Daher braucht es eine angemessene Vertretung der Bürger in der EU und Rechte der Bürger gegenüber der Union. Das wäre die zentrale Herausforderung für Nizza!

Der Autor ist Europasprecher der SPÖ.

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