Der alte Affe Leibfeindlichkeit

19451960198020002020

Die katholische Kirche(nspitze) hat den Grund hinter der Missbrauchskrise immer noch noch erkannt. Ein zorniger Einwurf.

19451960198020002020

Die katholische Kirche(nspitze) hat den Grund hinter der Missbrauchskrise immer noch noch erkannt. Ein zorniger Einwurf.

Werbung
Werbung
Werbung

Im Schaukasten einer Wiener Pfarre war dieser Tage ein „Talk für Jugendliche“ ab 13 zum Thema „Reinheit – was bringt’s?“ angekündigt. Tags zuvor konnten ältere Junge (ab 17) in derselben Pfarre dem Vortrag einer Pro-Life-Aktivistin aus den USA über eine „Theologie des Leibes“ lauschen.

Die Sprache ist verräterisch: „Rein“ bedeutet „sexuell enthaltsam“. Unabhängig davon, dass der Umgang mit der erwachenden Sexualität von Pubertierenden ein wichtiges Thema auch der Seelsorge sein muss, glaubte man, dass ein Begriff wie „Unreinheit“ für Sexualität, der auf diese Weise wieder in die Köpfe eingepflanzt wird, längst der Vergangenheit angehört.

Man glaubte – und wird von konservativer Kirchenseite seit Wochen belehrt, dass dem nicht so ist. Vor allem das Argument, die katholischen Missbrauchsfälle seien eigentlich nur im Kontext einer Übersexualisierung der Gesellschaft und als schreckliches Erbe der 68er-Generation zu begreifen, zeigt, wie sehr der alte Affe Leibfeindlichkeit in der katholischen Kirche immer noch allgegenwärtig ist.

Grundproblem nicht angesprochen

Und genau hier liegt der Punkt, wo auch der Hirtenbrief des Papstes zur Causa Prima (dass das „nur“ den irischen Katholiken gesagt wurde, ändert wenig am generellen Befund!) nicht weiterbringt. Was nützt die beredte Klage des Pontifex übers Versagen der Schäfchen im Priestergewand und ihrer Hirten, wenn das Grundproblem nicht angesprochen und in den wesentlichen Facetten offen auf den Tisch gelegt wird?

Die Verurteilung der Täter und Vertuscher, die Entschuldigung bei den Opfern und das ausgedrückte Mitgefühl mit ihnen kann erst dann als Ausdruck der Umkehr einer Kirche der Sünder und einer sündig gewordenen Kirche gelten, wenn die Ursachen der Malaise klipp und klar angesprochen werden. Doch genau dies geschieht nicht – auch nicht im jüngsten Pastoralschreiben Benedikts XVI. In Kenntnis seiner Welt- und Kirchensicht konnte von diesem Papst genau genommen auch nichts anderes erwartet werden. Gleichzeitig ist offenbar, dass der gegenwärtigen Megakrise der katholischen Weltkirche mit defensiver Weltsicht nicht beizukommen ist: Die Welt ist böse, der allseits grassierende Sex ist böser, also darf man sich nicht wundern, wenn das Böseste, der Missbrauch, sich auch in der Kirche breitmacht.

Das ist – leider – keine polemische Zuspitzung des Problems, kein Generalangriff der Kirchenfeinde wie zur NS-Zeit (wie zuletzt der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller behauptete), sondern bittere Wahrheit, die mehr und mehr Gläubige auch aus der Mitte ihrer Kirche aussprechen.

Kein Generalangriff der Feinde

Vor bald 50 Jahren war das Zweite Vatikanische Konzil der groß angelegte Versuch, die katholische Kirche aus einer hermetischen, auf sich selbst bezogenen Situation, zu heilender Offenheit zu bringen. Die Kirche als pilgerndes Gottesvolk – so das Zentralbild des Konzils – weiß, dass sie sich auf dem Weg befindet und längst nicht in der Vollkommenheit angekommen ist. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass nun das II. Vatikanum auch im Papstschreiben in den Geruch gebracht wird, mit zu den Ursachen der kirchlichen Turbulenzen rund um die Missbrauchsaffären zu gehören.

Natürlich gehört alles auf den Tisch, um die Gründe der Krise zu benennen und zu analysieren. Aber wenn man dafür die böse Gesellschaft und ein vielleicht falsch verstandenes Konzil bemüht, ohne den Umgang mit Macht in der Kirche anzusprechen, ohne das geschlossene System bis heute und bis an die Kirchenspitze zu untersuchen, ohne die Leibfeindlichkeit von Lehre und Praxis in dieser Kirche zu benennen, so ist klar: Das Problem wird immer noch nicht verstanden. Zumindest nicht in Rom.

Als gläubiger Katholik hat man zurzeit allen Grund zornig zu sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung