Der Altvordere des deutschen Katholizismus

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Als Johannes Paul II. auf dem Petersplatz in Rom beim Angelusgebet des 21. Jänner 2001 die Namen von 37 Kardinälen verkündete, war Karl Lehmann wieder nicht darunter. Eine Woche später, wieder beim Angelusgebet, schob der Papst dann zur Überraschung vieler doch den Namen Lehmanns nach. Was den Sinneswandel des Pontifex ausgelöste hatte, den Bischof von Mainz und seit 1987 Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz doch in die Schar der Purpurträger aufzunehmen, blieb bislang Gegenstand vieler Spekulationen. Auf jeden Fall charakterisiert es das, gelinde gesagt, ambivalente Verhältnis des Polen an der Kirchenspitze mit seinem deutschen Statthalter. Ein würdiger und, wenn es sein musste, auch widerborstiger Statthalter des nachkonziliaren deutschen Katholizismus ist Karl Lehmann stets gewesen. Bereist 1993 veröffentlichte er gemeinsam mit den Bischofskollegen Oskar Saier (Freiburg) und Walter Kasper (Stuttgart) ein Hirtenschreiben zur Pastoral mit wiederverheirateten Geschiedenen, das im Prinzip das vorschlug, was Papst Franziskus nun in "Amoris laetitia" zum Thema äußerte. 1993 wurde Lehmann aber von Rom mit dem Glaubenskongregations-Chef Joseph Ratzinger zurückgepfiffen. Ähnlich erging es ihm nur wenige Jahre später, als Ratzingers und Lehmanns konservativer Gegenspieler, Kardinal Joachim Meisner von Köln, Lehmann und die Mehrheit der deutschen Bischöfe zwangen, in der Schwangerenkonfliktberatung einen Hardliner-Standpunkt einzunehmen. Karl Lehmann ließ sich durch diese Niederlagen aber nicht entmutigen und kann nun, da er nach seinem 80. Geburtstag am 16. Mai sein Amt als Bischof von Mainz aufgibt, erleichtert in den Ruhestand treten - denn mit Franziskus steht ein Papst an der Kirchenspitze, der jenes Kirchenbild verkörpert, das Lehmann mit Konsequenz vertreten hat. Beim II. Vatikanum war der junge Priester Karl Lehmann Mitarbeiter des großen Karl Rahner gewesen, 1964-67 war er dessen Assistent in München und Münster. 1968 wurde er Professor für Dogmatik in Mainz. 1983 gelangte der Theologe als Nachfolger des legendären Konzils-Kardinals Hermann Volk auf den Mainzer Bischofsstuhl. Von 1987 bis 2008 stand Lehmann der Deutschen Bischofskonferenz vor, einen derart brillanten theologischen und intellektuellen Kopf hat es an der Spitze der deutschen Bischöfe zuvor - und auch danach - nicht gegeben. Lehmanns nunmehriger Abgang kann auch als ein Zeichen fürs Ende der nachkonziliaren Kirchenzeit in Deutschland gelten.

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