Der "anale Zorn" der VANDALEN

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Fälle von Vandalismus gegen Kirchen haben zuletzt wieder für Schlagzeilen gesorgt. Im Umgang mit solchen Phänomenen zeigt sich eine große Rat-und Ahnunglosigkeit.

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Fälle von Vandalismus gegen Kirchen haben zuletzt wieder für Schlagzeilen gesorgt. Im Umgang mit solchen Phänomenen zeigt sich eine große Rat-und Ahnunglosigkeit.

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Bei kleinen Kindern unterscheidet die Psychoanalyse zwischen der ungerichteten "oralen Wut" und dem zielgerichteten "analen Zorn". Erstere ist nur ein Ausdruck sprachloser Verzweiflung, wenn der heiße Hunger durch die Eingeweide tobt oder die kalte Nässe den Unterleib quält. Sobald das Kind erste Worte ausdrücken kann und - hoffentlich! - angeleitet wird, mit Kurzworten seine Bedürfnisse zu melden, kann es das Geschrei und Gezappel der sprachlosen Wut unnötig werden lassen -es hat ja jetzt andere Ausdrucksmöglichkeiten.

Man spricht dann von Urvertrauen -dem Wissen, dass jemand da ist, der die Bedürfnisse erkennt und befriedigt, d. h. Frieden schafft - wenn man als Kleinkind erfahren hat, dass man mit seiner Not ernst genommen wird. Dazu gehört auch, dass die - alters-und bildungsspezifischen -Aktivitäten zur Veränderung der aktuellen Situation akzeptiert und respektvoll in prosoziale Formen geleitet werden. Das wäre die Erziehungsaufgabe bei etwa Zwei-bis Dreijährigen, die nunmehr die sogenannte "anale Phase" - im Volksmund "erste Trotzphase" - ihrer psychischen Entwicklung zu bewältigen haben.

Greifen, Zwicken, Schlagen

Der vormals sprachlose Veränderungsimpuls mutiert nunmehr zum "analen Zorn": Einerseits kann das Kind nun seine Muskulatur gezielt einsetzen - und übt das auch mit Greifen, Zwicken, Schlagen, und es übt gleichzeitig seinen Willen, und wenn sich dieser nicht realisiert -weil z. B. der Bauklötzchenturm umfällt -sucht es sich ein Objekt, um die in den Armen und Beinen aufsteigende Energie daran auszulassen. Dann wäre es an der Zeit, auch die Muskulatur der Stimmbänder zum Selbstausdruck zu trainieren -aber dafür braucht man Vorbilder!

Und außerdem braucht es Urvertrauen dass man nämlich nicht beschimpft, bestraft oder gar misshandelt wird. Aber viele Erziehungspersonen lassen sich von Wut und Zorn "anstecken" und befreien sich von dieser fremdinduzierten Erregung wiederum nur durch Hinhauen.

Hinhauen zählt zu den genetisch angelegten "animalischen" Überlebensstrategien - Sprache hingegen ist eine Kulturleistung. Nur: Auch sie braucht jemanden, an den sie sich richten kann - jemanden, der einen hört, erhört und liebevoll annimmt. Wer die Gnade des Glaubens geschenkt bekommen hat, kennt die kostbaren Situationen, in denen sich Vertrauen aufbaut: Gottvertrauen speist Selbstvertrauen.

Kain-und-Abel-Syndrom

Ist es nun Wut -oder Zorn -oder Gruppendruck samt Mutproben, Lust an der Zerstörung oder Neid an Wohlhabenden, dass Einrichtungen beschädigt oder zerstört werden, denen nach unseren gesellschaftlichen Spielregeln eigentlich Respekt und Hochachtung entgegengebracht werden sollte?

Aus der Forschung zu selbstschädigendem Risikoverhalten Jugendlicher ist bekannt, dass sie ihre inneren Spannungen dort auslassen, wo sie unbewusst spüren, dass das jeweilige Objekt ihren Bezugspersonen (in Familie wie Beruf oder Öffentlichkeit) wichtiger ist als sie selbst: bevorzugt an Autos, aber auch technischen Gerätschaften oder öffentlichen Einrichtungen, die der Erholung oder Muße dienen - also all dem, was unbewussten Neid hervorruft. Ich nenne das in meiner Fachpublizistik das Kain-und-Abel-Syndrom: Man wähnt, dem anderen gehe es besser, und entwickelt Hassgefühle. Im geringsten Fall wird dann der andere runtergemacht, behindert, verspottet, auch gemobbt. Im schlimmsten Fall wird er vernichtet - zu Nichts gemacht.

Es braucht gar nicht die paranoide Vorstellung, jemand anderer würde von "dem Oben" - wer oder was immer das ist -mehr beachtet oder geliebt. Es reicht schon die Sichtweise, dass jemand etwas Übergeordnetes zur Orientierung und zum Halt besitzt und man selbst orientierungslos schwankt. Auch seelische Heimatlosigkeit kann in Hassentfremdung kippen.

Wie weit Fassadensprayer unbewusste Vorbehalte kreativ sublimieren, wäre Aufgabe für soziologisch-psychologische Studien - aber genau solche Blickwinkel werden höchstens in einer Diplomarbeit bearbeitbar, vorausgesetzt, man hat eine politisch interessierte Betreuungslehrkraft. Dabei wäre hier ein Ansatz zum Erwerb von mehr gesundheits-wie auch kriminalspezifischem Präventionswissen und für bildungspolitische Schwerpunktsetzungen gegeben. Das betrifft auch antifaschistische Vorhaben: Der erhobene Zeigefinger löst nur wieder Wut aus, weil er "von oben herab" moralisierend wirkt, nicht aber durch verständnisvolle Akzeptanz der Wut zum Sprachausdruck überleitet.

Gefühle von Benachteiligung und Realitäten des Ausgeschlossen-Seins von sozialen Mindeststandards (inklusive Wissen!) werden durch gesellschaftliche Machtspiele verstärkt -und dazu zählt auch das Abdrängen ins ideologische Abseits. Damit sind auch die traditionellen Taktiken und Strategien zwischen Interessensgruppen inklusive berechtigtem Aufzeigen von Missständen gemeint, besonders aber die verantwortungslosen Kampagnen von Einzelpersonen oder Personengruppen, die ohne seriöse Diskussion unterschiedlicher Positionen ihre Sicht der Dinge aufzwingen wollen.

Da geht es nicht allein um einzelkämpferische Bilderstürmer oder die "Öffentlichkeitsarbeit" kryptopolitischer Aktivisten. Es geht auch um "Spaßpolitik", wie sie der PR-Berater und NEOS-Abgeordnete Niko Alm mit seiner Nudelsieb-als-religiöse-Kopfbedeckung-Aktion und Initiierung des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien betreibt (in dem mit Dichtung und Wahrheit alle Bekenntnisse in einen Verdammungstopf geworfen wurden, ohne zwischen Glauben und Gläubigen, Bekenntnis, Religion sowie Kirchen und Religionsgesellschaften zu unterscheiden -was Voraussetzung für eine seriöse Diskussion nötiger Reformen wäre). Damit wird ein Klima der unreflektierten Verachtung geschaffen, und das löst keine Probleme -ebenso wenig wie der Verzicht auf die Einforderung von Respekt: dem Respekt, der Vorbedingung und Basis aller Gastrechte darstellt.

Aber auch die Propaganda für "Wutbürgertum" schafft eine Toleranz-Atmosphäre für den unbedachten Laien-Kabarettismus, der für die McLuhan'schen "15 Minuten medialer Aufmerksamkeit" genügt -vorausgesetzt, man ist halbwegs prominent, was im Klartext heißt: dem durchschnittlichen Lohnschreiber bekannt.

Dialogisches Ringen um Sprachausdruck

Dazu gehört aber auch das abwiegelnde Verleugnen dieses Mechanismus: Wenn Michael Prüller meint, die Schmieraktionen an der Karlskirche seien nicht gegen dieses Glaubenszeugnis gerichtet gewesen, sage ich: Es wären doch in unmittelbarer Nähe auch das Museum der Stadt Wien, das Künstlerhaus, der Musikverein, die Technische Universität, die Evangelische Schule, ja sogar das Funkhaus des ORF in Frage gekommen, um das Anarchisten-A darauf zu sprayen -alles Kulturbauten mit einer Geschichte, mit deren Details man sich durchaus kritisch auseinandersetzen könnte.

Kritik gehört in ernsthaft zivilisierter Weise ausgesprochen -und dorthin gerichtet, wo Verantwortung eingefordert werden kann. Einfach hinhauen oder anpatzen (vergleichbar dem Kotschmieren) verweist hingegen auf das Entwicklungsstadium von Zwei-bis Dreijährigen (und einen Autoritätskonflikt, der vermutlich auf Eltern-oder Schulerfahrungen hinweist). Erst durch das dialogische Ringen um Sprachausdruck kann Wut bewältigt und zivilisierte Egalität hergestellt werden -und das gilt auch für diejenigen, die wutentbrannt nach Strafe rufen.

Wut ist keine Problemlösungsqualität - sie liefert höchstens den Adrenalinstoß, der, in besonnene Kraft umgewandelt, zur gemeinsamen Entwicklung neuer Initiativen zum Aufbau einer solidarischen Gesellschaft helfen kann, der Sicherheit ein echtes Anliegen ist.

Die Autorin ist Psychoanalytikerin

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