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Der apostolische Christ

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Der Nachfolger Michael Pflieglers auf einem der wichtigsten Lehrstühle der Theologischen Fakultät der Universität Wien, Monsignore Ferdinand Klostermann, legt der Öffentlichkeit ein Werk im Umfang von 1200 Seiten vor: „Das christliche Apostolat.“ Hinter diesem Buch steht die Arbeit und das Denken eines Lebens, und je eine große österreichische und deutsche Tradition. Klostermann ist ein Schüler des großen Seelsorgers von Berlin, Sonnenschein, und ein Mitkämpfer in der Erneuerung des kirchlichen und religiösen Lebens in Österreich — auf jener Linie, die von Clemens Maria Hofbauer über Heinrich Swoboda zu Karl Rudolf und Michael Pfliegler führt. Seelsorge — Seelsorge am Menschen in der Zeit, in einer im Wandel begriffenen Zeit — bildet die innerste Achse des theologischen Denkens in diesem innerösterreichischen Aufbruch, der sich in mehr als hundert Jahren, vielfach gefährdet und bedroht, vollzogen hat. Die Selbstbesinnung in Kirche und Katholizismus in Österreich nach 1945, die Katholikentage „Mariazell I“ und „Mariazell II“, die Reform- und Aufbauarbeit in den alten und neuen Diözesen des heutigen Österreichs — das alles ist undenkbar ohne das seelsorgerische Tun und Denken dieser Generationen von Priestern, denen das Priestertum groß und schmerzlich in der Fülle seiner Lasten, Gefährdungen und Aufgaben neu bewußt wurde.

Eine große deutsche Tradition steht, seit Johann Adam Möhler und der ersten katholischen Tübinger Schule, ebenfalls als ein Quellstrom hinter diesem Lebenswerk Klostermanns: Es ist „das Erwachen der Kirche in den Seelen“, wie es später Guardini angesprochen hat. In innerer Konfrontation nicht zuletzt mit dem harten totalitären, politisierten Kirchenbegriff, wie ihn der überaus folgenreiche De Maestre in seinem Buch „Vom Papste“ vorgestellt hatte, haben deutsche katholische Theologen, im Blick auf das zweigeteilte Deutschland, auf Protestantismus und Katholizismus in Deutschland, sich um ein Bedenken und Erfahren der Kirche im Vollsinn ihrer Sendung und geschichtlichen Erscheinung bemüht — und stießen hier auf das große Werk der griechischen Kirchenväter. Wenn im Umkreis um das Zweite Vatikanische Konzil einige Aussicht auf neue, brüderliche Begegnung mit den Menschen der Ostkirche besteht, dann nicht zuletzt auf Grund dieser einhundertjährigen Vorarbeiten.

Ein drittes Element im Werke Ferdinand Klostermanns soll nicht übersehen werden: es iuht auf den theologischen Arbeiten, dem Denken, Erfahren und Leiden französischer Priester, Theologen, Bischöfe und Gemeinden, die zwischen erstem und zweitem Weltkrieg und dann, in den schmerzlichen Jahren um 1950, an die vorderste Front in der Kirche und im Ringen um die Kirche gerieten.

Wenden wir uns in diesem Sinne als Laien einigen Problemstellungen Klostermanns zu. Mit großer Umsicht, in Berücksichtigung der gesamten Tradition der Kirche und besonders der Stellungnahme der Päpste im 19. und 20. Jahrhundert, untersucht Klostermann das heikle Thema: der Laie als „verlängerter Arm“ und als „Instrument“ der Hierarchie (S. 713 ff.) und den komplexen Problemkreis „Das Apostolat der Laien“ (S. 811 ff.). Bei aller für einen katholischen Theologen und Mann der Kirche selbstverständlichen Anerkennung der Unterordnung unter die Führung der Kirche betont Klostermann doch: „Es ist also nie so, daß es von den kirchlichen Autoritäten, von der Hierarchie abhinge, ob jemand dieses Apostolat (nämlich: das allgemeine Apostolat der Christen, Anm. d. Rez.) hat oder nicht hat, sondern unabhängig von den kirchlichen Autoritäten ist jeder zum apostolischen Gebet, Beispiel, Zeugnis, Wort und Tun verpflichtet, wenn er zur Gnade und zum göttlichen Leben überhaupt berufen ist — und das ist jeder..(S. 589).

„Beide Gesichtspunkte müssen gerade hier gesehen werden: die Kompetenz der Hierarchie, die die fruchtbaren Initiativen von unten nicht erschlagen und hemmen, sondern nur vor Irrwegen bewahren und in die große Ordnung der apostolischen Gesamtstrategie einordnen darf; und diese Initiativen der lebendigen Christen selbst, die sich vor Einseitigkeiten und Isolierungen hüten und in schuldiger Ehrfurcht und schuldigem Gehorsam in die großen Planungen des Hirtenamtes einfügen und dem Urteil des Lehramtes unterwerfen müssen. Beide Gesichtspunkte können auch überspitzt werden, jedesmal zum Schaden des Ganzen: Im einen Fall wird die Einsatzfreude erlahmen und das Apostolat verarmen, im anderen Fall werden wertvollste Kräfte in Individualismus oder Gruppenegoismus ins Leere vergeudet, wenn nicht noch schlimmere Dinge folgen.“ (S. 596.)

Klostermann kennt sehr gut „ein gewisses Unbehagen, das nicht nur aus laizistischen Komplexen mancher Laien erklärbar ist, sondern auch in klerikalisti-schen Tendenzen mancher Kleriker aller

Grade seine Begründung findet“. Prälat Klostermann empfiehlt da den hierarchischen Führern der Kirche das Wort Cyprians an seine Diakone und Priester: „Ich habe es mir seit Anfang meines Episkopats zur Regel gemacht, ohne euren Rat und ohne die Zustimmung des Volkes oder nur nach meiner eigenen persönlichen Meinung nichts zu entscheiden.“ (S. 721.)

Eine oft übersehene Wahrheit stellt Klostermann deutlich genug heraus: „Ohne die Möglichkeit eines gewissen Experimentierens erstickt das Leben überhaupt.“ (S. 722.)

Klostermann kann sich auf Thomas von Aquin und heute Hirschmann SJ. berufen für eine Begründung eines gewissen Widerstandsrechtes (der Grundlage jeder freien Gesellschaft) in der Kirche: „Dazu (nämlich: zur Leistung eines echten, lebendigen Gehorsams, Anm. d. Rez.) gehört zweifellos auch das Recht, ja unter Umständen die Pflicht, den Vorgesetzten zur Überprüfung seines Standpunktes zu veranlassen oder wenigstens solch einen Versuch zu machen.“

Ganz im Sinne der Rede des Papstes Pius XII. an den Internationalen Historikerkongreß in Rom 1955 ist sich Monsignore Klostermann der geschichtlichen Tatsache bewußt: zu Kaiser Konstantin, zu den päpstlichen Herrschaftsansprüchen des Mittelalters, zu Bonifaz VIII., führt kein guter Weg mehr zurück. Der im letzten griechische und griechisch-deutsche Ansatz seiner Auffassung und Erfahrung der Kirche wird ganz deutlich sichtbar, wenn Klostermann das kosmische Ziel, die Verwandlung der Menschen für die Verwandlung der Welt, als Ziel und Aufgabe des Apostolats der Kirche herausstellt (S. 877 ff.). „Kein Gottesstaat“ (S. 891), kein „Erfolgsmythos“ (S. 945), „kein Imperium“ (S. 989) kann mehr wirklich helfen. In „Knechtsgestalt“ tritt der Christus und der Christ immer wieder mitten in diese Welt___

Wir schließen unseren kurzen Hinweis auf dieses hochbedeutende Werk mit dem Wunsche, daß es möglichst bald in möglichst viele Sprachen übersetzt werden möge: vor allem ins Italienische, Spanische und Angloamerikanische. Der Orbis catholicus. die katholische Hemisphäre, könnte, nicht nur in Südamerika, morgen anders aussehen als heute, wenn die Forschungen, Materialsammlungen, Überlegungen und Warnungen dieses Buches des Linzer Prälaten und Wiener Universitätsprofessors Ferdinand Klostermann inkarniert werden: in der Hierarchie, im Klerus und in der Laienschaft der Kirche.

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