Der Arbeiterführer als einsame, tragische Gestalt

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Längst ist er zum Mythos geworden, die Bilder des schnauzbärtigen Elektrikers von der Danziger Lenin-Werft gingen um die Welt. Niemand konnte ahnen, dass aus einem durch eine Entlassung einer Kranführerin ausgelösten Streik eine nationale Massenbewegung entstehen würde, die schließlich in das gesamte Sowjetimperium ausstrahlen und es damit indirekt zum Einsturz bringen sollte. Der Mut von Lech Walesa und anderer Protagonisten des Widerstands in Polen und den übrigen Warschauer Pakt-Ländern sollte nicht zu gering veranschlagt werden - der Ausgang des Unterfangens war alles andere als gewiss.

Am 14. August jährte sich der Beginn des Streiks zum 25. Mal, am 31. August wird der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarno´s´c vor einem Vierteljahrhundert gedacht. Für Lech Walesa wird mit diesem Tag seine Mitgliedschaft in der Solidarno´s´c enden - dieser Tage kündigte er seinen Austritt an: "Diese Solidarno´s´c ist jetzt eine andere. Sie ist wohl sogar besser und viel professioneller als früher. Aber sie hat sich so verändert, dass wir nicht mehr zusammenpassen", sagte Walesa. Der Schritt ist nur sinnfälliger Ausdruck eines schon lange laufenden Entfremdungsprozesses zwischen dem einstigen Arbeiterführer und nicht nur der Solidarno´s´c sondern ganz allgemein seinen Landsleuten; Walesa ist zur einsamen, tragischen Gestalt geworden.

Bezeichnend, dass es am 31. August zur offiziellen Gedenkfeier eine Gegenveranstaltung geben soll: Etliche Solidarno´s´c- Aktivisten der ersten Stunde, darunter Anna Walentinowycz, die Kranführerin von 1980, werfen Walesa & Co. Verrat an den ursprünglichen Idealen vor; der geplante "reguläre" Festakt sei ein "Schmaus der Geier an der Leiche der ersten Solidarno´s´c'".

Auch um die Jubiläumssitzung im Sejm, dem polnischen Parlament, ist ein Konflikt ausgebrochen: Vertreter der zum Teil aus der Dissidentenbewegung hervorgegangenen rechtsliberalen Opposition verlangen vom postkommunistischen Sejm-Marschall (Parlamentspräsidenten) Wlodzimierz Cimoszewícz, auf den Vorsitz der Veranstaltung zu verzichten; Cimoszewícz sei noch 1989 gegen Solidarno´s´c aufgetreten. Stattdessen solle jemand aus dem Umfeld des damaligen antikommunistischen Widerstandes, wie etwa der spätere Außenminister Wladyslaw Bartoszewski der Sitzung präsidieren.

Walesa dürfte indes die Medienpräsenz, die ihm in diesen Tagen weltweit zuteil wird, genießen. Er nützt sie weidlich zur - teilweise recht larmoyanten - Darstellung seiner unbestrittenen historischen Verdienste, aber auch zu guten Ratschlägen an Nebenfronten: So schlug er in einem Interview mit dem Bonner Generalanzeiger vor, Papst Benedikt xvi. solle die polnische als zweite Staatsbürgerschaft annehmen... RM/APA

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