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Der arme Papst Johannes

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Johannes XXIII. wurde nach einer weit verbreiteten Meinung als „Ubergangspapst“ gewählt und in der Tat wurde er ein Papst des Übergangs in eine neue Zeit. In den wenigen Jahren seines Pontifikats hat er Maßstäbe gesetzt, nach denen heute auf kirchlichem, ja überhaupt auf religiösem Gebiet gemessen wird. Seine Gestalt, sein Charakterbild ist jedoch zugleich Gegenstand lebhafter Debatten und hat ganz gegenteilige, ja widersprüchliche Beurteilungen erfahren. So schrieb zum Beispiel Erzbischof Heenan in seiner monatlichen Botschaft im „West-minster Cathedral Chronicle“ (Juli 1964): „Papst Johannes war ein altmodischer Katholik des .Seelengärt-leintyps'. Er las seinen Faber, und ohne Zweifel betete er regelmäßig die Litanei zum ailerheiligsten Herzen Jesu; er war kein origineller Denker. Es war Papst Pius XII.. und rauht Johannes XXIII., der verheirateten Pastoren erlaubte, Priester zu werden, der die eucharistischen Nüchternheitsgebote änderte und die Abendmesse einführte. Papst Johannes war kein Neuerer. Er setzte keine große Reform in Gang. Seine Leistung lag darin, daß er die Welt des 20. Jahrhunderts lehrte, wie klein der Haß und wie groß die liebe ist.“ Heenan nannte ihn einen pastoralen Papst mit kindlichen Frömmigkeitsformen. Er wendet sich gegen die Mythenbildung, durch die Papst Johannes „zu einem Mann mit phänomenaler Denkkraft aufgebaut wurde..., der sich semer Bestimmung bewußt war, der Befreier der von seinen Metallenen Vorgängern durch Jahrhunderte gefesselten Kirche zu werden“. — Für Robert Kaiser hingegen, den Autor von „Inside the Council“, der als Wortführer jener Männer gelten darf, die den Mythos über Papst Johannes schufen, war dieser „ein politisches Genie. Hinter seinen Handlungen mit ihren politischen Resonanzen liegt ein intuitives Erfassen der geo-politischen Situation unserer Welt“.

Wer war also dieser Mann? E. E. Y. Haies, der als Spezialist der Kirchengeschichte der letzten hundert Jahre einige Biographien über die Päpste dieser Zeit publiziert hat, versucht in dem vorliegenden Werk der einzigartigen historischen Bedeutung Johannes XXIII. dadurch gerecht zu werden, daß er ihn seinen Vorgängern auf dem Stuhle Petri in den vergangenen hundert Jahren gegenüberstellt. Nach einer kurzen umrißhaften Kennzeichnung der biographischen Daten Angelo Roncallis versucht er aus dem, was er lehrte und tat sowie aus seiner Einstellung zu Italien die „große Wende“, als die er sein kurzes Pontifikat begreift, verständlich zu machen. „Die große Wende“ manifestiiert sich nicht so sehr von der inhaltlichen Seite der päpstlichen Lehrverkündigungen her — darin weiß er sich mit seinen Vorgängern eins, beruft er sich doch vor allem in seinen Enzykliken wiederholt auf sie —, als vielmehr in einem neuen Stil der Lehrverkündigung und der Kirchenführung. In den Enzykliken Johannes' XXIII. ist ein alarmierender und tadelnder Ton kaum hörbar. Er lobt und ermutigt. Obwohl er als oberster Lehrer der Kirche spricht, belehrt er nicht immer. Es ist tatsächlich etwas Neues, wenn der Papst in einer Enzyklika dazu bereit ist, etwas als seine eigene persönliche Meinung zu deklarieren, indem er Formulierungen wie „wir glauben“, „wir meinen“ oder „gewisse Falctoren scheinen dazu beigetragen zu haben“ verwendet. Desgleichen zeigt sich die große Wende nicht nur in seinen Aussagen über die Rechte der Persönlichkeit und die soziale Sicherheit, über die Weltordnung und den Frieden, vor allem aber in seiner neuen Auffassung von der Rolle des Papsttums: Als Papst weiß er sich für alle Menschen und für die ganze menschliche Wohlfahrt im weitesten Sinne verantwortlich. Roncallis Enzykliken unterscheiden sich von denen seiner Vorgänger insbesondere ,4'urch ihre Wärme, ihre Universalität, die neuen Lebensbereiche, mit denen sie sich befassen, das Fehlen einer einseitigen Konzentration auf die Forderungen der Kirche und ihre Sorge für jedermann“. In einer Tagebucheintragung schreibt er einmal: „Meine Familie ist die ganze Welt. Dieses Gefühl universaler Zugehörigkeit muß meinen Verstand, mein Herz und mein Tun bestimmen und beleben.“ Kein Wunder, daß man ihn den „Pfarrer der ganzen Welt“, „II Parroco dei mondo“ nannte. Ähnliches ließe sich auch noch anführen für das, was er in den zwei ersten Jahren seines Ponitiflkats und der Zeit der Vorbereitung auf das Zweite Vatikanische Konzil tat, sowie für seine letzten Anstrengungen für die Einheit und den Frieden. Haies führt zu all diesem viele äußerst interessante Einzelheiten auf, wobei freilich der polemische Ton in der Beurteilung der Päpste der letzten hundert Jahre, der Vorgänger Johannes XXIIL, mit der von ihm so sehr gerühmten Konzilfanz des Roncalli-Papstes in einer oft recht unangenehmen, diesem wohl kaum gerecht werdenden Weise kontrastiert. Das vorliegende Werk ist gewiß ein ernst zu nehmender, wichtiger Beitrag zum Verständnis der Persönlichkeilt Johannes XXIII. und seiner Revolution. Um ihr freilich gerecht zu werden, dafür dürfte wohl die zeitliche Distanz von Papst Johannes und seinem Werk noch zu kurz sein.

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