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Der Atheismus der Massen

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Der in Nazareth als Arbeiterpriester wirkende französische Theologe Paul Gauthier ist besonders durch sein Bemühen um eine „Kirche der Armen” bekannt geworden. Wir bringen im folgenden Auszüge aus einem Vortrag des auch als Konzilsberater tätig gewesenen Priesters über das Thema „Das Schema 13 und der Atheismus der Massen”.

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Der in Nazareth als Arbeiterpriester wirkende französische Theologe Paul Gauthier ist besonders durch sein Bemühen um eine „Kirche der Armen” bekannt geworden. Wir bringen im folgenden Auszüge aus einem Vortrag des auch als Konzilsberater tätig gewesenen Priesters über das Thema „Das Schema 13 und der Atheismus der Massen”.

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Da es die Massen von Arbeitern und Bauern gibt, muß sich die Kirche in erster Linie an sie wenden, wenn sie zur Welt sprechen will. Diese Massen nun nennt man oder nennen sich Atheisten, und zwar als eine unendlich große Zahl: das kommunistische China mit 600 Millionen und in den sogenannten christlichen Ländern etwa 7 oder 8 Millionen Kommunisten in Italien. Es ist indessen unerläßlich, diese Massen und ihren Atheismus richtig zu sehen. Schon mehrere Konzilsväter haben in St. Peter auf die Wichtigkeit der beiden Paragraphen, die dem Atheismus gewidmet sind, in der Beschreibung der Welt von heute, hingewiesen.

Die konkrete Erfahrung stimmt mit dem Aufruf von Paul VI. in „Ecclesiam suam” und mit Johannes XXIII. in „Pacem in terris” überein, der dahin zielt, die verschiedenen Aspekte des Atheismus auseinanderzuhalten.

Die philosophischen Systeme, die einmal ausgearbeitet und definiert worden sind, bleiben in der Folge dieselben, aufgeschrieben in Büchern; die historischen sozialen Bewegungen jedoch entwickeln und ändern sich. Nun ist der Atheismus eine Lehre, die so alt ist, wie Demokrit und die griechischen Philosophen, so alt wie Luzifer und seine Engel. Was das anbelangt hat Karl Marx nichts Neues erfunden. Sokrates ist des Atheismus’ angeklagt worden — war er ein Atheist? Heutzutage nennt man die kommunistischen Massen Atheisten, weil die marxistische Philosophie atheistisch ist. Sind sie es wirklich? Im Leben stellt man eine Diskrepanz zwischen der Ideologie und dem Leben selbst fest. Die Natur erlangt ihre Rechte zurück, weil der Mensch von Naturreligiös ist. Die Französische Revolution von 1789 war auf Grund ihrer enziklopädistischen Philosophen atheistisch, doch die französische Republik ist es nicht.

Es gibt bewußte, reflektierende und gebildete Atheisten; es gibt auch militante, die ihre Propaganda methodisch und politisch betreiben. Sie machen nur eine Minderheit aus, oft sind sie aufrechte Menschen, verliebt in ein Ideal, doch werden sie korrupt unter dem Zwang und der Gewalt, wenn ihre Partei mächtig wird. Die Massen jedoch, auch wenn Sie’ zuwetteft ‘deb Versuchung dės Atheismus erliegen, bleiben meistens im Grunde religiös unter einer mehr oder minder dicken Schicht Gleichgültigkeit.

Sie suchen einen Gott der Liebe

Viele verneinen eine Gegenwart Gottes, die sie plump finden. Die Entwicklung der Volkskultur bringt dies mit sich. Man glaubt nicht mehr an den „Pėrė Noel”; jedoch viele suchen nach einem Gott der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Liebe. Im allgemeinen verwirft man weniger Gott als die Religionen, weniger die Religionen als die Karikaturen der Religion. Der Atheismus kann sogar einen wichtigen Übergang, eine Reinigung von falschen Religionen hin zur wahren Religion bedeuten. Sehr oft verwerfen die Massen die Religionen, weil es ihnen scheint, als seien sie mit politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systemen verknüpft, die sie bedrücken.

Bei den Massen sind diese drei Verneinungen sehr verschieden. Viele verwerfen die Kirche, lieben aber Christus und kennen Gott kaum. Der größte Teil der Menschen kennt weder die Kirche noch Christus, glaubt nur unbestimmt an Gott oder leugnet Ihn, ohne es recht zu wissen. Sehr weinige kennen die Kirche und ihr Geheimnis. Die Tatsache, daß die Christen unter sich getrennt sind, ist für die Nichtchristen ein Skandal, der sie daran hindert, an Christus als Gesandten Gottes zu glauben. Doch viele Sozialisten und Kommunisten verehren Christus als Propheten als den Propheten, den ersten Sozialisten oder Kommunisten. Jene unter den Volksmassen, die Gott leugnen, ersetzen Ihn am häufigsten durch die Gerechtigkeit, die Solidarität, den Frieden, die universelle Brüderlichkeit, die Hoffnung auf das glückliche Morgen; an Stelle Gottes beten sie die Wege an, die au Ihm führen oder von Ihm kommen. Jene, die aus dem Proletariat einen Gott machen, suchen tastend den Gott, der Mensch, und zwar ein armer Mensch, geworden 1st.

Um auf den Atheismus der Massen eine Antwort zu geben, ist es in erster Linie notwendig, seine Ursachen auseinanderzuhalten:

Die Massen sind aller Art von Propaganda unterworfen, die in gewissen Ländern sich aller Mittel, inklusive des politischen Zwanges, bedienen: Das ist eine richtige Vergewaltigung der Massen, besonders wenn man auch den Schulunterricht in diesen Dienst stellen kann. Doch diese Propaganda, so mächtig sie immer sein kann, kehrt sich endlich gegen sie selbst, weil sie gegen die Natur geht.

Diese Propaganda hat eine tiefgehende Ursache in sich selbst und macht sich in den Massen dieselbe Ursache zunutze, um den Atheismus hervorzurufen: das Elend. Auch ohne Propaganda ist das Elend stark genug, um den Menschen von Gott abzuwenden. Die Massen im Elend fühlen sich verlassen und ausgebeutet von allen, auch von Gott; ohne Zweifel kann der Reichtum zum Atheismus führen, doch der Athei- mus der im Elend Lebenden ist anderer Art: Er ist einig mit dem Schrei aus der Tiefe der Psalmen, mit jenem Christi am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?”

Dieses Elend hat als Hauptursache:

Die Ungerechtigkeit. Die Ungerechtigkeit einzelner, sozialer Klassen oder Völker bringt die Ungleichheit mit sich durch die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Von hier kommt die Entfremdung, die sich von den Menschen auf Gott überträgt, besonders wenn diese Ungerechtigkeit von solchen ausgeht, die sagen, sie glauben an Gott, seien Seine Diener, Seine Vertreter.

Der Atheismus bedarf der richtigen Heilmittel. Eine Verurteilung wäre unnütz und gefährlich; denn , sie würde die Massen in der Meinung bestärken, daß die Kirche gegen sie sei, weil sie, wie sie meinen, mit dem wirtschaftlichen, politischen und sozialen System verbündet sei, das sie bedrückt. Das gl-icha gilt für eine „paternalistische”, „herablassende” Haltung, durch das Fenster oder noch schlimmer am Fernsehapparat die arbeitenden Massen und Armen zu betrachten. Diese Haltung, auch wenn sie von vielen Kirchenleuten gegenwärtig eingenommen wird, muß überwunden werden; denn die Massen empfinden das als Beleidigung. Gott hat die Massen von Menschen nicht vom Himmel aus betrachtet, hat nicht durch das Radio zu ihnen gesprochen. Er ist vielmehr aus dem Himmel auf die Erde herabgekommen, hat unter ihnen gewohnt, mit Seinen eigenen Händen gearbeitet, als ein Mensch unter Menschen.

Die richtige Antwort besteht in der aufrichtigen Vergegenwärtigung Gottes, Christi und der Kirche. Am Anfang beginnen: Um Gerechtigkeit bitten und denjenigen verkünden, der kommen wird und dies vor dem Evangelisieren. Evangelisieren, die Liebe Gottes denjenigen erklären, zu denen man spricht, bevor man den Kathechismus verkündet, das heißt, das Mysterium Christi, der Trinität und der Kirche erklären, bevor man tauft, taufen, bevor man die Türen des Allerheiligsten erschließt. Den lebendigen Gott verkünden, der Gerechtigkeit und Liebe für die Menschen ist, Ihn als Jesus von Nazareth, als den Zimmermann, den Propheten und Apostel, den Messias des Volkes, den Sohn Gottes, den Gekreuzigten und Auferstandenen in der Menschheit verkünden.

Zu den Heilmitteln des Atheismus gehört schließlich: das Mysterium der Kirche leben, bevor man von der

Kirche spricht und ihre Gesetze auferlegt. „Sie zu ihren wirklichen Quellen, die christlich sind, zurückführen” (Paul VI.). Das bedingt eine große Anstrengung von seiten der Exegeten und der Theologen und das Hinsenden von Priestern und sogar von Bischöfen unter die arbeitenden Massen, um diesen Massen Christus zu zeigen, der in ihnen lebt, der allen alles sein will, inbegriffen die Arbeit und die Zivilisation. Die vorliegenden Texte des Konzils zeigen Christus sowohl als Zimmermann von Nazareth als auch als Christus in Seiner Herrlichkeit, der alles an sich zieht. Sie sprechen auch von den arbeitenden Massen, doch müßte noch gezeigt werden: 1. Daß Christus alles an sich zieht, weil Er Menschengestalt angenommen hat bis in die Werkstatt von Nazareth und bis zum Tod am Kreuz. 2. Daß dieses Mysterium Christi weiterlebt in den arbeitenden Massen, die in Ihm die bewegende Kraft der Heilsgeschichte sind.

Kirche im indischen Kleid

Das Zweite Vatikanische Konzil habe in besonderer Weise eine Entwicklung unterstrichen und begünstigt, die die Eigenständigkeit der Kirchen in den verschiedenen Kulturen herbeiführen will. Auf dem Gebiet der Glaubenswissenschaft sei bereits jetzt die scholastische Philosophie und weitgehend auch die scholastische Theologie in Ländern wie Indien verschwunden und habe einer biblischen und patri- stischen Theologie Platz gemacht. Dies stellte der bekannte Missionsfachmann und Konzilstheologe Professor Pater Neuner SJ. in einem Gespräch mit einem Vertreter der Furche fest. Pater Neuner, ein gebürtiger Vorarlberger, der seit Jahrzehnten in Indien wirkt, sprach in mehreren Veranstaltungen über Probleme des Konzils.

Wenn auch eine eigentliche indische Theologie noch ein Fernziel sei, erklärte Pater Neuner, so gelte es doch, durch klare Konfrontation mit den einheimischen Kulturen und Religionen den Weg dazu zu bereiten. Auch für Europa bestehe das nächste große Ziel in der Erarbeitung religionsgeschichtlicher Grundbegriffe, wie Glaube, Sünde, Gebet oder Himmel, worin auch der katholische Glaube wichtige Bereicherungen an Hand der anderen Weltreligionen erfahren könne. Das Konzil habe für die Mission zwar keinen Umsturz, aber doch deutliche Akzentverschiebungen gebracht. Es bedeute die durchgehende Beendigung einer sogenannten „Feuerspritzenmission”, in der es fast nur um eine möglichst große Zahl von Taufen gegangen sei. Es gelte nunmehr in allen Bereichen der Welt, in allen Kulturen eine eigenständige Kirche aufzubauen.

Auf die Frage nach dem Verhältnis der katholischen Riten in Indien stellte Pater Neuner fest, daß sich der Geist des Ökumenismus auch im Inneren der Kirche auswirke. Angesichts einer oft katastrophalen Verschiedenheit von Riten und Jurisdiktionen in ein und demselben Gebiet gebe es eine immer stärker werdende, von Laien getragene Bewegung, die die Einheit der Kirche auch in dieser Beziehung verwirklicht sehen will. Das dürfe selbstverständlich keineswegs eine Latini- sierung der orientalischen Katholiken oder ein Aufgeben des in der Kirche bestehenden Reichtums an Formen und Traditionen bedeuten. Das Bemühen gelte aber auch hier einer eigenen indischen Kirche, deren Sprache, Symbole und Formen dem Charakter des indischen Volkes entnommen sind.

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