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Der Auftrag zur Einheit

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Sollte der Heilige Vater ein derartiges Organ schaffen — wie immer ein solches auch eingerichtet werden soll: außerhalb oder innerhalb des Kardinalskollegiums —, so hätte schon dadurch dieses Zweite Vatikanische Konzil einen wichtigen Erfolg eingebracht. Dann würde sich zeigen, daß die theoretischen Betrachtungen und die langen Beratungen in der Aula des Konzils für die Kirche nicht ohne praktischen Nutzen gewesen sind.

Nach dem Schluß der zweiten Sitzung des Konzils hat man Stimmen gehört, die ihre Enttäuschung nicht verschwiegen über die Tatsache, daß der Heilige Vater diesen Kronrat noch nicht eingesetzt hatte. Müßte man nicht dem Heiligen Vater die Zeit lassen, nach eigener Einsicht die Vorschläge des Konzils zu verarbeiten und einzubauen in das System, das die Führung der Kirche in jahrhundertealter Entwicklung gefunden hat und das sich nicht im Handumdrehen ändern und umbauen läßt?

Ein nicht weniger wichtiger Gegenstand, der in der zweiten Sitzung des Konzils an der Tagesordnung war, ist der Traktat „De Oecumenismo“, über die Beziehungen der Kirche zu den orthodoxen und reformatorischen Christen.

Seit dem zweiten Weltkrieg ist die Sicht auf die Einheit und die Spaltung der Christenwelt wesentlich erneuert. Vor diesem Zeitpunkt wollte man katholischerseits gerne die deutliche und weltumspannende Einheit der katholischen Kirche hervorheben im Gegensatz zu den Spaltungen aller anderen Christen. Solange wir in einer mehr oder weniger homogenen christlichen Welt lebten, war es vielleicht auch sinnvoll, diesem leicht erkennbaren Unterschied einen gewissen Wert zuzusprechen.

Seitdem hat sich vieles in unserer Welt geändert. Die Erweiterung unseres Horizontes hat der Christenheit auf peinliche Weise zum Bewußtsein gebracht, daß unsere Spaltung buchstäblich zu einem Skandal für die Menschheit geworden ist und zum Hindernis für die Sendung, welche die Christenheit in der Welt erfüllen muß. Wir haben angefangen zu verstehen, daß der Herr diese Spaltung nicht gewollt hat. Und so sind wir uns seines Auftrages zur Einheit bewußt geworden. Die Zeit ist vorüber, daß' die Christenheit unter sich über frühere Ärgernisse streiten kann. In dieser Perspektive hat es auch keinen Zweck, eine unfruchtbare Debatte zu veranstalten über die Frage, wer für die Uneinigkeit der Christen die Schuld über die größte Schuld trägt. Wir haben einen positiven Auftrag zu erfüllen: die Wiederherstellung der Einheit.

Wenn wir aber von der Einheit der Christenheit, die wir erstreben wollen, reden, was meinen wir dann mit dieser Einheit? Vielleicht ist es sehr prekär, diese Frage beantworten zu wollen. Anderseits aber müssen wir uns darüber im klaren sein, daß diese Frage äußerst wichtig ist. Außerdem müssen wir uns noch einen anderen Aspekt dieser Frage vergegenwärtigen, nämlich daß die Antwort auf diese Frage im Grund nicht von uns abhängt. Nicht die Einheit, die wir wünschen, ist wichtig. Auch nicht die Einheit, die wir schließlich zu akzeptieren bereit sind. Es geht um die Einheit, die der Herr gewollt hat. Nur diese kann letztlich das einzige Ziel jedes ökumenischen Strebens sein.

Wenn es aber darauf ankommt, die von Christus gewollte Einheit zu umschreiben, dann wird jeder eine andere Antwort geben. Seine Antwort. Sind die verschiedenen Antworten, die auf diese Frage gegeben werden, nicht ein deutliches Zeichen der jämmerlichen Uneinigkeit der Christenwelt?

Es ist klar, daß alle diejenigen, die an Christus glauben, schon sehr vieles gemeinsam haben. Dieser Verbundenheit in Christus sind wir uns im ökumenischen Streben mehr bewußt geworden. Wir haben erkannt, daß wir trotz aller Spaltungen vom gleichen Stamm sind.

Anderseits aber dürfen wir uns nicht verhehlen, daß sich gerade in dem Bewußtsein auch die Trennung schon anmeldet. Es gibt ja unter denjenigen, die den Namen eines Christen tragen wollen, auch solche, die nicht anerkennen, daß Jesus Christus der Sohn des lebendigen Rottes ist, oder die nicht an die suhlende Kraft Seines Todes und Seiner Auferstehung vom Tod glauben.

Gerade bei dieser tragischen dog-natischen Uneinigkeit wird es klar, laß es sich nicht um eine rein orga-lisatorische Einheit aller, die Chri-:ten sein wollen, handeln kann. Natürlich ist es wichtig, daß die Christenheit jedes feindliche Beiehmen und jeden Streit unterein-inder aufgeben soll. Das Bild der Einheit, das die Christenheit trotz dler Spaltung und dogmatischer Uneinigkeit der Welt in einer orga-lisatorischen Zusammenarbeit auf /ielerlei Gebieten des praktischen Lebens zeigen würde, und die Gestaltung eines Forums, wo die verschiedenen christlichen Glaubens-•ichtungen einander begegnen kön-len, um einander kennenzulernen and miteinander über den Glauben ler Kirche zu diskutieren, sind jedenfalls ein wertvoller Versuch, den Auftrag des Herrn zu erfüllen. Trotzdem, wir dürfen uns nicht irren: ist dies mehr als ein erster Beginn?

Wenn wir den Herrn reden hören von dem „eins, wie Du, Vater, in Mir und Ich in Dir“, ist dann nicht mehr gemeint als eine rein organisatorische Zusammenarbeit? Die Christenheit darf mit einer organisatorischen Bindung nicht zufrieden, sein. Es scheint mir äußerst wichtig, daß sie sich dessen fortwährend bewußt ist. wenn sie einer großen Gefahr entrinnen will: der Gefahr nämlich, zufrieden zu sein mit einer Scheineinheit in dem Gedanken, daß mit einer oberflächlichen, mehr oder weniger äußerlichen Einheit die vom Herrn gewollte Einheit erreicht sei, so daß man nicht weitersucht und nicht weiterarbeitet an dem Auftrag, den der Herr der Christenheit gegeben hat.

Schließlich muß man eine größere Einheit, eine Glaubenseinheit suchen. Deswegen ist es so erfreulich, daß durch die ökumenische Bewegung die verschiedenen christlichen Gemeinschaften einander nähergekommen sind. Sie begannen, einander besser zu verstehen und in: Vielen Hinsichten auch zu schätzen;. Bei uno Katholiken “hat-man ein Auge'dafür bekommen, daß in der reformatorischen Christenheit authentische christliche Werte in Ehren gehalten wurden, denen bei uns nicht die Beachtung geschenkt wurde, welche sie verdienen. Und die reformatorische Christenheit hat entdeckt, daß die Reformation im Eifer des Streites mehr über Bord geworfen hat, als nach dem Evangelium verantwortet ist. So kann man jetzt eine gewisse Angleichung zwischen katholischem und protestantischem Christentum beobachten.

Aber das alles ist nur der erste Schritt auf dem Weg zur Einheit. Es ist ein äußerst wichtiger Schritt. Es ist auch ein notwendiger Schritt, dessen Bedeutung vielleicht erst die kommenden Generationen völlig verstehen können Es ist aber nicht die Einheit selbst. Es ist eine Reinigung der Atmosphäre, ein Aufsteigen des Nebels, der manchmal besonders dicht war. Es ist das Durchbrechen des ersten Lichtes, das den Aufgang der vollen Sonne erwarten läßt.

Wenn wir eins sein wollen, wie der Herr es gewollt hat, können wir nicht eine Nivellierung suchen, wobei jede Partei seinen Teil des eigenen Glaubensschatzes preisgibt, um eine gemeinsame Basis gemeinsamer Wahrheit festzuhalten. Man kann das ökumenische Streben nie mit diplomatischen Verhandlungen gleichstellen. Es handelt sich um die Offenbarung, die der Herr der Welt gebracht hat, und es handelt sich um das gemeinsame Suchen dieser Wahrheit. Wir dürfen nie zufrieden sein mit einem größten gemeinsamen Nenner, mit dem jede Partei sich begnügen könne. Das würde nur eine die Menschen zufriedenstellende Scheineinheit bedeuten. Es handelt sich aber hier nicht um das. was die Menschen akzeptieren könnten oder wollten. Es handelt sich um das, was der Herr beabsichtigt hat. Wir Menschen müssen versuchen, zu ermitteln, was der Herr gewollt hat, und das sollen wir dann bedingungslos und ohne Zurückhaltung in aller Aufrichtigkeit und mit Freuden gelten lassen.

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