Der Brückenbauer im spirituellen Feld

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Eigentlich ist Karl Baier nach Wien gekommen, um Yoga-Lehrer zu werden. Heute forscht er als Religionswissenschafter und "wohlmeinend offener“ Mensch, wie sich christliche Spiritualität, andere Religionen, säkulare Bewegungen und "Leibarbeit“ gegenseitig befruchten.

Eine Zen-Session oder ein Yoga-Kurs: Das war für Karl Baier früher fixer Bestandteil jeder Karwoche. Heuer gibt es ausnahmsweise einmal nichts dergleichen - nur weniger Essen und Alkohol während der gesamten Fastenzeit. "Das Fasten ist eigentlich typisch für die heutige Spiritualität, weil es mehrdeutig ist“, erklärt Baier in seinem Büro am Institut für Religionswissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultät in der Wiener Schenkenstraße. "Man kann zu rein säkularen Zwecken fasten, also zum Abnehmen, aus Gesundheitsgründen oder verbunden mit einer Auszeit vom Berufsleben; man kann ihm aber auch einen tieferen religiösen Sinn verleihen.“ Wobei es nicht selten vorkommt, dass jemand auf der bloßen Wellness-Schiene startet - und dann im Kloster spirituelle Erfahrungen macht. "Das ist eine sehr schöne Brücke aus der säkularen Welt in die Welt der Religion“, sagt der groß gewachsene Mann mit süddeutschem Zungenschlag - und lächelt.

Synkretismus-Verdacht

Als kundiger Brückenbauer zwischen den Welten hat sich Karl Baier längst einen Namen gemacht: Er kennt das "spirituelle Feld“ mit seiner Vielzahl an Weltanschauungen, Programmen und Lehren wie kaum ein Zweiter, hält Vorlesungen über "Kultisches Milieu, unsichtbare Religion und New Age“ und leitet Seminare über "Grundfragen der Esoterikforschung“ oder "Die psychedelische Bewegung als Form moderner Religion“. Viel von dem, was nach dem Ersten Weltkrieg im deutschen Sprachraum als Gegenkultur zu den christlichen Kirchen begonnen hat, sei mittlerweile längst Mainstream - auch in christlichen Kerngemeinden, weiß Baier. Kaum ein katholisches Bildungshaus, das nicht Yoga-Kurse oder Zen-Meditationen anbietet. Ist das nicht Synkretismus? Sollte es angesichts grassierender "Patch-Work-Religion“ (Peter L. Berger) nicht eher darum gehen, die Unterscheidbarkeit zu fördern und das eigene Profil zu schärfen, wie es Papst Benedikt XVI. bis zuletzt versucht hat? "Wenn man die eigene Unterscheidbarkeit zur Hauptagenda macht, dann liegt schon eine Identitätsstörung zugrunde“, lautet Baiers griffige Antwort. Er sei zwar dafür, als Christ klare Positionen zu vertreten, "aber nicht aus Gründen der Abgrenzung, sondern weil sie im Diskurs wichtig sind.“ Ihm selbst schwebt eher eine "fruchtbare Durchdringung verschiedener Traditionen auf christlichem Boden“ vor: nicht nur als Philosoph, Theologe und Religionswissenschafter, sondern vor allem als "wohlmeinend offener“ Mensch.

Ein Wesenszug, der ihn schon seit frühester Jugend auszeichnet: 1954 im Bayerischen Landshut als Sohn eines Agnostikers und einer Kulturchristin geboren, ist er bereits als Kind von der Welt des Glaubens fasziniert. Im Zeitalter von Franz Josef Strauß, in dem die CDU "als bewaffneter Arm der katholischen Kirche“ gilt, wird er bald zum "letzten aufrechten Katholiken der Familie“. Die klassische Glaubenskrise in der Pubertät lenkt sein Interesse freilich weg von der Kirche und hin zum Yoga. Kurz vor der Matura besucht er ein Intensiv-Seminar in der Benediktinerabtei Niederaltaich, wo er nicht nur auf Pater Emmanuel Jungclaussen trifft, der gerade mit leuchtenden Augen von einem mehrmonatigen Aufenthalt in einem Zen-Kloster heimgekehrt ist und später als Abt das christliche Herzensgebet aus der ostkirchlichen Tradition wiederbeleben wird, sondern hier blättert er auch erstmals in der "Summa Theologiae“ des Thomas von Aquin: "Mit roten Ohren bin ich in der Bibliothek gesessen und habe mir gedacht: So kann man über Theologie reflektieren!“, erzählt Karl Baier strahlend.

Das Ziel des Maturanten ist schließlich Wien, wo er am Institut Schmida seine Yoga-Ausbildung beginnt, nebenbei an der Universität Ethnologie studiert und nach eineinhalb Jahren die Philosophie als Hauptfach wählt. Meister Eckhart, Thomas von Aquin und Nicolaus Cusanus werden seine Helden, der Philosophieprofessor Karl Augustinus Wucherer-Huldenfeld, der sein Interesse für östliche Religionen teilt und ihm später auf dem Zen-Polster begegnet, sein verehrter Lehrer. Wucherer bringt Baier dazu, nach seiner Dissertation über Romano Guardini Theologie zu studieren und macht ihn 1987 zu seinem Assistenten am Institut für Christliche Philosophie; Baier wiederum führt Wucherer in den daseinsanalytischen Arbeitskreis ein, der Philosophie und Psychotherapie zusammendenkt. Bis heute fühlt er sich dem bedeutenden Philosophen freundschaftlich verbunden.

Notwendige Körperlichkeit

"Ich hatte karrierestrategisch überhaupt keine Pläne, aber leidenschaftliche Fragen, denen ich nachgegangen bin“, sagt der seit 2009 habilitierte Religionswissenschafter über seine langen Studien, die ohne die finanzielle Unterstützung seiner Eltern nicht möglich gewesen wären - die aber heute die Basis seiner Forschungen bilden. Auch der körperliche Ausgleich durch die "Leibarbeit“ sei dabei unverzichtbar gewesen, um den Kontakt zur Welt nicht zu verlieren. Den Iyengar-Yoga, den er im Rahmen seiner zahlreichen Indien-Reisen kennengelernt hat, lehrt er bis heute. "Waches Gegenwärtigsein gelingt nur über den Körper“, ist Baier überzeugt. "Egal, ob Yoga, Zen-Meditation oder Tai Chi: Was wir als Menschen wirklich sind, erfahren wir in der Sammlung.“

Man kann auch "Achtsamkeitstraining“ dazu sagen. Karl Baier praktiziert es regelmäßig mit seiner Frau Jamila Baier-Mathews, einer aus Südindien stammenden Christin, die er bereits in Landshut kennengelernt hat. Weitere Impulse holt er sich aus der Gemeinschaft mit jenen Menschen, denen er im Rahmen des Lehrgangs "Aufbrüche. Christliche Spiritualität in der Weltgesellschaft“ begegnet ist. In diesem Angebot, das er gemeinsam mit Ernst Fürlinger und Ursula Baatz im Auftrag der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften entwickelt hat, werden nicht nur Zen-Meditationen und Bibliodrama angeboten, sondern auch Seminare über Gerechtigkeit in Tora, Koran und Bibel. Ein weiterer Lehrgang über "Spirituelle Begleitung in der globalisierten Gesellschaft“ startet am 7. März an der Donau-Universität Krems (vgl. www.donau-uni.ac.at/religion/spirituelle-begleitung). "Es ist meine Vision, eine christliche Spiritualität in der Weltgesellschaft zu entwickeln, die im Dialog mit anderen spirituellen Traditionen und säkularen Befreiungsbewegungen steht“, sagt Karl Baier, der sich auch vom Künstler und Kirchenraumgestalter Leo Zogmayer inspirieren lässt. Die Grenze des Zuträglichen sieht er dort, wo die Würde, Freiheit und Gesundheit des Menschen bedroht sind - wie es etwa beim Konzept des "Lichtfastens“ geschieht. "Bis dahin halte ich es mit Paulus: Prüft alles und behaltet das Gute!“

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