Der christliche Unterschied
Die Auflockerung des Gefüges der Naturgesetze durch den von der modernen Physik entdeckten absoluten Zufall lässt Schöpfer und Schöpfung in neuem Licht erscheinen.
Die Auflockerung des Gefüges der Naturgesetze durch den von der modernen Physik entdeckten absoluten Zufall lässt Schöpfer und Schöpfung in neuem Licht erscheinen.
Gegen Ende seines lebenslangen theologischen Forschens hat Karl Rahner SJ im Dezember 1981 in Wien einen Vortrag zum christlichen Gottesbegriff im Unterschied zum Gottesdenken anderer Religionen gehalten. Rahner kommt darin zu einer Aussage, die wohl jeden Katechismus-Gläubigen erschrecken wird und wahrscheinlich nicht ohne theologischen Widerspruch geblieben ist:
Gott ist nicht bloß derjenige, der eine Welt als das andere schöpferisch in Distanz von sich selbst setzt, sondern derjenige, der sich selbst an diese Welt weggibt und an ihr und in ihr sein eigenes Schicksal hat. Gott ist nicht nur selber der Geber, sondern auch die Gabe. Für ein pantheistisches Existenzverständnis mag dieser Satz eine bare Selbstverständlichkeit sein. Für ein christliches Gottesverständnis, für das Gott und die Welt eben nicht zusammenfallen, unvermischt in alle Ewigkeit bleiben, ist dieser Satz das Ungeheuerlichste, was überhaupt von Gott gesagt werden kann, und erst wenn dies gesagt wird, wenn innerhalb eines Gott und Welt radikal unterscheidenden Gottesbegriffes dennoch Gott selber die innerste Mitte der Wirklichkeit der Welt und die Welt in Wahrheit das Schicksal Gottes selber ist, ist der wirklich christliche Gottesbegriff erreicht.
Die Welt, von der hier die Rede ist, ist eine „Werdewelt“, – eine Welt von Kosmos und Leben, die sich sozusagen von innen heraus entwickelt, im Zusammenspiel von Gesetz und Zufall, mit „Irrungen und Wirrungen“ bis zum Menschen. Die unendliche Fülle und Vielfalt dieser Welt in Evolution ist nicht Ausdruck von Chaos, sondern beruht auf innerer Strukturierung und Ordnung. Alles ist untereinander in Beziehung. Und diese innere Relationalität der Welt ist als Gesetzlichkeit unserer Ratio zugänglich. Wir sind überzeugt, dass in der objektiven physischen Welt jedes Ding – körperhaft oder feldartig – dieser Gesetzlichkeit unterliegt. Dies entspricht genau dem Prolog des Johannesevangeliums, wo es heißt (Joh 1,3): „Alles ist durch den Logos (d. h. Gesetz, Vernunft, Wort) geworden, und ohne den Logos wurde nichts, was geworden ist.“
Naturgesetze
Die Gesetze im Beziehungsgefüge der materiellen Welt zu entdecken (nicht zu erfinden!), ist die eigentliche Aufgabe der Physik. Aber, wie schon Galilei erkannte, lassen sich diese Gesetze der Natur nur in mathematischer Form erfassen. Diese Ausschließlichkeit der „Lesbarkeit“ in mathematischer Sprache ist höchst erstaunlich: Überall in der materiellen Welt, im Kleinsten wie im Größten, „steckt“ Mathematik – selbst absolut immateriell und zeitlos. Und obwohl mit dem Materiellen innigst verbunden, hat sie ihr Sein in einer anderen Welt. Nach Roger Penrose, dem eminenten mathematischen Physiker („The Road to Reality“, New York 2005), ist dies eine platonische Welt, unbeeinflussbar vom Menschen.
So weit sich dies wissen lässt, sind die Naturgesetze universal. Sie gelten im ganzen Kosmos. Und sie sind nicht etwas irgendwie den Naturdingen Aufgepfropftes, Additionales, sondern etwas den Dingen Innerliches, Eigenes und zu ihrem Sein Gehöriges. Für diese reale Existenz und Wirklichkeit der Naturgesetze spricht ihre unentbehrliche Rolle in der Erklärung und Vorhersage von Naturereignissen, am meisten aber ihre praktischen Anwendungen und Nutzungen in großartigen neuen Technologien und in den enormen Fortschritten der Medizin.
Die Naturgesetze sind eins mit den Naturdingen. Nie und nirgends ist wissenschaftlich ein Eingriff in die bekannte Gesetzlichkeit eines physikalischen Prozesses festgestellt worden. Darin sehen wir, dass jeder Eingriff in ein Naturgesetz eines physikalischen Prozesses ein Eingriff in die Existenz von etwas Realem wäre. Und das wäre dessen Zurückfallen ins Nichts! Damit in Einklang steht, dass trotz seiner Immanenz in der evolutionären Lebenswelt der göttliche Logos nie „korrigierend“ in Gesetze eingreift, auch wenn diese streng kausal zu Zuständen führen, die Mensch und Tier als „natürliches“ Leid (malum naturale) treffen.
Gott – die Liebe – verhindert also dieses „natürliche“ Leid nicht, nicht weil er das nicht will, sondern weil er es nicht kann. So sah das auch der Religionsphilosoph Hans Jonas. Hat Karl Rahner diese naturgesetzliche Einschränkung der Freiheit des Schöpfers mit „Schicksal“ Gottes gemeint? Besteht das Schicksal Gottes darin, dass er sich nicht einmal selbst über diese Einschränkung hinwegsetzen kann?
Eine ganz andere Einschränkung der schöpferischen Freiheit gründet nicht in der Unveränderlichkeit der Naturgesetze, sondern in der Auflockerung von deren Netzwerken durch den absoluten Zufall, — der absoluten, auch für den göttlichen Logos Unvorhersehbarkeit eines Ereignisses. Hier sind nicht die vielen Ereignisse in der Evolution des Lebens gemeint, die man als „Zufall“ sieht, die aber nur Koinzidenzen von kompletten Kausalketten sind, die sich unabhängig voneinander und außerhalb unseres Erfahrungsbereiches entwickelt haben. Dies sind natürlich keine „absoluten“ Zufälle, nichts auch für Gott Unvorhersehbares, Neues.
Das Spiel von Gesetz und Zufall
Anders ist dies mit dem absoluten Zufall, den die moderne Physik entdeckt hat: in den quantenphysikalischen Einzelereignissen der atomaren und subatomaren Mikrowelt und in der Makrowelt „komplexer“ Systeme. (Das sind physikalische oder chemische, zu ihrer Umwelt offene, nichtlineare Systeme in einem instabilen Zustand.)
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!