Der einsame Kampf um Anerkennung

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Nackte Frauen neben elegant gekleideten Herren beim Picknick! Diese Provokation Manets hatte die Gemüter der Pariser Kunstszene 1863 zutiefst empört, worauf das Frühstück im Freien in den "Salon des Refuses" verbannt wurde: in die Abstellkammer für schändliche Kunst, abseits der herrschenden Regeln. Heute gilt das Gemälde als Meilenstein der jüngeren Kunstgeschichte, bar jeglicher Anstößigkeit.

Im selben Heute zählen Nacktheit und Skandale freilich zum Grundstoff massenmedialer Strategien um Aufmerksamkeit und Reichweiten, die gelungene Provokation wird selbst zur Kunst. Sogar den Blutbädern der Wiener Aktionisten gelänge es kaum noch, mit einem Aufschrei in der "Krone" gewürdigt zu werden. Die Kunst hat ihre gesellschaftlichen und technischen Grenzen so sehr ausgedehnt, dass sie sich infolge dieser unendlichen Möglichkeiten gleichsam selbst verliert. Als ob sich endlich die einstige Forderung Joseph Beuys' erfüllt habe: "Jedermann ist Künstler". Wenn aber alles Kunst und jeder ein Künstler sei, was bleibt dann als Nicht-Kunst übrig?

In ihren Anfängen war Kunst eine Form der Beschwörung überirdischer Kräfte und "diente" dadurch der Aufrechterhaltung des kosmischen und gesellschaftlichen Gleichgewichts. Wie diese Kunst auszusehen hatte, war klar vorgegeben, der Künstler selbst nur ein geeigneter Vollstrecker dieser Regeln. Erst in der Neuzeit trat der individuelle Schöpfer als Person in den Vordergrund. Freilich herrschten immer noch klare Vorstellungen von Kunst als Ausdruck eines Erkenntnisprozesses und einer spezifischen Fertigkeit des Schaffenden sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz seines Produkts. Doch gerade diese individuelle Suche nach Erkenntnis führte zu neuen Antworten der Kunst und damit zu deren Funktionswandel - fort von der Bestätigung geltender Herrschaft hin zur Provokation ihrer Hinterfragung.

Wer die Hand beißt, die ihn füttert, muss sich andere Futtertröge suchen. So übersiedelten die Künstler von den Bischofshöfen erst in die Fürstengemächer, dann in die Bank- und Handelshäuser, und schließlich in die Büros der politischen Parteien und Staatssekretäre. Seit aber die sozialdemokratischen Parolen unter dem Ruf nach Privatisierung und Deregulierung verstummen, kommen auch Künstler zunehmend in den zweifelhaften Genuss der großen Freiheit des totalen Marktes: Unabhängig von Institutionen arbeitet der Kunstschaffende in diesem neuen System ohne jede direkte Reglementierung, doch damit auch bar jeglicher Sicherheit. So mutierte mancher ehemals geförderte Staatskünstler auf seiner neuerlichen Suche nach Anerkennung und Absatzchancen am freien (Kunst-) Markt zum "selbständigen" Marktschreier - in Talkshows und Klatschmagazinen.

So absurd es klingen mag: Das Maß an Freiheit, das gegenwärtig auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu explodieren scheint, droht gleichzeitig umzuschlagen in die Unterwerfung der Kunst unter die gnadenlosen Gesetze der Beliebigkeit: Kunst wäre dann, was allein dem Konsumentengeschmack behage. Konservative Reaktionen wie die Forderung um die Beibehaltung der Buchpreisbindung zeugen von diesen Ängsten vor solcher anarchischen Freiheit.

Die Flucht nach vorn ist die gegenteilige Strategie, um dem wachsenden Zwang zu Wahrnehmungsreichweite bei gleichzeitigem Identitätsdefizit zu begegnen. Dabei erlangt Kunst zunehmend den Charakter von Eventmanagement: Kunst als improvisiertes Schauspiel einer Suche nach sich selbst.

Darum verstehe sich auch die heurige Documenta in Kassel selbst als "Wissensgenerierungsprozess" im Sinne einer "Diskussion über die Kunst", wie Documenta-Kurator Markus Müller verkündete. Weil aber Kunst zunehmend das Produkt einer Gesellschaft ist, die ihrerseits an Mobilität gewinnt und ihre Bindungen an konkrete Orte aufgibt, findet diese inszenierte Suche nach Selbstlegitimation nicht mehr nur in Kassel, sondern weltweit statt: mit Projekten in Wien, Neu Delhi oder Lagos und natürlich im Internet!

Damit wird wenigstens ein Element von Kunst deutlich, nämlich ihre Öffentlichkeit, auf der wesentlich ihre Legitimationsbedürftigkeit beruht. Wer öffentliche Anerkennung - und sei dies in Form von Empörung - finden will, muss sich nach den Spielregeln richten. Verstöße gegen diese jeweiligen Regeln werden jedenfalls sanktioniert: Wer mit seinem Aktionismus zu weit in gesetzlich geschützte Freiheitsräume vordringt, wird vom Strafrichter in die Schranken verwiesen. Wer dagegen zu brav bleibt, wird durch Bedeutungslosigkeit bestraft.

Somit beinhaltet die heutige Kunst jedenfalls zwei wesentliche kreative Akte: erstens die Schaffung von Kunst-Werken und zweitens die Schaffung einer entsprechenden Öffentlichkeit von "Kunst-Aner-Kennern", die dem Werk den gewünschten Status verleiht. Ohne diese durch Beziehungen, PR oder Web-Publishing erwirkte Öffentlichkeit aber bleibt das Werk ein schlichtes Privatvergnügen.

Damit wird aber deutlich, dass die Frage nach den Grenzen der Kunst und nach der Verantwortung des Künstlers immer mit einer elementaren Frage verbunden ist, nämlich "Kunst für wen?"

3. Platz: Harald A. Friedl Geboren 1968 in Brixlegg. Humanistische Matura 1986, Sponsion zum Mag. iur. 1999, zum Mag. phil. 2001. Arbeitet derzeit als Reiseleiter sowie als freier Publizist für diverse Print- und Web-Medien; dissertiert am Institut für Philosophie der Universität Graz über "Möglichkeiten einer sozialverträglichen Tourismusentwicklung bei den Tuareg im Air-Massiv, Niger". Förderungspreis für junge Literatur in Kärnten 1993, 1994.

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