Werbung
Werbung
Werbung

Eine Spurenlese mit Franz Jägerstätter.

Wer nicht eine Vergangenheit zu verantworten und eine Zukunft zu gestalten gesonnen ist, der ist ,vergesslich', und ich weiß nicht, wie man einen solchen Menschen packen, stellen, zur Besserung bringen kann." So schreibt Dietrich Bonhoeffer am 1. Februar 1944 aus dem Gefängnis in Berlin-Tegel an Eberhard Bethge. Es geht ihm nicht um ein besseres oder schlechteres Gedächtnis mit mehr oder weniger Speicherkapazität, dessen Lücken beklagt und dessen Vollständigkeit vielleicht gerühmt wird. Bonhoeffer geht es um den Schnittpunkt einer in moralischer Verantwortung übernommenen Vergangenheit und einer verantwortungsvollen Gestaltung der Zukunft in der Gegenwart: "Die Güter der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Schönheit ... brauchen Zeit, Beständigkeit, ,Gedächtnis', oder sie degenerieren." (Widerstand und Ergebung)

Kosten und Unkosten

Im März des Jahres 2001 erhielt der US-Offizier Charles H. Dameron von der Österreichischen Bundesregierung das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen. Es handelte sich um jenen Offizier aus der Sonderkommission der US-Army, der bei den Er hebungen über die jüngste Vergangenheit des Schlosses am 21. Juni 1945 in einem Stahlbehälter die so genannte "Hartheimer Statistik" fand. Die "Hartheimer Statistik" errechnete die "Unkosten", die entstanden wären, wenn die 70.273 in den Euthanasieanstalten Deutschlands getöteten Menschen noch am Leben sein würden. 10 Jahres Aufwand für 70.273 Getötete: 885.439.800,00 RM (heute etwa 3,5 Milliarden Euro. Die Nationalsozialisten haben Millionen von Menschen einfach das Lebensrecht und den Lebenswert aberkannt. Als "lebenswürdig" galt der starke Mensch. Schwache und Behinderte wurden als Parasiten angesehen und in eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung eingeordnet, für die man den "Gnadentod" übrig hatte. Es wäre besser, kostengünstiger, wenn sie nicht geboren worden wären. Das galt gerade für Kinder.

"Selbst in reichen Gesellschaften kann morgen jeder von uns überflüssig werden. Wohin mit ihm?" (Hans Manus Enzensberger) Überflüssig ist schnell der, der in der Arbeitsgesellschaft nicht mehr arbeitet, in der Konsumgesellschaft nicht mehr kauft, in der Eventgesellschaft nicht mehr erlebt, in der Wissensgesellschaft zu wenig weiß oder auch wer behindert, alt oder krank ist.

Zeugen des Glaubens wie Franz Jägerstätter verweisen auf eine andere Dimension des Menschen. Ein ganzheitliches, nicht allein an intellektueller Leistung oder wirtschaftlicher Verwertbarkeit orientiertes Verständnis des Menschen ist gefordert. Es geht um Grundüberzeugungen und Grundhaltungen wie: ein lebendiges Interesse an der Welt, das zutiefst aus dem Staunen, der Achtung und der Dankbarkeit kommt; Achtsamkeit, soziales Verantwortungsbewusstsein und Engagement, gelebte Solidarität, vielfältige Beziehungsfähigkeit und Weltoffenheit. Letztlich bleibt jedes Verständnis des Menschen und der Gesellschaft halbiert und eindimensional, wenn der Mensch nicht als Bild Gottes verstanden wird. Franz Jägerstätter steht für den Wert und die Würde des menschlichen Gewissens. Jägerstätter war keiner, der der Mehrheit nach dem Mund geredet hat. Er wollte sich nicht auf allgemeine Vorschriften und Regeln ausreden. Eigennutz und Eigeninteresse galten ihm nicht als die letzten und einzigen Prinzipien. Er ist ein "einsame Zeuge" des Gewissens. Das Gewissen lässt sich für Jägerstätter nicht durch die Autorität der Obrigkeit suspendieren. "Keiner irdischen Macht steht es zu, die Gewissen zu knechten. Gottes Recht bricht Menschenrecht." (Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen 191) Das Gewissen ist nun kein "Handlanger der Eigeninteressen" (Eberhard Schockenhoff). Franz Jägerstätter will lieber die Militärpflicht verweigern, als andere töten. Es gebe Dinge, wo man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen; auf Grund des Gebotes "Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst" dürfe er nicht mit der Waffe kämpfen.

Die Gewalt in den Genen?

"Das aggressive Verhalten des Menschen, wie es sich in Krieg, Verbrechen, persönlichen Streitigkeiten und in allen Arten destruktiven und sadistischen Verhaltens manifestiert, entspringt einem phylogenetisch programmierten, angeborenen Instinkt, der sich zu entladen sucht und auf den geeigneten Anlass wartet, sich Ausdruck zu verschaffen." So fasst Erich Fromm eine verbreitete Theorie der Ursache von Gewalt und Aggression zusammen. Aggression ist eine Energie im Menschen, die einfach auf Entladung drängt. Oder Aggression ist ein angeborener Trieb, der der Arterhaltung dient. Gewalt ist dann keine Frage der Ethik und der Freiheit, sondern der biologischen Konstitution des Menschen. Es ist aber eine Verharmlosung, Gewalt zu einem bloßen Naturphänomen zu reduzieren.

Im Unterschied zu den nationalsozialistisch Gesinnten betet Franz Jägerstätter nicht um den Sieg, sondern um den Frieden (Gefängnisbriefe 48.51.163) und für die Feinde (184). Franz Jägerstätter denkt vom biblischen Prinzip der Gewaltlosigkeit: "Die Losung des Christen im Kampfe ist nicht: Gewalt mit Gewalt abwehren, sondern Geduld und Ausharren im Glauben." (206) In seinen Aufzeichnungen unterstreicht er, dass Jesus nicht Böses mit Bösem vergelten (142) wollte und "Unrecht und Gewalttat ... nie gut geheißen" hat (190). Aus der Einwurzelung in Gott durchbricht Jesus die unheilvolle Kette von Gewalt und Gegengewalt. Am Kreuz, dem Gipfel der Feindesliebe, der Bereitschaft zu Vergebung und Versöhnung, ist Jesus bereit, die Aggressionen der anderen auf sich zu ziehen und diese an sich auslaufen zu lassen. So überwindet er das Böse durch das Gute (Röm 12,21). In ihm zeigt sich auch der Unterschied zwischen dem wahren und dem falschen Gott: "Der falsche Gott verwandelt das Leiden in Gewaltsamkeit. Der wahre Gott verwandelt die Gewaltsamkeit in Leiden." (Simone Weil) Es wäre schlimmster Götzendienst, mit Gewalt andere zu beseitigen oder zu töten, um Leiden zu überwinden. Um hingegen der "göttlichen Liebe nachzufolgen, darf man niemals Gewalt ausüben." (Simone Weil) - Franz Jägerstätter hat das Gebot der Feindesliebe gelebt; er wollte Gewalt nicht mit Gewalt beantworten. Weil Franz Jägerstätter sein Leben und auch sein Sterben so verstanden hat, kann sein Gedächtnis heute zum offenen Raum für Erzählen, Bekenntnis, Reue und Umkehr, Vergebung und Hoffnung werden. In seinem Zeugnis leuchtet Hoffnung auf, die auch die Täter und Verführten mit einschließt. So verleiblicht er die Seligpreisung der Sanftmütigen, derer, die keine Gewalt anwenden.

Feinde und Geschwister

Eine der zentralen politischen Aufgaben, die Europa heute und in Zukunft zu bewältigen hat, ist die Entwicklung eines politischen Modells, das ein friedliches Zusammenleben von Regionen, Staaten, Kulturen und Religionen in Europa möglich macht, ohne dazu auf äußere Feinde angewiesen zu sein.

Es ist Ausdruck von menschlicher Schwäche und nicht von Stärke, anderen Menschen und Völkern von vornherein mit Abwertung und Verdacht zu begegnen oder alle, die sich nicht angleichen und unterwerfen, ins Lager der Feinde zu verweisen. Alles, was im Gegensatz zum Eigenen, zum Nahen, Bekannten, Gewohnten und Vertrauten steht, ist dann nicht geheuer und wird als Bedrohung erfahren.

Jägerstätter wurde 1943 von den Nationalsozialisten hingerichtet, weil er sich geweigert hatte, am Eroberungskrieg Hitlers teilzunehmen. Ausdrücklich widersprach er der ideologischen Rechtfertigung dieses Krieges, die den Kampf gegen den Bolschewismus als Rettung des "Christentums in Europa" ausgab (Gefängnisbriefe 139). Jägerstätters Betonung der Feindesliebe verdankt sich seiner Bibellektüre und stellt ihn in die Reihe jener großen europäischen Christen, die sich vom herkömmlichen Feinddenken distanzierten. Zwei Aufzeichnungen - die zweite bereits 1943 im Gefängnis in Berlin geschrieben - unterstreichen dies deutlich: "Die Liebe, sie soll in uns so wachsen, dass wir auch unsere Feinde lieben können, dann erst können und dürfen wir uns Christen nennen, denn seine Freunde lieben, das kann der Antichrist oder der Heide auch." (Gefängnisbriefe 116) - "Feindesliebe ist nicht charakterlose Schwäche, sondern heldische Seelenkraft und Nachahmung des göttlichen Vorbildes." (Gefängnisbriefe 184)

Der Autor ist Bischof der Diözese Innsbruck.

FRANZ-JÄGERSTÄTTER-GEDENKEN:

Dienstag, 8. August, Beim Krankenhaus der Franziskanerinnen in Braunau/Inn wird der neue "Franz-Jägerstätter-Park" eröffnet

Stadtpfarrkirche Braunau/Inn, 15.00:

Festakt mit BP Heinz Fischer und LH Josef Pühringer und Bischof Manfred Scheuer (Auszug aus der Ansprache s.o.). Anschl. Segnung des Jägerstätter-Parks.

Mittwoch, 9. August, Pfarrkirche Ostermiething/OÖ, 9.30: Vorträge, u.a.: Politische Dimension der Religion heute (Wolfgang Palaver/Innsbruck)

15.30: Gedenken zur Todesstunde Jägerstätters, anschl. Fußweg nach St. Radegund

Pfarrkirche St. Radegund, 19.30:

Eucharistiefeier mit Bischof Ludwig Schwarz/Linz, danach Lichtfeier am Jägerstätter-Grab

INFORMATIONEN: www.dioezese-linz.at/redaktion/index.php?action_new= Lesen&Article_ID=31190

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung