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Der Fall Hieronymos

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Die Frage der Rechtmäßigkeit oder unkanonischen Amtsführung des von der griechischen, Militärregierung im Mai 1967 eingesetzten Athener Erzbischofs Hieronymös Kotspnis wird zur Zeit in Griechenland wieder heftig diskutiert, nachdem der Oberste Gerichtshof die Athener Kirchenleitung in einem Gutachten für illegal erklärt hatte. Für westkirchliche Begriffe mag es von vornherein unzulässig sein, daß Regierungen Erzbischöfe einsetzen und staatliche Höchstgerichte über deren Rechtmäßigkeit urteilen, doch sind auch bei uns die Zeiten nicht, allzu fern, als Apostolische Majestäten bei der Bischofsernennung ein gewichtiges Wort mitzureden hatten. Allerdings suchte im römischen Kirchenbereich das päpstliche Amt den Ein- und Ubergriffen des Staates wiederholt und erfolgreich Einhalt zu gebieten, während im evangelischen und anglikanischen Raum der Weg in.die Freikirchen offen stand. In den Ostkirchen hingegen bildete sich das Mönchtum als einziger Träger der Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat heraus, während es zu freikirchlichen Bewegungen von Bedeutung nur in der russischen Orthodoxie gekommen ist.

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Die Frage der Rechtmäßigkeit oder unkanonischen Amtsführung des von der griechischen, Militärregierung im Mai 1967 eingesetzten Athener Erzbischofs Hieronymös Kotspnis wird zur Zeit in Griechenland wieder heftig diskutiert, nachdem der Oberste Gerichtshof die Athener Kirchenleitung in einem Gutachten für illegal erklärt hatte. Für westkirchliche Begriffe mag es von vornherein unzulässig sein, daß Regierungen Erzbischöfe einsetzen und staatliche Höchstgerichte über deren Rechtmäßigkeit urteilen, doch sind auch bei uns die Zeiten nicht, allzu fern, als Apostolische Majestäten bei der Bischofsernennung ein gewichtiges Wort mitzureden hatten. Allerdings suchte im römischen Kirchenbereich das päpstliche Amt den Ein- und Ubergriffen des Staates wiederholt und erfolgreich Einhalt zu gebieten, während im evangelischen und anglikanischen Raum der Weg in.die Freikirchen offen stand. In den Ostkirchen hingegen bildete sich das Mönchtum als einziger Träger der Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat heraus, während es zu freikirchlichen Bewegungen von Bedeutung nur in der russischen Orthodoxie gekommen ist.

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Die Abhängigkeit von den politischen Gegebenheiten, in der sich ausnahmslos alle Ostkirchen heute befinden, läßt die Notwendigkeit gerade jetzt in Zweifel gestellter Aufgaben des Papsttums als Garant der Übernationalität und -Staatlichkeit der Kirche der Gefahr eines neuen Josephinismus der lokalen Bischofskonferenzen gegenüber deutlich hervortreten. Anderseits war es gerade diese Bindung der Orthodoxie an den Staat oder bestimmte politische Systeme und Ideologien, die ihre echte „reformatio“ bis heute verhindert hat. So sind die Bemühungen einsichtiger griechischer Bischöfe um die Rückkehr zur ursprünglichen, strengeren Scheidungspraxis an der Tatsache gescheitert, daß die kirchliche Trauung in Griechenland auch für Atheisten und Agnostiker verbindlich ist und daher gewisse Freizügigkeiten einfach nicht beseitigt werden können. Auf der anderen Seite suchen Athener Staranwälte seit Jahren die kirchliche Billigung der „automatischen Scheidung“ nach sechsjähriger Trennung und die Erlaubnis der vierten Ehe durchzu-

setzen, was allen kanonischen Traditionen des christlichen Ostens widerspricht. Sicher gibt es dazu in Italien und Spanien Parallelfälle, doch besteht der große Unterschied darin, daß sich diese Staaten — dank dem Papsttum — nach der Kirche zu richten bemühen, während die orthodoxen Staaten die Kirche als untergeordneten Bestandteil des öffentlichen Lebens behandelten, wie das noch heute in Griechenland der Fall ist. In den kommunistischen Staaten wiederum wurde die Kirche zwar offiziell vom Staat getrennt, ihre Abhängigkeit von ihm aber durch das totalitäre System eher vermehrt. Für diese Mißverhältnisse zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt im orthodoxen Bereich war die paradoxe Situation der serbischen Kirche im Königreich Südslawien bezeichnend, die als Staatsreligion in Unfreiheit lebte, während sich die katholischen Kroaten und Slowenen eines Konkordats erfreuten, da ihre Interessen vom Heiligen Stuhl vertreten wurden.

Das ideale Zusammenwirken von geistlicher und weltlicher Gewalt im

byzantinischen Sakralstaat, dessen Kaiser religiöse Funktionen ausübte und damit zu Recht in den kirchlichen Angelegenheiten mitbestimmte, ist heute einseitig zu Gunsten des Staates verschoben. Nur noch in Äthiopien, wo Kaiser Harle Selassie Diakon der koptischen Kirche und gleichzeitig ihr Schirmherr ist, und auf Zypern mit seinem Erzbischol-Präsidenten Makarios III. herrscht annähernd das alte Gleichgewicht zwischen den Gewalten. In Griechenland stellt die vom Militärregime eingeführte neue Kirchenverfassung zwar insoweit einen Fortschritt dar, als sie die Kirche für

„autonom im Staat“ erklärt, doch beschränkt sich diese Autonomie im wesentlichen auf die kirchliche Finanzverwaltung. Erzbischof-Pri-mas und Bischöfe, die bisher frei vom Plenum ihrer Amtsbrüder gewählt wurden, werden nach den neuen Bestimmungen von der Regierung ernannt. Das ist zweifellos ein Rückschritt.

Solange in der ostkirchlichen Praxis das Prinzip des „Phyletismus“ herrscht, mag dieses auch vor 100 Jahren von einer Komstantinop-ler Synode verurteilt worden sein, und damit jede orthodoxe Gliedkirche kraft ihres Volkstums oder Staates souverain und ohne gemeinsame Instanzen ist, kann die totale Abhängigkeit der geistlichen von einer heute oft un- oder antichristlichen weltlichen Gewalt nichit überwunden werden. Die Versuche zur Beseitigung dieses Zustandes zielen daher in erster Linde auf die Aufwertung der Einzeldiözesen gegenüber der Allmacht und häufigen Willkür der Patriarchen und Großerzbischöfe ab, die über viel größere Vollmachten verfügen, als dem

Papst heute innerhalb der römischen Kirche zum Vorwurf gemacht wird. Die Verfechter dieses auf der frühchristlichen Praxis fußenden „Epis-kopalianismus“ — sie sind vor allem in den nordgriechischen Diözesen zu finden — sind sich darüber im Klaren, daß ihre Anstrengungen nur dann Erfolg haben werden, wenn sie sich dabei auf eine den Staats-, Landes- und Volksküchen übergeordnete Autorität stützen können. Ihre Mehrzahl blickt dabei hilfesuchend zum ökumenischen Rat der Kirchen nach Genf, so Metropolit Chrysostomos von Piräus, der im November auf dem Höhepunkt der griechischen Kirchenkrise als Wortführer der Anti-Hieronymos-Opposdtion in die Schweiz reiste. Aber auch das Ansehen des Vatikans ist in Griechenland im Steigen, da die unter dem Mili-tärregtaie besonders drückenden Härten der Zwangsehe Kirche— Staat die Orthodoxen zur selben Stunde Werte des Papsttums entdek-ken ließen, in der auf römischen Bischofssynoden die regionale Aufsplitterung der katholischen Kirche gefordert wird.

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