Der Fehler liegt im System

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Zu den tieferen Hintergründen der Krise um Bischof Kurt Krenn.

Eine Vorbemerkung: Die folgenden Überlegungen urteilen nicht über Menschen, weder über Bischof Kurt Krenn noch über den Papst, der ihn ernannt hat. Es wird davon ausgegangen, dass beide in bester Absicht gehandelt haben. Vielmehr sollen die eigentlichen Probleme dahinter aufgezeigt werden. Denn gerade in einer solchen Krise genügt es nicht, Symptome zu behandeln, ohne die Ursachen aufzudecken und zu beheben.

Am 7. Juni 1993 antwortete Bischof Kurt Krenn im Fernsehprogramm ORF 2 auf die Frage eines Moderators, was passieren müsste, dass er einmal über Korrekturen von seiner Seite nachdenken würde: "Da müsste der liebe Gott abdanken, denn ich vertrete die Wahrheit, die Gott uns gibt." Diese Aussage klingt sehr überheblich, fast wie eine Blasphemie, muss es aber unter den Voraussetzungen des Systems, in dem Bischof Kurt Krenn denkt, nicht sein. Denn dieser geht davon aus, dass der Papst und unter dessen Leitung die Bischöfe in Fragen des Glaubens und der Sitten unfehlbar sind und alle ihre Lehren von den Gläubigen "mit religiösem Gehorsam" zu befolgen seien (Kirchenrecht, Kanon 750 und 752). Dahinter steht die Vorstellung, dass der Papst als von Gott durch Christus eingesetzter Statthalter das Volk Gottes zu führen hat und dabei mit den Bischöfen, die ihm unterstellt sind, an der göttlichen Unfehlbarkeit teilhat. Das Zweite Vatikanische Konzil hat entgegen seinen Visionen von Kirche als Communio an diesem hierarchischen System festgehalten. Diese unfehlbare Autorität wurde 1973 in der Antwort auf Hans Küngs Kritik neu eingeschärft.

Im System nicht vorgesehen

Der Papst war es auch, der die Bischöfe Hans Hermann Groër und Kurt Krenn ernannte, um seinen Standpunkt in der Frage der Empfängnisregelung in der österreichischen Bischofskonferenz durchzusetzen. Diese hatte unter dem Vorsitz von Kardinal Franz König in der "Maria Troster Erklärung" festgehalten, dass die Gläubigen in dieser Frage nach sorgfältiger Prüfung ihrem Gewissen folgen können. Das war ein Ausweg aus der durch die Enzyklika "Humanae vitae" entstandenen Krise, den auch viele andere Bischofskonferenzen gingen. Doch es war nur ein Versuch, den Absolutheitsanspruch einer päpstlichen Lehre zu umgehen, ohne die Frage inhaltlich zu klären. Denn eine echte kollegiale Auseinandersetzung ist im geltenden System nicht vorgesehen.

Vergöttlichte Amtsträger?

Der tiefste theologische Hintergrund einer solchen Auffassung von heiliger Herrschaft im Namen Gottes ist die von den griechischen Kirchenvätern entwickelte Lehre von der Vergöttlichung aus Gnade, deren Werkzeug die hierarchischen Amtsträger sind. Der Katechismus der Katholischen Kirche beruft sich diesbezüglich in Nr. 1589 auf Gregor von Nazianz, der schreibt: "Der Priester ... wird vergöttlicht und soll vergöttlichen [kursiv im Katechismus!]." Eine solche Lehre ist nicht biblisch, sondern entspricht hellenistischen Erlösungsvorstellungen. Diese göttliche Vollmacht kulminiert im Papst, der sich jene als Bischöfe aussucht, die in allen heiklen Fragen - wie Empfängnisregelung, Pflichtzölibat, Frauenpriestertum - seinen Standpunkt vertreten und bereit sind, einen Treueid zu leisten, in dem sie unbedingten Gehorsam versprechen.

Unter diesen Voraussetzungen müsste Gott wirklich abdanken, wenn der Papst und ein ihm gehorchender Bischof nicht Recht hätten. Hier wird die Begrenztheit menschlichen Seins und Erkennens nicht ernst genommen, sondern übergangen. Damit verbunden ist auch die Erwartung, dass Gott durch seine Gnade die menschlichen Fehler der Kandidaten für das Priesteramt ausgleicht und man daher bei diesen nicht so genau auf die natürlichen Voraussetzungen achten muss. Eine genügende Zahl von Priestern ist dann wichtiger als deren Eignung für diesen Beruf. Und beim Papst fehlt die Bereitschaft zu inhaltlichen Korrekturen seiner Lehren und Entscheidungen und damit auch zum Eingeständnis von Fehlern.

Doch es wäre völlig ungenügend, Kritik an diesen tieferen Gründen der derzeitigen Krise zu üben, ohne eine überzeugende Alternative aufzuzeigen. Was könnte an die Stelle des hierarchischen Systems mit seinem göttlichen Absolutheitsanspruch treten, ohne in das andere Extrem eines Relativismus zu fallen, wonach auch Dogmen schlechthin irrig sein können, in dem alle Religionen gleich gültig sind (es daher gleichgültig ist, welcher man angehört), sowie jeder und jede einzelne Gläubige seine oder ihre Wahrheit hat (wie Hans Küng meint)? Die Plattform "Wir sind Kirche" kritisiert zwar mit Recht die gegenwärtigen Zustände, aber kennt als Alternative nur die Mehrheitsdemokratie. Diese ist in einer Glaubens- und Gesinnungsgemeinschaft ebenso abzulehnen wie die Letztentscheidung eines Einzelnen.

Die biblische Alternative

Vor der Bischofsweihe von Kurt Krenn in Wien veranstaltete das Forum "Kirche ist Gemeinschaft", das sich im Anschluss an die Ernennung von Hans Hermann Groër zum Erzbischof gebildet hatte, einen Wortgottesdienst auf dem Heldenplatz (mit anschließendem Schweigemarsch zum Stephansdom). Das Anliegen war ein Aufschub der Weihe, bis der Konflikt um diese umstrittene Bischofsernennung geklärt sei. Als Lesung wurde der Bericht vom so genannten Apostelkonzil gewählt, in dem von "großer Aufregung und heftigen Auseinandersetzungen" und später nochmals von "heftigem Streit" die Rede ist (Apostelgeschichte 15, Verse 2 und 7). Dieser Konflikt war schon eine Zerreißprobe in der jungen Kirche und ist gut vergleichbar mit der gegenwärtigen Krise. Wie wurde er behoben, was können wir daraus lernen?

Die damalige Lösung hatte eine formale und eine inhaltliche Komponente. Erstere lag in der Art der Entscheidungsfindung: Diese fiel "einmütig" (Vers 25) im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes: "Der Heilige Geist und wir haben es für gut befunden ..." (Vers 28). Dabei hatte Petrus ein gewichtiges Wort mitzureden: Er konnte nicht übergangen werden, hatte aber nicht allein die letzte Entscheidung. Die inhaltliche Lösung bestand in einer echten Korrektur bisher absolut geltender Maßstäbe: Die Forderung der Beschneidung nach dem Gesetz des Mose wurde aufgegeben, ohne jedoch die Ordnung der christlichen Gemeinden einer Mehrheitsentscheidung oder gar der Beliebigkeit zu überlassen.

Für ein neues Konzil

Beide Komponenten dieser Lösung könnten die Kirche aus der gegenwärtigen Krise führen. Dazu wäre wohl - nach gründlichen Vorbereitungen - ein neues Konzil nötig, das mit inhaltlichen Verbesserungen kirchlicher Lehren rechnet und die Amtsträger als Zeichen und Werkzeug (bevollmächtigte Vermittler) der Einmütigkeit versteht. Dieser Weg erfordert ein Umdenken, eine Bekehrung aller Beteiligten, nicht nur der "Hierarchen", sondern bei allen Gläubigen. Es handelt sich um ein anderes, um ein kollegiales oder geschwisterliches System der Wahrheitsfindung in der Kirche, das viel anspruchsvoller ist als das derzeitige. Es würde auch die Kriterien und die Art der Bischofsernennungen verändern. Doch dadurch könnte die Kirche zum Modell einer neuen Gesellschaft werden.

Der Autor ist Universitätsdozent für Pastoraltheologie in Innsbruck. Er hielt in dem oben erwähnten Gottesdienst auf dem Heldenplatz die Predigt und ist Verfasser des Buches "Papstamt jenseits von Hierarchie und Demokratie. Ökumenische Suche nach einem bibelgemäßen Petrusdienst. Mit Beiträgen von Ulrich H. J. Körtner und Grigorios Larentzakis" (Münster 2003).

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