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Der Fürstprimas von Ungarn

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Das Schicksal des Kardinals Josef M i n d s z e n t y, des Erzbischofs von Esztergom (Gran), das zur Zeit die Weltöffentlichkeit neuerdings lebhaft bewegt, läßt es angezeigt erscheinen, sich des Wesens der Funktion dieses Kirchenfürsten zu erinnern. In ihr verbinden sich nämlich zweierlei Autoritäten, die ihren Ursprung auch in zwei Quellen haben: eine im Bereich der römisch-katholischen Kirche und eine im Bereich des allzeit erheblich traditionsgebundenen und eigenwilligen ungarischen Staatsrechts. Der Fürstprimas in Ungarn ist nach diesem Recht nicht bloß kirchliches Haupt des römisch-katholischen Episkopats von Ungarn, sondern ihm kommt auch im obersten staatsrechtlichen Organismus der Länder der heiligen Stephanskrone eine hervorragende Stellung und Aufgabe zu.

„Der einzige Erzbischof von Gran..

Im heutigen Kirchenrecht haben die Primaten, wenn nicht partikularrechtlich anderes verfügt ist, nur einen Ehrentitel, der ihnen außer der Präze-denz, dem Recht des Vorrangs, keinerlei Jurisdiktion gewährt. Wohl aber ordnet der Codex iuris canonici ausdrücklich an, daß die Primaten zum Ökumenischen Konzil geladen werden müssen. „Der einzige Erzbischof von Gran übt als Primas von Ungarn auch heute noch im ganzen Staatsgebiet der Stephanskrone kirchliche Rechte, welche als eine vollwichtige Reminiszenz an die alte primatiale beziehungsweise patriarchale Jurisdiktion zu bezeichnen sind“, lehrt noch Groß-Schuel-ler, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts.

Rudolf Ritter von S c h e r e r umschreibt in seinem Handbuch den kirchlichen und staatsrechtlichen Bereich des Primas von Ungarn näher: „Er übte Primat wie Vicariat tatsächlich über das ganze Gebiet der Länder der heiligen Stephanskrone, auch die exemten Kirchen nicht ausgenommen. Darnach hat er das Recht, sich im ganzen Reich das Kreuz vortragen zu lassen, das Nationalkonzil zu berufen und zu leiten, von den erzbischöflichen Gerichten, mit Ausnahme von Kalocsa, Appellationen anzunehmen, als apostolischer Legat alle unter der ungarischen Krone stehenden Diöze-fen, auch exemter Prälaten, insbesondere die immerhin exemten Benediktiner-, Prämonstratenser- und Zisterzienser-Abteien zu visitieren. Unter den politischen Vorrechten des Primas ragt dessen Fürstentitel, Rechts-, Erz- und Geheimkanzlerwürde und das Recht, den König zu krönen, hervor.“

Durch die Päpste bestätigt

Die ungarischen Schriftsteller führen das Primat Grans auf den von König

Ladislaus III. genehmigten Beschluß einer unter dem Vorsitz des apostolischen Legaten Philipp von Fermo gehaltenen Ofener Synode, 1279, zurück. Die Verleihung des Primats und der Würde eines legatus natus — eines päpstlichen Gesandten kraft seines Amtes — erfolgte seitens Bonifaz IX. am 24. April 1394. Sie bezog sich allerdings nur auf die Kirchenprovinz von Gran und unterscheidet sich von der älteren Verleihung dadurch, daß die Exemten von der Gewalt des Legaten ausdrücklich ausgenommen werden. Darin darf aber keine Schmälerung der ursprünglichen Befugnis gesehen werden, zumal diese am

24. Märs 1462 von Nikolaus V. und am 6. Mai 1513 von Leo X. bestätigt wurde.

Das von altersher geübte Recht, den König zu krönen sowie das Recht, dem König und dessen Familie die Sakramente zu spenden und über des-

sen Officiale sowie sämtliche königliche Abteien und Propsteien des Landes die kirchliche Jurisdiktion auszuüben, wurde schon 1231 von Gregor IX. bestätigt. Diese Bestätigungen erweisen, daß auch in Ungarn die Pri-matialmacht zu Zeiten nicht unbestritten war. Selbst am Ende des 19. Jahrhunderts mußte der Fürstprimas Johann Simor (geboren 1813 zu Stuhlweißenburg, 1857 Bischof von Raab, 1867 Erzbischof von Gran, gestorben 1891) die gefährdeten oder scheinbar veralteten Primatialrechte von Gran wieder energisch nach jeder Richtung wahren und bestätigen.

Der erste Prälat des Königreiches

Entstanden ist das staatliche Amt des Primas in der königlichen Hofhaltung. Schon Geza nahm sich den deutschen Königshof zum Vorbild; Stephan der Heilige richtete den seinen noch deutlicher nach diesem aus. An seiner Spitze stand nach fränkischem Muster der Comes Palatinus, der Großgraf, in ungarischer Sprache Nädoris-pän genannt, und neben ihm ein Prälat, der die Urkunden ausfertigt und so das Amt des Kanzlers versieht. Sehr früh wird dieses Amt mit dem des Erzbischofs von Esztergom-Gran verbunden, der diesen Titel bis in die neueste Zeit weiterführte. Als um 1160 die ungarische Kirche zwischen Rom und Konstantinopel schwankte, war es Lukas, der Erzbischof von Gran, der in dieser Eigenschaft mit großer Energie Ungarn dem Abendland erhielt und die Verbindung mit Rom stärkte. Der politische Erfolg war die Beseitigung der Hegemonie des griechischen Kaisertums. Dadurch wieder stieg das Ansehen des „ersten Prälaten“ der ungarischen Kirche bedeutsam.

Als der im Jahre 1387 zum König gewählte Sigismund von Luxemburg, der Sohn Kaiser Karls IV., mit den Großen des Reichs in so heftigen Gegensatz gerät, daß sie ihn 1401 als Gefangenen erklären, verwaltete eine ständische Regierung, Palatin und Primas, das Reich. Der Primas nannte sich nun „Kanzler der heiligen Krone“; der ständische Rat verfügte „durch die Autorität der heiligen Krone“.

Nach dem Nädor, dem Palatin, ist der Primas der nächste Fürst des Reiches. In der Zeit des Königswahlrechtes bis zur Einführung des Erbkönigtums, 1687, fragt der Primas dreimal bei der Krönung die Anwesenden mit erhobener Stimme, ob sie den gegenwärtigen Fürsten zum König krönen wollen. Seit 1712 blieb diese Frage weg. Nädor und Primas aber sind es, die dem König die Krone auf das Haupt setzen.

Italienisch-österreichische Wallfahrt

Die italienische und österreichische Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung PAX CHRISTI hat beim italienischen PAX-CHRISTI-Kongreß in Siena im September 1962 beschlossen, heuer eine gemeinsame Wallfahrt nach Einsiedeln zu unternehmen, um die zwischen Österreich und Italien bestehenden Differenzen und insbesondere die Lage der deutschsprachigen Minderheiten in Südtirol in gemeinsamem Gebet Gott vorzutragen und durch grundsätzliche Aussprachen zum gegenseitigen Verständnis und zur Entspannung der Lage beizutragen. Diese Wallfahrt wird am 6. und 7. Juni dieses Jahres unter der Führung des Erzbischofs Castellano von Siena und des Bischofs Rusch von Innsbruck stattfinden. Zur Vorbereitung der Aussprachen wurde ein Arbeitskreis von Experten in Wien gebildet.

Das Ärgernis des derzeitigen Mißverstehens zwischen zwei katholischen Völkern über die Lage und Lebensmöglichkeiten einer katholischen Minderheit muß durch gemeinsame religiöse Anstrengun-

gen und durch Aussprachen auf Grund des gemeinsamen christlichen Naturrechtes überwunden werden. Unser Heiliger Vater hat ja inzwischen in seiner Friedensenzyklika selbst zu diesen den Frieden zwischen den Völkern bedrohenden Problemen Stellung genommen und gesagt, daß „es den Geboten der Gerechtigkeit entspricht, wenn die Staatslenker sich tatkräftig bemühen, die Lebensbedingungen zu heben, namentlich in dem, was deren Sprache, Kultur, Herkommen und Gebräuche sowie wirtschaftliche Unternehmungen und Initiativen betrifft“. Gleichzeitig warnte er die Minderheiten vor einer Überschätzung der völkischen Werte und forderte sie besonders auf, den täglichen Umgang mit den fremdsprachigen Mitbürgern ihres Staates dazu zu benutzen, um eine kulturelle Brücke zwischen ihrem Volkstum und dem der Mehrheit zu bilden.

Einzelne Anmeldungen für die Wallfahrt können noch beim PAX-CHRISTl-Büro in Wien I, Stephansplatz 3, angenommen werden.

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