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Der Geist von Mariazell

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Aus einer Pressemeldung des Journalisten Richard Barta über den Katholikentag 1952 wurde nachträglich das legendäre „Mariazel-ler Manifest" („freie Kirche in einem freien Staat"). Vielleicht wird auch der Wert der „Wallfahrt der Vielfalt", die jüngst Katholiken aus allen Richtungen in den steirischen Gnadenort geführt hat, erst später ganz erkannt.

Das „Kirchenvolks-Begeh-ren" (KVB) von 1995 war An, laß zu dieser Veranstaltung gewesen, die Bischof Johann Weber, Vorsitzender der Bischofskonferenz, unter das Motto „Streiten und Beten" gestellt hatte. Einer Fachtagung der Bischöfe mit Experten in Gö-sing und regionalen Treffen („Stationes") in' der Umgebung, auf denen „heiße Eisen" angefaßt wurden, folgten Stunden der Besinnung auf die Schätze des christlichen Glaubens. Und in manchen Momenten schienen auch in der derzeitigen „Kirche der unterschiedlichen Geschwindigkeiten" die Uhren wieder annähernd gleich zu gehen.

Mögliche Leitworte für ein neues „Manifest":. „AVas wir von der Gesellschaft fordern, müssen wir in der Kirche leben" (so faßte die Präsidentin der Katholischen Aktion Österreichs, Eva Petrik, die Ergebnisse von Gösing zusammen) oder die Aussage des Baseler Bischofs Kurt Koch bei der „Statio" in Aflenz: Es gehe in der Kirche um eine „gläubige Kultur der Konsensfindung".

Lösungen waren nicht zu erwarten, aber allgemein wurde eine Klimaverbesserung registriert. Die Konsensbasis sei „viel breiter, als wir annehmen", stellte der Wiener Erz-bischof Christoph Schönborn erfreut fest. Aber auch die Fähigkeit, Dissens in zweitrangigen Fragen auszuhalten, dürfte gewachsen sein.

Einander das Christ- oder Katholisch-Sein abzusprechen, widerspreche jedenfalls dem „Geist von Mariazell", betonte Schönborn, während Weber den Gedanken, die KVB-Akti-visten seien „Kirchenfeinde", für .„völlig: überwunden" erklärte. Sicher, nicht nur Toleranz, sondern vor allem Sorge um die Einheit dürfte das Gesprächsklima gefördert haben. Aber vielleicht weckte auch gerade Mariazell bei kritischen KVB-Anhängern das Verständnis für die Kraft traditioneller Volksfrömmigkeit, während auch konservative Katholiken in ihren reformfreudigen Geschwistern noch manche passable Züge entdeckten. Man darf aber nicht vergessen: Nur eine Minderheit des Intensivsegments der katholischen Kirche erlebte den „Geist von Mariazell" mit.

Wie geht es nun weiter? Im Auftrag der Bischöfe soll die Pastoralkommission Österreichs (PKÖ) die durchaus brisanten Papiere von Gösing (etwa zum Amt für die Frau oder zum Zölibat) aufgreifen und den Grundtext für einen Hirtenbrief zur Jahrtausendwende erarbeiten. Wie beim Sozialhirtenbrief soll dazu ein großer Gesprächsprozeß im ganzen Land stattfinden. Ob der nachdrückliche Wunsch der KVB-Aktivisten nach einer Kirchenversammlung in irgendeiner Form erfüllt wird, ist freilich offen. KVB-Initiator Thomas Plankensteiner, der in Mariazell Willen zum Mitbauen signalisierte, indem er einen Ziegel zum Altar brachte, erwartet aber eine klare Antwort. Laut PKÖ-Vorsitzendem Alois Schwarz ist ein „Österreich-Vorgang eines pastoralen Austausches" ins Auge gefaßt.

Was darf sich die katholische Öffentlichkeit erwarten? Von der Kirchenleitung sicher, daß sie in einer sorgfältigen Dokumentation allen zugänglich macht, was in Gösing und Mariazell (samt „Stationes") zur Sprache kam, daß sie den Dialog in Gang hält. Wichtig wäre aber auch, daß man, in jeder Diözese vermutlich anders, klare Antworten auf die KVB-Wünsche gibt.

Weder die Weltkirche noch die Gesamtheit einer Ortskirche sind dabei aus den Augen zu verlieren. Erzbischof Schönborns kluges Wort, zu rasche Strukturreformen können destabilisieren, Bedächtigkeit könne auch Weisheit sein, ist für das Umsetzen von Beformen sicher gültig, sollte aber grundsätzliche Signale der Reformbereitschaft nicht aufhalten. Es wird auf die Kunst der Bischöfe ankommen, die Schnellen zu bremsen und die Langsamen mitzuziehen.

Will die katholische Kirche stärker nach außen wirken, wird zum Streiten (im Sinne von zivilisierter Konfliktaustragung) und Beten noch etwas anderes kommen müssen: der Dienst an der Welt. Gott kann und soll man bekanntlich auch in den „geringsten Brüdern" begegnen. Wollen sich die Katholiken nicht fortwährende Nabelschau, übermäßige Papierproduktion und fromme Weltfremdheit nachsagen lassen, müssen sie auch hier stärkere Zeichen setzen.

Warum sollten sich nicht ins Programm kirchlicher Großereignisse konkrete Sozialeinsätze und -angebote einbauen lassen? Diese dürften natürlich nicht einmalige Show-und Alibihandlungen bleiben, sondern müßten - eventuell im Rahmen der einschlägigen kirchlichen Einrichtungen -auf permanente Weiterwirkung auf pfarrlicher, diöze-saner und gesamtösterreichischer Ebene angelegt sein.

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