Der Geschmack Europas

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Unter diesem Motto diskutierten beim dritten Pfingstdialog "Geist & Gegenwart" im steirischen Schloss Seggau Wissenschafter, Kulturschaffende und Politiker europäische Zukunftsfragen.

Alles Abwandlungen von ein und derselben Idee, einfache Zutaten durch die Zubereitung zu veredeln, durch geringfügige Ergänzungen zu erhöhen und die Eigenart einzelner Zugaben hervorzuholen. Alles hoch elaborierte Annäherungen an gewohnte Geschmäcker, an uralte Erfahrungen, ein Hineingreifen in den unergründlichen Schatz der Fantasie, um sich und die Seinen mit den veredelte Produkten der Natur zu belohnen." So beantwortet der kärntnerslowenische Verleger Lojze Wieser gemeinsam mit seiner Frau, der Germanistin Barbara Maier, die Frage "Wie schmeckt Europa?" in einem Beitrag für den gleichnamigen, von ihm herausgegebenen Band (siehe Buchtipp unten).

Wieser, einer der Protagonisten des nun schon zum dritten Mal veranstalteten Pfingstdialogs "Geist & Gegenwart", ließ es auf Schloss Seggau indes nicht mit feuilletonistischen Annäherungen bewenden: Gemeinsam mit Maier kreierte er unter dem Titel "Europa wie es is(s)t" ein "Menü in sieben Akten", das den Teilnehmern, von Wieser & Maier kommentiert, auf den Tisch gezaubert wurde und machte solcherart anschaulich, wie vielfältig doch Abwandlungen von ein und derselben Idee sein können. Fürwahr ein Symposion!

Nationale Mythen, chauvinistische Bazillen

Das Lukullische kann freilich nur den Unter- (oder Über-)bau für eine Tagung über Europa abgeben. Vielleicht aber war die kulinarische Metaphorik, die sich vom Titel - "Der Geschmack Europas" ausgehend wie ein roter Faden durch die drei Tage zog, doch mehr als ein Zufall, oder soll man sagen: ein geschmäcklerischer Einfall der Veranstalter. Vielleicht nämlich funktioniert im Bereich der Küche, was sonst oft als europäisches Prinzip schlechthin beschworen wird, in der politisch-ökonomischen Realität aber so unendlich schwierig und mühsam erscheint: Einheit in Vielfalt. Dessen ist sich auch Wieser bewusst, wenn er schreibt: "Alle reden vom Gleichen, und doch unterscheiden sie sich. Die Erinnerungen, vermischt mit nationalen Mythen und von großen oder kleineren chauvinistischen Bazillen befallen, bilden die Zutaten der jeweiligen eigenen Überheblichkeit. Wenn wir uns davon nur verabschieden könnten!"

Aber nicht nur die unterschiedlichen nationalen Narrative spielen in die europäische Gegenwart herein, auch die supranationalen Erinnerungen Europas, die großen geistig-religiösen Traditionsstränge sind unvermindert präsent. Sei es im Modus der Affirmation, der kritischen Auseinandersetzung, der Negation oder auch der Ignoranz - die heutigen Europäerinnen und Europäer stehen in Bezug zu Antike, jüdisch-christlichem, auch muslimischem Erbe, Humanismus, Aufklärung. "Man entrinnt den Wurzeln Europas nicht", formuliert es der Theologe und Arzt Manfred Lütz, einer der Referenten auf Schloss Seggau, im FURCHE-Gespräch (siehe Seite 22/23). Vor allem an der Frage, wie es denn Europa mit dem jahrhundertelang geistig, kulturell und spirituell dominanten Christentum halten solle, scheiden sich die Geister. Das hat die durchaus anspruchsvoll geführte Diskussion um einen Gottesbezug in einer - mittlerweile obsoleten - europäischen Verfassung ebenso gezeigt, wie in zur Kenntlichkeit karikierter Form der jüngste EU-Wahlkampf in Österreich.

Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx stellte sich denn in seinem Schlussvortrag auch ganz direkt der Frage, ob zum "Geschmack Europas" noch das Christentum dazugehöre. Viele hielten Europa eher für religiös "versalzen", als dass sie den christlichen Glauben als "Salz der Erde" empfänden. Mit schuld daran sieht Marx eine "Versuchung des Glaubens, sich von der Moderne zu distanzieren" und die Geschichte der Moderne als eine des Verfalls zu erzählen. Demgegenüber verweist Marx auf das Christentum als "Konstitutionsbedingung" der Moderne: Was im Gefolge der Aufklärung wirkmächtig wurde und uns heute als Grundlage moderner Gesellschaften unverzichtbar gilt, speist sich ganz wesentlich aus christlicher Quelle. Dass dies dennoch oft wider das real existierende, kirchlich verfasste Christentum erkämpft werden musste, würde der Erzbischof nicht bestreiten.

Im Anklang an Benedikt XVI. will Marx das Christentum als "vernunftgeleitete Aufklärung" verstanden wissen. Wie der Papst streicht er die Synthese von Denken und Glauben heraus, betont, dass Religion Theologie braucht und kritisiert scharf nicht nur die Kleinmütigkeit, sondern auch die "intellektuelle Dürftigkeit" des christlichen Zeitgesprächs. "Religion muss die Kraft des Diskurses haben, um anschlussfähig zu sein", postuliert er unmissverständlich.

"Die Zeit des Christentums liegt noch vor uns"

Das hochkomplexe System von offener Gesellschaft, Marktwirtschaft, Sozialstaat habe, so Marx, "verantwortete Freiheit zur Grundlage und Voraussetzung". Zustimmend zitiert der Erzbischof den deutschen Verfassungsrechtler (und Doch-nicht-Finanzminister) Paul Kirchhof: "Familie ist das Privateste, was es gibt. Aber es ist von höchstem öffentlichen Interesse." Wenn Marx davon spricht, dass es keine Freiheit ohne Solidarität, Liebe und Opfer geben könne, dann sind darin Privates und Öffentliches verschränkt. Solche Wahrheit freilich schmeckt den wellness- und eventkonditionierten Zeitgenossen bitter.

Reinhard Marx macht auch kein Hehl daraus, dass er - um des Menschen, nicht um Gottes willen - einen Transzendenzbezug in einem europäischen Vertragsdokument für bedeutsam gehalten hätte: Der Sinn wäre gewesen zu sagen: "Wir sind nicht Gott!". Ungeachtet dessen ist Marx um den christlichen Geschmack Europas nicht bang - unter Berufung auf den verstorbenen Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger sagt er: "Die große Zeit des Christentums in Europa liegt noch vor uns." - Europa, wie es sein könnte, der achte Akt.

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