Der gesegnete Weckrufer

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Wenn in diesen Tagen der Ramadan zu Ende geht, bleibt mir vor allem Michel Ajoub in Erinnerung. Während des muslimischen Fastenmonats läuft er jeden Morgen von 2 Uhr bis 4 Uhr durch die Altstadt von Akko. In traditionellen arabischen Gewändern, laut trommelnd und singend. Was man für nächtliche Ruhestörung halten könnte, freut die Anwohner. Sobald sie Michel hören, ziehen sich rasch an und erwarten ihn schon an der Eingangstür ihrer Häuser. Er wünscht ihnen "Ramadan Karim" - "gesegneten Ramadan". Sie umarmen ihn, bieten ihm Getränke an. Michel ist ihr "Masaharati", der "Aufwecker". Er sorgt dafür, dass die Muslime im Ramadan vor Morgengrauen aufwachen, damit sie noch das Suhur - das kleine Frühstück - zu sich nehmen können, bevor das religiöse Fasten beginnt.

Warum mich Michel fasziniert hat? Weil der 40-Jährige selbst kein Muslim ist, sondern gläubiger Christ. Zur Begründung, warum er seit 13 Jahren den "Masaharati" für die Menschen in Akko macht, sagt er: Gott habe ihm musikalisches Talent und eine gute Stimme geschenkt. Er habe sich überlegt, wie man diese Talente einsetzen könne, um anderen Gutes zu tun. Da habe sich der Masaharati-Dienst, den er einzig für Gotteslohn macht, aufgedrängt. Er helfe den Muslimen während ihrer harten Zeit des Fastens. Und zeige ihnen als Christ Respekt für ihre Religion, trage seinen Teil dazu bei, dass in Akko Christen, Muslime und auch Juden friedlich zusammenleben.

Ganz nebenbei sorgt er dafür, dass die alte Tradition, die durch Wecker starke Konkurrenz bekommen hat, nicht ganz ausstirbt. Diese Einstellung macht für mich Michels Geschichte so besonders. Klar - es ist nicht jeder zum Singen und Trommeln am frühen Morgen geschaffen. Aber vielleicht sollten wir öfter darüber nachdenken, wie wir unsere Talente im Sinn der Allgemeinheit nutzen können.

Die Autorin ist Korrespondentin der ARD im Nahen Osten

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