Der Glaube eines liberalen Geistes

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Adolf von Harnack war einer der bedeutendsten Theologen seiner Zeit: Er wollte die christliche Lehre durch die Geschichte reinigen.

Man lernt die Welt nur soweit kennen, als man auf sie einwirkt" - hat der vor 150 Jahren, am 7. Mai 1851 in der estnischen Universitätsstadt Dorpat (heute Tartu) geborene Kirchenhistoriker, preußische Bildungspolitiker Adolf von Harnack einmal seine Lebensmaxime beschrieben. Eine ungewöhnliche Aussage für einen distanziert analysierenden Historiker, kein ungewöhnlicher Satz für den akademisch herausragenden, politisch aber nicht minder aktiven protestantischen Theologen.

Harnack entstammte einer baltendeutschen Akademikerfamilie. Der Großvater war Professor für Staatswissenschaften in Dorpat, der Vater Thedosius Harnack lehrte dort und in Erlangen Theologie. Geprägt von der strengen lutherischen Frömmigkeit des Elternhauses nahm der junge Adolf Harnack 1869 das Theologiestudium in seiner Heimatstadt auf und setzte es 1871 in Leipzig fort. Seine persönliche und wissenschaftliche Entwicklung führten ihn zu einer dogmenkritischen Sicht der Theologiegeschichte, die später zum Bruch mit dem Vater führte. Harnack, der 1873 in Leipzig promovierte und sich ein Jahr später habilitierte, sah in Luther den Vorreiter der modernen Wissenschaften und die Quelle einer "fortwachsenden Kultur", die aus "der Enge und Unvernunft" der lutherischen Orthodoxie herausführte.

Liberale Theologie

Um den Dozenten sammelte sich in Leipzig ein Kreis junger liberaler Theologen, die eine aufgeklärte Interpretation des Christentums vertraten. Zwar stießen sie im konservativen Protestantismus auf starken Widerspruch. In den intellektuellen "Mainstream" der Kaiserzeit passt das liberale Christentumsverständnis mit seinem starken Rückbezug auf Geschichte, Kultur, Nation und Ethik dagegen gut.

Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 versuchte der Protestantismus im Kampf um die "Leitkultur der Kaiserzeit" zu dominieren. Gerade die liberalen Theologen arbeiteten gemeinsam mit nationalliberalen Historikern an einer "Synthese von Protestantismus und deutscher Nation beziehungsweise von Reformation und Kulturnation" (Kurt Nowak). Die Konfessionsunterschiede wurden dadurch vertieft, zumal der vom Kulturkampf geschwächte Katholizismus weiterhin als Reichsfeind galt.

Theologisch zielten die Liberalen darauf, das Dogma durch die Geschichte zu reinigen. Für Harnack gab es einen "inneren Kern des Evangeliums", der aber nie anders fassbar war als durch eine stets geschichtlich geprägte "äußere Schale". Zum eigentlichen "Wesen des Christentums" treten immer sekundäre Elemente hinzu - wie der Machterhalt der Kirche oder die vermeintliche Beweisbarkeit von Glaubenswahrheiten. Die dogmengeschichtliche Entwicklung muss deshalb durch die historische Kritik auf mögliche Fehlentwicklungen überprüft werden.

Das historische Studium zeigt dem Theologen aber auch, dass das Evangelium durch Rationalisierung nicht begriffen werden kann, sondern etwas "Zartes, Innerliches, Verborgenes" ist. Entscheidend ist für Harnack deshalb die Predigt Jesu, die im Verweis auf Gott, den unendlichen Wert der Menschenseele und zur Verpflichtung auf eine "bessere Gerechtigkeit" im Sinne der Nächstenliebe gipfelt. "Die Religion, nämlich die Gottes- und Nächstenliebe, ist es", so Harnack am Ende seines weltweit über 100.000 Mal verkauften theologischen Bestsellers "Das Wesen des Christentums", "die dem Leben einen Sinn gibt, die Wissenschaft vermag das nicht."

Einmischung in Politik

Ersten Ruhm brachte ihm die noch immer lesenswerte, in den 1880-er Jahren erschienene dreibändige Dogmengeschichte. Nach Professuren in Gießen und Marburg erhielt er 1888 einen Ruf der Berliner Universität, der er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1921 treu blieb. In Berlin mischte sich Harnack auch in wichtige öffentliche Auseinandersetzungen ein. Als 1890 die Sozialistengesetze in Kraft traten, zählte er zu den Gründungsmitgliedern des vom Hofprediger Adolf Stoecker geprägten "Evangelisch-Sozialen Kongresses". Harnack, von 1903-11 Vorsitzender dieses eher theoretisch, denn praktisch-politisch agierenden Diskussionsforums, sah im Kongress eine Möglichkeit zum sozialen Engagement jenseits von apolitischer Frömmigkeit und religiösem Sozialismus.

Nur wenige Jahre später sorgte Harnack im so genannten "Apostolikumsstreit" für Aufsehen: Ein württembergischer Pfarrer hatte ein Kind getauft, ohne vorher das Glaubensbekenntnis zu sprechen, weil er viele Passagen nicht mit seinem theologischen Gewissen vereinbaren konnte. Die Verbindlichkeit der einzelnen Sätze des Glaubensbekenntnisses, von der Jungfrauengeburt bis zur Auferstehung, stand also zur Debatte. Harnack lehnte zwar eine Abschaffung des Apostolikums ab, hielt es aber nicht für eine "Probe christlicher und theologischer Reife", das Bekenntnis wörtlich anzuerkennen. Seine Gegner bezeichneten diese Thesen als "destruktive Theologie". Außer einer Ermahnung des Kultusministeriums hatte dieser Streit für Harnacks Karriere keine Konsequenzen.

Mit der Berufung in die Preußische Akademie der Wissenschaften (1890), wo er Vorsitzender der bis heute tätigen Kommission der griechischen Kirchenväter-Ausgabe wurde, öffnete sich eine weitere wichtige Tür: 1900/ 01 wurde er Rektor der Berliner Universität, 1905-1921 war er Generaldirektor der Königlichen Bibliothek in Berlin. Den Höhepunkt seiner Laufbahn erreichte der 1914 in den Adelsstand erhobene Theologe durch die Wahl zum ersten Präsidenten der 1911 geschaffenen "Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften", die 1951 als Max-Planck-Gesellschaft wiedergegründet wurde.

Die Wahl fiel nicht zufällig auf Harnack. Als einflussreicher bildungspolitischer Berater hatte er in seiner Gründungsdenkschrift (1909) den Kaiser überzeugen können, dass "Wehrkraft und Wissenschaft" zu den "beiden starken Pfeilern der Größe Deutschlands" gehörten. Die Förderung von Großforschungseinrichtungen sei unumgänglich, damit das Reich im internationalen Vergleich wissenschaftlich und technisch bestehen könne. Die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war ohne Zweifel eine der bedeutendsten Innovationen der deutschen Wissenschaftspolitik. Sie führte erstmals zu einer engen Kooperation von Staat, Wissenschaften und Wirtschaft, die den ersten fünf naturwissenschaftlichen Instituten in Berlin-Dahlem durch großzügige Spenden zu einer soliden finanziellen Basis verhalf. Das Präsidentenamt behielt Harnack bis zu seinem Tode am 10. Juni 1930 inne.

Komplize der Krieger

In den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg engagierte sich Harnack für die junge ökumenische Bewegung, bemühte sich besonders um die deutsch-englischen und die deutsch-schwedischen Kirchenbeziehungen. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, als Teil des Establishments in die Kriegsbegeisterung von 1914 einzustimmen. Enttäuscht von der Kriegserklärung des "perfiden Albion" übernahm er den Auftrag, einen Aufruf des Kaisers an sein Volk zu entwerfen. Er unterzeichnete auch den chauvinistischen "Aufruf der 93", eine Solidaritätsadresse führender Professoren an die kriegführende Reichsregierung.

Die selbstgewählte Vereinnahmung der liberalen Kirchenmänner löste nach dem Krieg eine scharfe Kritik der jungen Theologen an ihren ehemaligen Vorbildern und einen Ruf nach einer religiösen Neuorientierung aus. Keiner artikulierte diese Krisenstimmung besser als der junge Schweizer Theologe Karl Barth. 1920 kam es auf einer Konferenz in Aarau zum entscheidenden Aufeinandertreffen. In Barths Ansätzen einer nicht an Kultur und Ethik, sondern an der biblischen Offenbarung orientierten Theologie sah Harnack die wissenschaftliche Theologie verächtlich gemacht. Doch der ethische Liberalismus war im Krieg unglaubwürdig geworden, die Dialektische Theologie Barths sollte dagegen das christliche Denken im 20. Jahrhundert prägen. Eine Ära ging zu Ende, eine neue begann, aber die Frage nach dem Verhältnis von Offenbarungsglaube und Geschichte blieb - und bleibt bis heute - bestehen.

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