friedrich-wilhelm-graf - © Wikimedia   -   Friedrich Wilhelm Graf

Friedrich Wilhelm Graf: Der Götter Wiederkehr - oder Morgenluft für die Theologie (I)

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Der intellektuelle Diskurs knöpft sich wieder die Religion vor. Exemplarische Bücher zum Thema: Friedrich Wilhelm Grafs "Wiederkehr der Götter" und "Jenseits des Christentums" von Gianni Vattimo.

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Der intellektuelle Diskurs knöpft sich wieder die Religion vor. Exemplarische Bücher zum Thema: Friedrich Wilhelm Grafs "Wiederkehr der Götter" und "Jenseits des Christentums" von Gianni Vattimo.

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Auch wenn die Kirchenaustritte zunehmen und die großen konfessionellen Kirchen Besitztümer verkaufen müssen, um ihre Strukturen zu finanzieren, "die Religion" ist nicht verschwunden. Ganz im Gegenteil, das Interesse an Religion nimmt zu. "Religion ist Privatsache" gilt nicht mehr - Religion ist vor allem unsichtbar vielfach präsent. Religionen versuchen auf Basis ihrer Symbole politische Ordnungen zu errichten - der katholische Ständestaat, der islamische Fundamentalismus oder religiös konnotierter Rassismus sind historische Beispiele. Daneben aber treten eine Reihe anderer Symbolsysteme an, um Lebenssinn zu geben - Kapitalismus, Sport, aber auch eine Fülle älterer religiöser Aktivitäten, die unter dem Stichwort Esoterik zusammengefasst werden können.

Als "Die Wiederkehr der Götter" charakterisiert Friedrich Wilhelm Graf, evangelischer Systematischer Theologe in München, die Situation der Religion in der Gegenwart.Die "Götter", das sind die unterschiedlichen religiösen Identitäten, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet haben. Nicht nur Theologen und andere Kirchenleute, sondern auch sehr viele Kulturchristen haben meist eine konfessionsgebundene Perspektive auf die Religion der Moderne. Sie erliegen leicht der Versuchung, von der eigenen Position als "dem Christentum" zu sprechen und sich von "dem Judentum", "dem Islam" etc. abzusetzen.

Gleichzeitig neigen sie auch dazu, andere Positionen innerhalb des eigenen konfessionellen "Feldes" als ungläubig oder abtrünnig zu diffamieren. Die Spannung zwischen Fundamentalisten und Modernisten z.B. findet sich in allen christlichen Konfessionen, aber auch in den anderen Religionen. In einer religiös pluralen Welt werden starke Identitäten durch die Konstruktion von starken Feindbildern gewonnen - und auf diese Weise die Attraktivität der eigenen Position verstärkt, stellt Graf fest. Dazu werden jeweils die Positionen der Zeit benützt, und die "Ökonomie des Religiösen" gibt Aufschluss über Entwicklungsprozesse - das materielle Kapital und das symbolische Kapital sind ineinander verwoben. Kirchen offerieren Dienstleistungen, die auch in Geldströmen zu bemessen sind.

Wie religiöse Vielfalt entsteht, lässt sich in Europa sehr gut an der Entwicklung religiöser Diskurse seit dem 18. Jahrhundert verfolgen. Die vielen Neologismen, die damals in der Theologie entstanden, sind eine Reaktion auf die Aufklärung und den frühen Kapitalismus, und sie entstehen konfessions-, ja sogar religionsübergreifend. Auf der Suche nach dem "Wesen" des Judentums bzw. des Christentums werden normative Ursprungsmythen konstruiert und beschworen, mit Hilfe derer die Identität der eigenen Gruppe gesichert werden soll. "Shared history" nennt Graf diese Sichtweise. Betrachtet man das "religiöse Feld", dann zeigt sich: Kirchen und Konfessionen kämpfen darum, die Symbole der Gesellschaft zu definieren - ein Kampf, der sich nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Kirchen abspielt.

In einer pluralen Gesellschaft muss man sich unterscheiden. Konfliktfelder der Gegenwart sind vor allem die Bereiche Ehe, Familie, Geschlechterordnung, Gay rights - die Auseinandersetzungen werden im innerchristlichen Bereich mit großer Heftigkeit ausgetragen, aber betreffen z.B. auch den Islam. Als Ergebnis eines "Religionsverlustes" sind diese Auseinandersetzungen nicht zu verbuchen, sagt Graf. Wer dies tut, versucht damit die eigene Position mit der Autorität des Althergebrachten auszustatten.

Die Auseinandersetzungen mit der Moderne sind keine Verlustgeschäfte der Religionen, sondern Chancen zu Neugestaltung und Reform. In diesem Sinn ist auch das Buch des anglikanischen Theologen John Shelby Spong zu verstehen - "Was sich am Christentum ändern muss", um in einer modernen Welt attraktiv zu sein, und dennoch nicht den Bezug zu den Theologen der Frühzeit des Christentums zu verlieren. In der Welt der vielen Götter ist das antike Christentum eine gottlose Religion gewesen.

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