Der Gott des Heimwehs und der Flucht

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Ein Exilierter, auch in der Religion, blieb Franz Werfel. Wandernd zwischen Judentum und Katholizismus war für ihn klar - was viele Christen erst heute begreifen: Die Kirche wird überflüssig, wenn ihr Israel fehlt.

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Ein Exilierter, auch in der Religion, blieb Franz Werfel. Wandernd zwischen Judentum und Katholizismus war für ihn klar - was viele Christen erst heute begreifen: Die Kirche wird überflüssig, wenn ihr Israel fehlt.

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Mein Leben! Immer wieder komme ich in eine unbekannte Stadt und bin fremd. Auch im Jenseits werde ich nur ein Zugereister oder Refugie sein!

Gestalt von Heimweh Prag, wo Franz Werfel am 10. September 1890 geboren wurde, im Ersten Weltkrieg Ostfront und Südtirol, dann Wien, Breitenstein, Venedig, die Insel Capri, Schweiz, die lange Flucht über Frankreich und die Pyrenäen und schließlich eine schreckliche Überfahrt nach New York, bis er endlich in Beverly Hills gelandet ist; doch auch dort blieb er ein Fremdling, der amerikanischen Lebensweise unzugehörig.

Das alles hat sich Werfel nicht ausgesucht. Er war weder Tourist noch ein moderner Mensch, der sich der so genannten Flexibilisierung all seiner Verhältnisse bis zur Auszehrung unterwirft. Seine Wanderschaften wurden ihm aufgezwungen. Ein heimatloser Mensch war er, Gestalt und Geschichte von Heimweh. Dieses Heimweh Franz Werfels gehört nicht in die Sparte der sentimentalen Traumbilder, schon gar nicht auf die Seite der gefährlichen Ideologien politischer und religiöser Herkunft, in denen Heimat als Bastion beschworen wird. Es war eher Heimweh, von dem Jean Amery, auch er ein Vertriebener und Zerbrochener, geschrieben hat: "Unser Heimweh war Selbstentfremdung. Die Vergangenheit war urplötzlich verschüttet, und man wusste nicht mehr, wer man war."

Geographisch vermochte der Dichter nicht (mehr) anzugeben, wohin er eigentlich gehörte. Denn nach seiner Flucht gemeinsam mit seiner Frau Alma wusste er, der bereits schwer herzkrank war, dass eine Rückkehr nach Österreich ausgeschlossen war.

Die Motormänner, wie er die reaktionären Revolutionäre des Nationalsozialismus nannte, hatten an die Stelle des Menschen die bestialisch funktionierende Maschine in Menschengestalt gesetzt. Sie töteten alles, was an Geist erinnerte, und überzogen die von ihnen beherrschten Länder mit Terror. Dass das auch seine böhmische Heimat betraf, hat Werfel tief verstört; ebenso auch dies, dass Christen zusahen und manche gar den Untergang Böhmens begrüßten. Ende September 1938 schreibt er: Der Teufel holt Böhmen. Puritanische Christen geben ihm den Segen. Wir aber wahren unsere Seele und rufen laut: Es ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit!

Ein halbes Jahr nach dieser Mahnung Werfels im "Quotidien de Paris" fallen die Truppen der Nationalsozialisten in Böhmen und Mähren ein.

Auch religiös heimatlos Auch religiös blieb Franz Werfel ein Heimatloser. Jüdische Herkunft und katholische Erziehung durch das Kindermädchen des Hauses Werfel trieben ihn auf den schmalen Grat zwischen Judentum und Christentum - genauer: zwischen Judentum und Katholizismus, diesen beiden für ihn entscheidenden Repräsentationen biblischen Glaubens.

In den Schlusspassagen seines letzten großen Romans Stern der Ungeborenen, der wenige Tage vor seinem Tod am 26. August 1945 fertiggestellt worden ist, hat er seine Zuneigung zum Katholizismus nochmals klar herausgestellt. Da lässt er von ferner Weltzeit her seinen Protagonisten F. W. zum Großbischof sagen: Die Protestanten und national-christlichen Sekten werden sich kaum dafür freuen, dass die katholische Kirche das Rennen gewonnen hat. Dem späten Werfel waren wohl die institutionellen Bedingungen des Katholizismus das entscheidende Argument. Denn dieser ist eine übernationale Form von Christentum und daher in seinem Prinzip antinationalistisch. Dass trotzdem nationalistische und antijüdische Ressentiments bis heute in seinen Reihen umgehen, macht dies Vergehen denn auch schwerwiegender als in von vornherein national orientierten Kirchen.

Die faktische Korruption des Prinzips der katholischen Kirche, ihr Spiel mit der Macht und mit politischen Vorteilen hat es Werfel versagt, in ihr heimisch zu werden. Als er durch die Geschichte der biblischen Religionen streifte, von Abraham weg bis in die aufgeheizten Tage seiner eigenen Zeit, fand er eine ferne, durch die Entwicklungen der Jahrhunderte ausgelöschte Form, in die er gern eingekehrt wäre: das Urchristentum. Denn damals war der jüdische und der katholische Ethos in einer wundervollen Idee vereinigt.

Auf diese Einheit vor allen Ausstoßungen zielte Franz Werfel. Und je mehr er ins Exil geriet - politisch, sprachlich, religiös - umso deutlicher schürfte er diese verlorene Einheit heraus. Sein Heimweh schlug ihm das Bild dieser Einheit auf mit ihren leuchtenden Farben und Formen und gab ihm in seinen späten Tagen immer wieder zu denken. Da entstand seine Aphorismensammlung Theologumena. In ihr wieder findet sich ein Abschnitt unter dem Titel Von Christus und Israel; Grundthese ist die der Einheit von Christus und Israel - von Werfel herausgearbeitet zu einer Zeit, da noch niemand an einen jüdisch-christlichen Dialog dachte.

Er sah die Gefahr (die allenthalben in Christologien umgeht, welche steil herabfahren und vom Staub an Jesu Sohlen nichts mehr wissen), dass aus Jesus eine griechisch-mythologische Figur gemacht werden muss, wird seine Herkunft aus Israel verleugnet oder vergessen, und dass die Kirche zu einem religiös überflüssigen Klub hinsinkt, ortlos und unbestimmt, wenn ihr Israel fehlt. Und er erkannte die Zerrissenheit, in die der biblische Glaube gerät angesichts der unbeschreiblichen Unmenschlichkeit der Motormänner.

Der Gott des Exils Lange bevor unter dem Titel Auschwitz erste tiefe Geister theologisch des Geschehenen gedachten, Epigonen aber daraus eine theologische Mode machten, bis der unaussprechliche Schrecken schließlich zur hohlen Phrase wurde - lange vor dieser Zeit hat Werfel sich die große Geste des Sieges über den Nationalsozialismus und den Jubel über einen guten Gott der Vorsehung verboten. Denn, so fragt er 1945, wie könnte Triumph und Jubel empfinden ein leeräugiger zerzauster Greis, der mit dem Grabscheit in der Hand einherwankt in der Podolischen Steppe, um seine Toten zu finden und zu bestatten?

Doch einer letzten Depression hielt Werfel den Glauben an den unaussprechlichen Gott entgegen. Von ihm weiß man nicht mehr viel. Vor allem ist ungewiss, was er mit dem Getriebe zu tun hat, in dem Millionen von Glaubensgenossen systematisch ausgelöscht wurden. Eines aber wusste Werfel sicher: Der Gott seiner Väter ist ein Gott der Flucht, ein Gott des Exodus und des Exils, kein Gott der Sesshaften und Saturierten. Von diesem Gott weiß ein Flüchtling das Entscheidende.

Franz Werfels literarischer Meister der Flucht und der Gottesahnung, Jacobowsky, sagt es denn auch in der Tragikomödie Jacobowsky und der Oberst von 1942 klar heraus: Zwischen einem Leben, das schlimmer ist als der Tod, und einem Tod, der schlimmer ist als dieses Leben, flieg ich davon durch das kleine Loch, das Gott uns immer offen lässt.

Gott ist für Werfel die Verheißung eines letzten Entkommens. Alles Gottesbekenntnis vordem, das fixiert wird, ist eines auf halbem Weg und gewiss keines für den Fluchtweg der Ungezählten aller Tage.

Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie an der Kath.-Theologischen Fakultätin Wien, wo er das Forschungsprojekt "Theologie und Literatur" leitet.

BUCHTIPP Mensch und Gott im Schatten. Franz Kafka und Franz Werfel - Konturen des Exodus. Von Wolfgang Klaghofer. Peter Lang Verlag, Bern 2000.210 Seiten, brosch., ca. öS 375,-/e 27,25

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