Der Gottesstaat mit den vielen Gesichtern

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22 Jahre nach der Revolution mühen sich die Iraner um ein Arrangement zwischen konservativem Klerus und Öffnung in Richtung Westen

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22 Jahre nach der Revolution mühen sich die Iraner um ein Arrangement zwischen konservativem Klerus und Öffnung in Richtung Westen

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Auf den Boulevards im noblen Norden Teherans drehen sie abends ihre Runden: Sündteure Geländefahrzeuge, jedes eine halbe Million Schilling wert. Am Steuer findet sich die Schickeria der Stadt, am Ohr ein Handy, Kostenpunkt 24.000 Schilling, um Rendezvous von Auto zu Auto zu vereinbaren. Saturday Night Fever im Schatten der Präsidentenwahl. Die Entscheidungsschlacht brachte ein glasklares Votum für Reformpräsident Mohammad Khatami das die kühnsten Erwartungen übertraf. "Sieg der Demokratie" und "Das Reform-Schlachtschiff bleibt" titelten Teheraner Blätter nach dem Erdrutschsieg Khatamis.

Im Jahre 22 nach der Islamischen Revolution haben es sich die Reichen im Staat der schiitischen Mullahs gerichtet. Viele wohlhabende Familien haben Verwandte im westlichen Ausland. Und viele Exil-Iraner mit Doppel-Staatsbürgerschaft bringen wieder Geld ins Land, erzählt ein Einheimischer, dessen Schwager auch zwischen Los Angeles und Teheran pendelt.

Hinter verschlossenen Türen spielt sich ein für das gestrenge Regime erstaunlich geselliges Leben ab, wissen Geschäftsleute zu berichten. Die Iraner sind mutiger geworden, seit die Pasdaran nicht mehr bei Nacht und Nebel ihre Privathäuser stürmen. Doch auf den Straßen Teherans wurde in den Monaten vor der Wahl wieder verstärkt kontrolliert. Besonders junge Menschen nehmen sich die Revolutionswächter vor.

Die iranische Jugend schwankt zwischen Resignation und Aufbegehren. Sie kann nur wenig anfangen mit den Sprüchen der Mullahs, die die Errungenschaften der Revolution preisen. Die Schah-Zeit kennen die Jungen nur aus Erzählungen.

Wer im Grand Azadi Hotel, der Nobelherberge der Hauptstadt, nicht auf einem frontseitigen Zimmer besteht, hat einen ungewöhnlichen Ausblick - auf das Evin-Gefängnis. Der berüchtigte Folterkerker der Schah-Ära blickt wie ein Festungsbunker von den umliegenden Hügeln, weiträumig umfriedet von massiven Steinmauern. Im ersten Stock des Azadi haben sich Dutzende junge Frauen versammelt, um an einem Beauty-Kurs teilzunehmen. Zwar sind alle in die obligaten langen Mäntel gehüllt, ein Ersatz für den echten Tschador, doch unter den Kopftüchern lugen blond- und rotgefärbte Haarschöpfe hervor. Man lässt sich in den Schmink- und Frisierkünsten unterweisen.

Revolution verblasst Freilich, das ist nur eines der Gesichter Teherans. Im Zentrum und in den südlichen Bezirken prägt die Tradition das Straßenbild stärker. Bunte Läden und Bazare bieten eine Fülle an Früchten und Gewürzen feil. Geldwechsler lauern an Straßenecken. Zehntausende Dollar bar zu beschaffen, ist zwar verboten, aber kein Problem.

Rein äußerlich sind die Revolutionsführer Ayatollah Khomeini und sein Nachfolger Ali Khamenei überall präsent. Riesige Porträts blicken von Hauswänden, begleitet von Sprüchen des Imam. In allen Geschäften hängen Khomeini-Bilder, denn das wird streng kontrolliert. Doch nicht allzu viele Besucher finden im Jahre 1380 iranischer Zeitrechnung ihren Weg zum monumentalen Grabmal Khomeinis.

Szenenwechsel: Isfahan. Einst Provinz-Hauptstadt der Seldschuken, erlebte die Metropole unter den Safawiden im 16./17. Jahrhundert ihre Blütezeit. Die Metropole des Kunsthandwerks ist Isfahan geblieben, unter dem erblühenden Tourismus atmet sie spürbar auf. Die meisten Touristen kommen aus dem deutschsprachigen Raum, gefolgt von Franzosen und Japanern. 7.000 Baudenkmäler zählt die Stadt, prächtige Moscheen und Paläste zeugen von ihrer wechselvollen Geschichte. Ihre Bewohner sind am Akzent genau so deutlich zu unterscheiden wie die Österreicher von den Deutschen, merkt der lokale Fremdenführer an.

Isfahan hat seinen vielschichtigen Charakter bewahrt, den ihm ein Gemisch an Völkern und Religionen verlieh - Armenier, Juden, Zarathustra-Anhänger. Die Bürger der multikulturellen Stadt stehen im Ruf, sparsam, vorausblickend und fromm zu sein. Wohl auch deshalb stammen nicht wenige Mitglieder der heutigen iranischen Führung aus dieser Gegend. Das Land um Isfahan ist sehr fruchtbar, es bringt allerlei exotische Früchte hervor. Etwa 100.000 Gastarbeiter, zumeist aus Pakistan, sind während der Ernte hier im Einsatz.

Aus dem Meidan Shah, der wegen seiner immensen Ausmaße früher als größter Marktplatz der Welt galt, ist ein Meidan Imam geworden. Als Turnier- und Polospielplatz diente er den Herrschern verschiedener Epochen, heute lagern Familien auf dem Rasen, Pferdekutschen warten auf Touristen. Die Imam-Moschee mit der blauen Kuppel auf der Stirnseite ist der imposanteste der Prachtbauten, die den Platz umschließen. In den Doppel-Arkaden bieten Händler die Produkte ihrer weltberühmten Kunstfertigkeit an - Silberschmuck, Glas- und Emailarbeiten, Holzmalerei und -intarsien. Hier Zeit zum Gustieren und Kaufen einzukalkulieren, ist ein absolutes Muss.

Die bedeutende armenische Gemeinschaft, die sich im 17. Jahrhundert unter Schah Abbas I. in der zum Herrschersitz auserkorenen Stadt ansiedelte, verfügt über 13 Kirchen. Auch viele ihrer Häuser im Julfa-Viertel sind denkmalgeschützt. Die Armenier waren nicht nur geschickte Kaufleute, sondern exzellente Architekten und Kunsthandwerker. Das zur Vank-Kathedrale mit ihren prachtvollen Malereien und Mosaiken gehörige Museum beherbergt kostbare armenische Handschriften.

An der Khadju-Brücke, unter denen zahllosen Bögen und Pavillons einst das Gefolge der Safawiden lustwandelte, sammeln sich am Freitag die Familien. Die Männer hocken bei der Wasserpfeife im Arkaden-Cafe, die Frauen und Mädchen, mit bunten Kopftüchern, spazieren mit den Kindern zum "Icecream"-Kiosk. Seit zwei Jahren leidet die Stadt an anhaltender Dürre. Der Wasserspiegel des Zayandeh Rud, des Ewigen Flusses, früher auch ein wichtiger Verkehrsweg nach Schiraz, ist dramatisch gesunken.

Multi-Kulti in Isfahan Von den felsigen Hügeln im Umkreis der Stadt blicken Heiligtümer der Zoroasten. Die Rundtempel dienen dem reinigenden Feuerkult, in den Totentürmen werden die Verstorbenen den Geiern und der Sonnenglut überantwortet. Vergeblich kämpft der Schiiten-Klerus gegen die vorislamischen heidnischen Rituale an. Die jungen Städter begeistern sich heute mehr denn je für das Feuerspringen.

Wenn es die Zeit erlaubt, sollte der Reisende die eine oder andere Provinzstadt abseits der ausgetretenen Touristenpfade besuchen. Etwa das südpersische Kerman am Rande der Wüste Lut, mit täglichen Flügen aus Teheran leicht erreichbar. Das wohlhabende Zentrum der Teppichknüpferei an der Handelsstraße nach Indien lockte schon immer fremde Mächte: Araber, Turkmenen, Mongolen, Afghanen eroberten es im Lauf der Jahrhunderte.

Sehenswert ist das alte Hammam mit seinen Fayencen. Die Darstellungen musizierender Frauen erinnern daran, dass das Musikverbot der Mullahs im Koran nicht festgeschrieben ist.

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