Der große Umwälzer

Werbung
Werbung
Werbung

Johannes Paul II. kann für seine Kirche als Figur an einem Wendepunkt gelten: Er hat sie aus tiefster Krise wieder in die Offensive gebracht.

Karol Wojtyla 1920-2005

Johannes Paul II.

Krakau vor der Wende: Prachtvolle Barockfassaden, überzogen von einem grauen Schmutzfilm. Die Redaktion der katholischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny lag im ersten Stock eines der Häuser am Rand der Altstadt. Nichts erinnerte an eine Redaktion. Ein Tisch stand in dem Raum, ein paar Sessel, eine Schultafel. Jemand hatte mit Kreide ein Layout darauf gekritzelt.

Karol Wojtyla hatte oft für das Blatt geschrieben, zwischen den Zeilen, und wenn es zu offensichtlich war, was er meinte, griff die Zensurbehörde ein. Der Feind war stark und hatte ein klares Profil. Ihn zu bekämpfen war heroisch, auch für einen Erzbischof. Nun war der Erzbischof Papst der Weltkirche und hatte mit diffuseren Gegnern zu kämpfen.

Diffusere Gegner

Papst! Viel weiter konnte man sich nicht vom Leben entfernen, von Spontaneität, Wahrheitssuche und Vitalität. Papst, das stand vielen im Westen für Erstarrung, für zementierte, vorgefertigte Antworten auf nie gestellte Fragen, für rigide Disziplin und Lebensfeindlichkeit. Ende der 60er Jahre und danach gab es kein Symbol, das weiter weg war von der Realität junger Menschen. "Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren" sangen die Studenten, und es klang plausibel.

Der jugendliche Greis Johannes xxiii. war tot und die traurige Regentschaft Pauls vi. hatte begonnen. Was die Kirche zu sein schien, glaubten wir von ihm zu lernen. Ein Brauchtumsverein, der sich seiner Exponate etwas schämte, eine moralische Anstalt, deren Ansprüchen niemand mehr gerecht werden wollte; im günstigsten Fall ein kostbares Museum. Bald schien sich nicht einmal mehr Rebellion zu lohnen, so irrelevant waren die unfrohen Einreden gegen den Gang der Dinge geworden.

August 2005. Junge Menschen schieben sich kreischend, singend, lachend durch die Straßen Kölns. Sie sind gekommen, weil der Papst sie eingeladen hat. Johannes Paul ii. war zwar seit ein paar Monaten tot, aber das machte nichts. Es gibt einen neuen und so sind sie eben zu dem gekommen. Nichts macht den Wandel deutlicher, den die Kirche durch 27 Jahre mit Karol Wojtyla an der Spitze durchgemacht hat.

"Fürchtet euch nicht", hat der nach seiner Wahl vom Balkon des Petersdoms gerufen. Mit dem ebenso schlichten Satz "Ich bin froh, seid ihr es auch" ging er wieder. Beide Worte sind Appelle an das Ich, an die Empfindung. Es war ein neuer Ton, direkt, tröstlich und verpflichtend zugleich.

Zwischen den beiden Zitaten lagen Jahre tiefer Umwälzungen in der Kirche. Umwälzungen, die den Katholizismus wieder zurück ins Spiel brachten und die Kirche zuversichtlicher zurückließen. Wenn es heute für junge Menschen "cool" ist, mit Freunden zu einem Treffen mit dem Papst zu fahren, dann ist das Johannes Paul ii. zu danken.

Der andere Papst

Ein halbes Jahr nach seinem Tod bleibt vor allem eines in Erinnerung: Er hatte keine Angst; nicht um sich, nicht um die Kirche. Er glaubte tief an Gottes Wirken in der Geschichte, und er glaubte an seine eigene historische Sendung. Er ließ sich von Bedenkenträgern nicht abhalten, in Synagogen und Moscheen zu gehen, mit Buddhisten, Muslimen, Juden und Indianern zu beten, er bat um Vergebung für Verbrechen, die Christen im Namen des Glaubens begangen haben, er besuchte zwielichtige Potentaten und mischte sich in Politik. Klarer kann man sich nicht von Diplomaten-Päpsten vom Schlage eines Pius xii. abgrenzen, denen die Sorge um die irdische Existenz der Kirche wichtiger schien als die um die Welt. Dass die beiden Aspekte nicht zu trennen sind, ist eine Intuition des Polen.

Johannes Paul ii. wird bald heilig gesprochen werden. Die Kirche hat guten Grund, ihn zu ehren. Vielleicht wird er aus größerem Abstand als Figur an einem Wendepunkt wahrgenommen werden, vergleichbar dem Gründer der Jesuiten, Ignatius von Loyola. Wie dieser hat auch Karol Wojtyla seine Kirche in scheinbar hoffnungsloser Lage wieder in die Offensive gebracht, ihr Zuversicht gegeben. Er hat sie aus ihrer tiefsten Krise im 20. Jahrhundert geführt. Mehr kann man von einem Papst nicht verlangen.

Der Autor ist leitender Redakteur der "Berliner Zeitung".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung