Der Kampf um die Kinder

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Österreich soll ein neues Familienrecht bekommen. Warum das nötig ist, und wie es Obsorgekonflikte verhindern soll, erklärt Familienrichterin Doris Täubl-Weinreich.

In der Arbeitsgruppe zum Entwurf für ein neues Familienrecht machte Doris Täubel-Weinreich das, was sie am besten kann: Vermitteln, diesmal zwischenVätervereinen und Frauenvertreterinnen. Im FURCHE-Gespräch erklärt die Familienrichterin und Vorsitzende der Richtervereinigung für Familienrichter, warum es beim Familienrecht Veränderungsbedarf gibt.

Die Furche: Wenn es eine PISA-Studie zum Familienrecht gäbe: Wo wäre Österreich im internationalen Vergleich platziert?

Doris Täubel-Weinreich: Die Probleme sind in den anderen Ländern ganz ähnlich. Es gibt dort weniger Schwierigkeiten, wo die Gesellschaften anders funktionieren: In den skandinavischen Ländern, wo Frauen relativ gleichberechtigt sind und schnell wieder berufstätig sind. In Deutschland, Italien, oder eben Österreich, wo meistens hauptsächlich die Mütter für die Familienarbeit zuständig sind, wird die Obsorge zunehmend den Frauen zugesprochen. Aber Besuchsrechte durchzusetzen, ist überall schwierig, einfach weil die Sachlage so heikel ist. Man muss in jedem Fall einzeln bewerten: Wo sind die Rechte vom Kind, wo von den Eltern?

Die Furche: Kann das neue Familienrechtspaket diese Probleme lösen?

Täubel-Weinreich: Ein Gesetzestext wird nie alle Probleme lösen. Aber es gibt gute Ansätze. Die Idee, Eltern in Erziehungsberatungen zu schicken, halte ich für sehr gut. Bei vielen Themen wäre mehr Aufklärung der Eltern im Vorfeld ganz wichtig, damit es erst gar nicht zu eskalierten Streitigkeiten kommt.

Die Furche: Bei welchen?

Täubel-Weinreich: Viele Eltern wissen nicht, wie Kinder im Fall einer Trennung reagieren. Manchmal erzählen mir beide, dass das Kind weint, wenn es zum jeweils anderen Elternteil muss. Sie interpretieren dann, dass das Kind nicht zum anderen will. In Wirklichkeit weinen die Kinder aber häufig, weil ihnen das Abschiednehmen schwer fällt. Auch juristisch gibt es große Wissenslücken: Viele unverheiratete Paare, die sich trennen, glauben zum Beispiel, dass sie durch die Vaterschaftsanerkennung automatisch gemeinsame Obsorge haben. Das stimmt aber nicht. Meiner Erfahrung nach gibt es mehr Streit, wenn sich Lebensgemeinschaften auflösen, als wenn Ehen geschieden werden. Die Scheidung ist oft eine Zäsur, die man gut durchdacht hat. Bei Trennungen geht man häufig ohne fixe Regelung auseinander, und nach einiger Zeit - oft, wenn es neue Partner gibt - eskaliert es. Die meisten meiner strittigen Besuchsrechtsfälle sind aus Lebensgemeinschaften.

Die Furche: Nach dem neuen Entwurf soll zwischen ehelichen und unehelichen Kinder juristisch kein Unterschied mehr gemacht werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in dieser Causa schon gegen Österreich entschieden. Diese Woche verhandelt der Verfassungsgerichtshof, ob die derzeitige Regelung menschenrechtskonform ist. Wird das neue Familienrecht Eskalation besser vermeiden können?

Täubel-Weinreich: Am Besuchsrecht ändert sich nichts, das muss im Einzelfall vereinbart werden. Für unverheiratete Väter, die Obsorgeansprüche stellen, macht es aber einen enormen Unterschied: Wenn die Mutter die alleinige Obsorge hat, muss der Vater derzeit, um einen Obsorgewechsel herbeizuführen, nachweisen, dass die Mutter das Kindeswohl gefährdet. Bei gemeinsamer Obsorge muss er nur beweisen, dass er besser ist. Es ist zu erwarten, dass unverheiratete Eltern, wenn der Entwurf zum Gesetz wird, öfter gemeinsame Obsorge vereinbaren.

Die Furche: Das soll auch rückwirkend möglich sein. Mit welchem Mehraufwand rechnen Sie?

Täubel-Weinreich: Mehr Arbeit, auf jeden Fall. Das neue Gesetz wird sehr viel neue Judikatur hervorrufen. Es wird viele Fälle geben, wo ein Elternteil vor Gericht geht, um zu schauen, ob es ein Fall einer gemeinsamen Obsorge ist oder nicht. Wie groß der Mehraufwand ist, ist völlig unklar, weil wir nicht wissen, wie viele Väter, die jetzt keine Obsorge haben, einen Antrag auf geteilte Obsorge stellen werden.

Die Furche: Theoretisch kämen 750.000 Väter von minderjährigen Kindern infrage.

Täubel-Weinreich: Wenn die alle kommen, können wir zusperren. Aber so wird es ja hoffentlich nicht sein. Dass das Gesetz einen Mehrbedarf an Richtern nach sich zieht, wurde oft betont. Wie viele mehr vorgesehen sind, und vor allem an welchen Bezirksgerichten sie eingesetzt werden, ist offen.

Die Furche: Es soll auch möglich sein, die gemeinsame Obsorge zu verordnen, wenn ein Elternteil das nicht will. In welchen Fällen hat das für Sie als Richterin Sinn?

Täubel-Weinreich: Wenn es im Interesse des Kindeswohles ist. Ich habe jetzt zum Beispiel einen Fall, wo das Kind eine gute Bindung zu beiden Eltern hat, die sich aber auf keine Lösung einigen, weil der Paarkonflikt eskaliert ist. Die Sachverständige sagt, eine gemeinsame Obsorge läge auf der Hand, weil beide Eltern sehr bemüht sind und das Kind auch beide braucht. In so einem Fall würde ich die gemeinsame Obsorge gegen den Wunsch der Eltern in Erwägung ziehen.

Die Furche: Sie haben den Ausbau von Familiengerichtshilfe gefordert, im Familienrechtspaket ist der vorgesehen. Wie hilft das?

Täubel-Weinreich: Es macht Verfahren schneller, weil wir Experten vor Ort haben und nicht von den Jugendwohlfahrtsträgern abhängig sind. Die sind in einigen Bundesländern so überlastet mit Gefährdungsabklärungen, dass sie zu nicht eskalierten Besuchsrechtskonflikten gar keine Stellungnahmen machen können. Mit eigenen Psychologen und Sozialarbeitern im Haus geht das schneller. Und wir können externe Gutachten einsparen, die sehr aufwendig sind und oft ein paar Monate dauern.

Die Furche: Ist das der Grund, warum Sorgerechtsverfahren oft so lange dauern?

Täubel-Weinreich: Es sind oft neue Umstände, die man immer neu prüfen muss. Nach einem Obsorgeantrag geht das Leben ja weiter. Das Kind geht in die Schule, in der Familie passieren Dinge, zu Gutachten werden Gegengutachten gebracht… Die Familiengerichtshilfe kann Eltern dabei unterstützen, gleich nach der Trennung einen Weg zu finden, wie sie die Zeit aufteilen und so belastende Unregelmäßigkeiten verhindern.

Die Furche: Bei Familienrichtern gibt es eine besonders hohe Fluktuation. Warum?

Täubel-Weinreich: Die hohe Arbeitsbelastung ist ein Punkt, die emotionale Belastung ein anderer. Wenn man als junger Richter ernannt wird, kann man sich nicht aussuchen, an welches Gericht man kommt. Als Personalreserve wird man eingeteilt, wo Not am Mann ist. Und als Familienrichter merkt man schnell, wie flexibel man sein muss. Der Familienrichter ist der einzige, der zukunftsorientiert arbeitet. In allen anderen Sparten beurteilt man Sachverhalte, die in der Vergangenheit liegen. Ob man heute oder morgen entscheidet, welche Haftpflichtversicherung bei einem Verkehrsunfall zahlen muss, ist nicht so tragisch. Wenn es aber um ein Kind im Krisenzentrum geht, das morgen entweder zur Mutter oder in eine Wohngemeinschaft wechselt, muss ich schnell reagieren.

Die Furche: Warum sind Sie Familienrichterin geblieben, obwohl es in der Justiz bequemere Jobs gibt?

Täubel-Weinreich: Weil es eine unglaublich vielfältige, spannende Tätigkeit ist. Ich habe Einblick in die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen. Und wenn man eine Lösung erzielt hat, gemeinsam mit den Eltern und den Anwälten, dann ist das sehr befriedigend. Verkehrsunfälle zu verhandeln, würde mir schnell langweilig werden.

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