DER KANZLER UND DIE MESSERWETZER

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Die Abrechnung ist eine sehr heikle Angelegenheit. Darum sind es meist Verlierer, die abrechnen, in Interviews, Büchern, Memoiren. Es geht um nichts mehr. Christian Kern hat einen anderen Weg gewählt. Er hat als neuer Bundeskanzler seine Abrechnung schon zum Amtsantritt präsentiert. Seine Botschaft: Alles, was davor war, ist schlecht, die große Koalition ein unerträglicher Stillstand, die Sklerose des Systems unübersehbar, die Großparteien bloß Junkies am Tropf der Macht, bald schon Kleinparteien, "wenn sie so weitermachen". Und um dieses "wenn" geht es. Denn dass sie nicht so weitermachen, darum kümmert sich jetzt Christian Kern.

Tatsächlich ist daran nicht das Geringste auszusetzen. Die Analyse stimmt und damit kann der neue Kanzler nur gewinnen, denn sein Bonus ist der des Hoffnungsträgers: scheinbar unbelastet von Ränkespielen und Kompromissen, jung aber nicht zu jung, eloquent und gutaussehend wie weiland Franz Vranitzky. Entsprechend groß der Jubel in den Netzwerken und Leitartikeln.

Wäre man allerdings Werner Faymann gewesen und hätte das Antritts-Pressestatement miterlebt, die Analyse würde wohl anders ausfallen: Hätte es noch einer Bestätigung für das "Komplott" und den "Putsch" gegen Faymann gebraucht, den Kern selbst als "House of Cards für Arme" darstellte, dann war die Antrittsrede genau das: House of Cards für Arme -oder wie man mit der Abkanzelung des Altkanzlers zum Amtsantritt einen Putsch eben nicht versteckt.

Aber wen kümmert das noch? Wichtiger ist: Auch der Neue wird keinen Erfolg haben, wenn er bloß der Macht des Faktischen das Wort redet, wie das Kern bisher getan hat. Das Faktische ist eine einfache Übung, dafür bedarf es keiner großen Führungskraft. Die Ideen und Zukunftsbilder sind das, woran es mangelt, innerhalb der SPÖ, aber auch in der Regierung. Denn wenn es ausreicht, den Parteitagsbeschluss "Koalitionsverbot mit der FPÖ" auszuhebeln, weil Hans Niessl auf gut burgenländisch darauf pfeift, wozu braucht die SP dann überhaupt Beschlüsse?

Wenn die erste Amtshandlung des neuen Parteichefs Kern ist, die Verfehlungen der letzten Jahre nachträglich zu legitimieren, wozu der ganze Zinnober? Das wollte Faymann doch auch. Und wenn Faymann gestürzt wurde, weil viele in der Partei ihn wegen seiner Asylnotstandsgesetze kritisiert, gepfiffen und gebuht haben auf dem Rathausplatz -wie kann dann nach seinem Abgang undiskutiert bleiben, dass Kern das Gleiche will? Dass die SPÖ auf Bundesebene nicht mit der FPÖ koalieren würde, sagt Kern. Aber genau das sagte Werner Faymann auch schon.

In wenigen Monaten würden sich die Genossen berechtigt fragen: Wozu ist Faymann gegangen? War die Rochade dann bloß eine Scharade, ein Antäuschen um das Austauschen der Macht schön zu färbeln? Das wäre schade. Denn so viele Möglichkeiten haben beide Regierungsparteien nicht mehr. Vor allem die SPÖ nicht, die ihre inhaltliche Schwindsucht seit so vielen Jahren mit Stimmenverlusten Richtung Blau bezahlt. Worin aber bestünde so eine Reform, die eine neue Zeit und einen neuen Stil bringt? Meist tatsächlich einfach im Gegenteil des Vorliegenden. Zunächst: Inhalte erobert man mit Entscheidungen, und Entscheidungen muss man verteidigen, auch innerparteilich - oder es gibt eben keine Inhalte und konsequentermaßen auch keine Wähler.

Der Quereinsteiger Franz Vranitzky hatte 1986 die Möglichkeit, seine politische Linie über die FPÖ und die Ablehnung der SPÖ gegen Haider zu definieren. Der Rest des inhaltlichen Kanons -Solidarität, die Zukunft der Arbeit, der Industrie -all das erledigten die "Sachzwänge", die mit der Globalisierung Einzug hielten. Tatsächlich brauchte Vranitzky keine Visionen.

Der Quereinsteiger Christian Kern hingegen braucht sie. Denn zum einen ist die FPÖ nicht am Beginn, sondern am Zenit ihrer oppositionellen Macht. Und zum anderen plagen die SPÖ nicht die Schmerzen der Umstellung zur Dienstleistungsgesellschaft, sondern die weitaus schwerer zu bändigenden globalisierten Kapitalstrukturen. Dabei geht es um eine Steuerwahrheit, die internationale Konzerne in die Pflicht des Allgemeinwohls nimmt und mit den daraus entstehenden Einnahmen in die Chancengleichheit der Bürger investiert -also in Bildung und Armutsbekämpfung.

Letztlich geht es auch um eine Ausgestaltung der Arbeitswelt, die mehr politische Zielsetzung braucht als die bloße Vermehrung von Arbeitsplätzen und die Leistungsbemessung in Output und Jahresgewinn. Eine Politik, die etwas auf sich hält, müsste neue Formen der Entlohnung und Wertmaßstäbe beinhalten. Das auch vor dem Hintergrund einer Welt, in der nicht mehr alle arbeiten können, sei es aufgrund der technischen Entwicklung oder der anhaltenden Stagnation des Wachstumsmodells.

Bis dahin bleibt der "New Deal" des Kanzlers eine leere Hülse, eine gefällige Schlagzeile heute, die morgen schon ein leeres Versprechen ist und übermorgen der FPÖ die enttäuschten Wähler zutreibt. Aber das ist allen Beteiligten vermutlich klar: Was Christian Kern bei seiner Antrittspressekonferenz über den Zustand seiner Partei gesagt hat, hätte auch ein Mandatar der FPÖ sagen können. Nur hat der freiheitliche Kritiker nicht von der SPÖ und ihrem wirtschaftlichen Netzwerk profitiert. Kern sehr wohl. Er verdankt dem System seinen Aufstieg und seine Karriere. Seine Abrechnung mit einem Netzwerk der Macht, das ihn selbst hervorbrachte und stützte, erfordert nun entschiedene Taten von ihm. Denn dieses System kennt Verzeihung nicht. Es wetzt vielmehr die Messer.

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