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Der Katholik in der SPÖ

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KEINE „PRIVATSACHE“ Was man seit Jahren eine „Annäherung von Kirche und Sozialismus“ nennt, kann man in der ersten Etappe nur als eine Kontaktnahme bis zum gegenseitigen Verständnis von gläubigen Katholiken und Sozialisten aller Darstellungsformen des Sozialismus verstehen. Im Vollzug der Annäherung, die kaum bestreitbar, wenn nicht schon ein historisches Ereignis ist, entsteht unvermeidbar die Frage, welche Position jene Katholiken gegenüber der Kirche einzunehmen haben, welche die Kontaktnahme mit dem Sozialismus so ernst nahmen, daß sie bereits i m Sozialismus stehen und in ihrer Person die Kooperation von Glaubensbezeugung und Bekenntnis zum Sozialismus zu realisieren verbuchen. Das heißt: Inwieweit können gläubig sein wollende katholische Sozialisten ihren Glauben (der auch ein Kirchenglaube sein muß) und ihr Sozialismusbekenntnis miteinander abstimmen, ohne in ein Dilemma zu kommen.

Ähnliche Probleme sind den Katholiken in betont liberalen Parteien gestellt, wenn wir auch gewohnt sind (und sehr zu Unrecht), das Verhältnis von Kirche und orthodoxem Liberalismus zu bagatellisieren.

In Österreich war das Problem, wie weit Katholiken im Sozialismus ihren Glauben ohne Abstrich bezeugen können, bereits einmal Gegenstand von innerkatholischen Auseinandersetzungen: in der Periode der sogenannten „Religiösen Sozialisten“, die in einem heroischen Zweifrontenkrieg gegen einen radikalen Atheismus in der Sozialdemokratischen Partei gestanden hatten und gegen einen mehr als befangenen parteipolitischen Katholizismus.

Nunmehr sind neuerlich gläubige Katholiken — als Sozialisten — verhalten, ihren Standort nach beiden Seiten festzulegen. Formal sind die Katholiken im Sozialismus repräsentiert durch die (lose) „Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Katholiken“. Dabei kann vorweg davon ausgegangen werden, daß die Mitglieder dieser Arbeitsgemeinschaft in der SPÖ nur eine sozialreformatorische, wenn auch durchaus ethisch bestimmte Zweckorganisation sehen. Ihre Teilnahme am sozialistischen Experiment motivieren diese Katholiken mit dem Hinweis auf Glaubenswahrheiten. Die Religion

hat für sie nicht den Charakter des „Privaten“, sondern wird auch als Verpflichtung erkannt, sich in der Gesellschaft in einer bestimmten Weise zu engagieren.

Wie komplex sich die Probleme erweisen, die entstehen, wenn man gleichzeitig auf die Kirche und auf eine Partei mit nur innerweltlichem Bezug Bedacht nehmen muß, ist an zwei einander widersprechenden Publikationen ausgewiesen, welche den Obmann der Arbeitsgemeinschaft, Dr. Albert Massiezek, zum Autor haben und sowohl besprochen werden müssen wie auch zum Teil nicht unwidersprochen bleiben dürfen.

In einer Broschüre* präsentiert sich die Arbeitsgemeinschaft weniger der großen Öffentlichkeit als den Angehörigen der SPÖ, die zum Teil nicht wenig mißtrauisch sind und, wie sich auf dem letzten Parteitag ergab, eine Art innersozialistischen „Klerikalismus“ befürchten.

Die Arbeitsgemeinschaft will, nach Massiczek, keine Massenbewegung sein, obwohl die Entwicklung zu einer solchen durchaus möglich wäre, deuten doch drei Viertel der Sozialisten durch Zahlung ihres Kirchenbeitrages an, daß sie zur Kirche dem Grundsatz nach in einem positiven Verhältnis stehen wollen. Den Führern der Arbeitsgemeinschaft genügt jedoch offensichtlich eine Auslese der Katholiken in der SPÖ. Durch ihren Bestand, durch ihr Da-Sein, will die Arbeitsgemeinschaft eine Antwort an jene sein, die nur in der primitiven Alternative von „klerikal“ und „antiklerikal“ denken können. Dabei versteht Massiczek „klerikal“ im Sinn einer Definition von Kardinal Döpfner als Machtmißbrauch durch Kirche und Klerus.

Tatsächlich aber gibt es — nach Massiczek — kein Entweder-Oder von Katholizismus und Sozialismus. Im Gegenteil. Beide müssen, weil verwandt, einander sogar ergänzen.

Nach vehementen Angriffen auf christliche Fehlha'tungen im Bereich der Gesellschaft wird die Kirche von Massiczek zum Gegenstand ernsthafter Kritik gemacht, wobei freilich unverkennbar nur von der Kirche als einem historischen Phänomen ausgegangen wird. Was aber Massiczek zeichnet, ist niciit d i e Kirche, auch nicht in der Epoche des Hochkapitalismus, sondern ihre Krankengeschichte im Verlauf eines gesellschaftlichen Umbruches, dessen Bedeutung von führenden Kirchenmännern erst spät erkannt wurde. Die Kirche vermochte sich in den ersten Epochen der sogenannten industriellen Revolution nur unzureichend, in Seelsorge wie in Lehre, den neuen Wirklichkeiten der Industriegesellschaft-anzupassen. Niemand mehr als katholische Sozialwissenschafter und Historiker haben aber diesen Tatbestand, wenn auch mit anderen Folgerungen als Massiczek, herausgestellt. Es wäre jedoch widersinnig, gar wenn man als „katholisch“ klassifiziert werden will, die Geschichte der Kirche mit den Darstellungen des „Pfaffenspiegels“ oder mit der Summe sachlich-kirchlicher Fehlentscheidungen und Fehlhaltungen zu identifizieren, jedoch den gesunden und stets gesund gebliebenen Kern der Kirche, weil er sich nicht demonstrativ ausweist, einfach zu übersehen.

Keiner von uns kann bestreiten, daß der Aufbruch des Marxismus, der mehr sein wollte als ein Katalog sozialreformatorischer Forderungen, auch ein Index für das Versagen der Kirche war, die, zu sehr spiritualisrisch, die Welt den zuweilen auch als christlich etikettierten Ausbeutern überließ. Gerade die Absenz eines politischen Katholizismus ohne sozialökonomische Befangenheit (der alles, nur kein parteipolitischer sein dürfte) ließ das Christentum in gewichtigen Situationen zu substanzlosen Gesten und Formeln entarten. Was Massiczek an der Kirche der ersten Epochen des Industriezeitalters rügt, ist ihr Mangel an Einsatz in der Welt. Insoweit ist Massiczek für einen politischen Einsatz des Christen, der sich nur dem Sittengesetz verpflichtet fühlen darf. Auch die von Massiczek geführte Arbeitsgemeinschaft ist daher offen deklarierter politischer Katholizismus. Das muß festgestellt werden, sowenig die Angehörigen der Arbeitsgemeinschaft dies wahrhaben wollen.

Die SPÖ ist, einbekannt, weltanschaulich pluralistisch bestimmt. Die Verteilung der Gewichte der einzelnen Weltanschauungsgruppen soll dabei nicht untersucht werden. Der letzte Parteitag, mit seinem in katholischen Kreisen viel zuwenig gewürdigten heroischen Credo desdamaligen Justizministers, war jedenfalls ein Beweis für diesen Tatbestand. Die parteioffiziell als möglich erklärte Kooperation von Atheisten, Liberalen und Katholiken hat erst der Arbeitsgemeinschaft die Chance geboten, durch ihren Bestand „Zeugnis“ von einer neuerlangten sozialistischen „Reifestufe“ (S. 23) zu geben.

Es ist daher verwunderlich, wenn gerade die katholischen Sozialisten, unter gleichzeitiger Beteuerung ihrer positiv-religiösen Haltung, die Kirche nachdrücklich angreifen und den Marxisten in der SPÖ Material und „Material“ gegen die Kirche liefern, gegen jene Kirche, deren Glaubensgut sie in der Partei vertreten wollen. Das gebotene „Pfaffenspiegelmaterial“ wird von den Atheisten in der SPÖ mit um so mehr Anerkennung verwertet werden, als es eben, weil von Menschen kommend, die sich als Katholiken bezeichnen, erheblich mehr Glaubwürdigkeit hat als Dossiers aus dem eigenen Bestand.

Die Arbeitsgemeinschaft will aber nicht nur das „Gewissen“ der Kirche sein, sondern glaubt auch eine Aufgabe gegenüber dem Sozialismus zu haben. Freilich hat man manchmal den Eindruck, daß diese Aufgabe nur im Wachhalten des sozialistischen Antiklerikalismus besteht, etwa durch dauernde und vergröbernde Wiedergabe der Krankheitssymptome der Kirche. Wenn aber der Katholik in der SPÖ durch ein Leben, das den Charakter von Vof-Leben hat, Zeugnis für die Kirche geben will, ist es nicht verständlich, warum man ein solches heroisches Bemühen selbst wieder sabotiert, indem man Fehlhaltungen einzelner in der Kirche derart darstellt, daß der Nichtkatholik diese Haltungen schließlich als für die Kirche typisch ansehen muß.

Die Arbeitsgemeinschaft will aber noch mehr.

Soweit eine Symbiose von Kirche und „konservativem“ Lager vorhanden ist, will die Arbeitsgemeinschaft versuchen, dieses Miteinander lockern, wenn nicht lösen zu helfen. Das kann die Arbeitsgemeinschaft nur durch eine Läuterung des Sozialismus, den sie auf seine schließlich auch für nichtsozialistische Christen vorbildlichen ethischen Wurzeln verweisen will. Nur wenn der Sozialismus erkennt, daß seine großen Impulse von Prinzipien bestimmt sind, die mit der christlichen Ethik zutiefst „verwandt“ sind (S. 35), ist er vor Entartung gesichert, vor jener Bedrohung, der sich auch die Kirche oft nur mit Mühe entziehen kann. Von einem gereinigten Sozialismus her wirken auch auf die Kirche, als geschichtliche Erscheinung, Kräfte, die ihr Verhalten in weltlichen Dingen bestimmen können. So verstehe ich das innersozialistische Anliegen der Arbeitsgemeinschaft. Wer sollte diesem Vorhaben nicht Erfolg wünschen, das freilich nur von einer ebenfalls geläuterten Arbeitsgemeinschaft durchgeführt werden kann?

Die programmatischen Erklärungen, die Massiczek für die ambivalente Stellung der katholischen Sozialisten zwischen Partei- und Kirchengläubigkeit zu geben sucht, erfahren eine im allgemeinen unbegreifliche Ergänzung durch den gleichen Autor im Rahmen eines Artikels im Heft 6/1960 der sozialistischen Monatsschrift „Die Zukunft“.

Von dem im Programm angedeuteten missionarischen Anliegen der Arbeitsgemeinschaft ist nicht mehr viel die Rede. Worum es geht, ist Reaktion auf einen Artikel im „Osservatore Romano“ und eine damit verbundene Kampfansage an die Kirche, die in ihrer erstaunlichen Unversöhnlichkeit zweifeln läßt, ob die „Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Katholiken“ noch kirchenchristlich oder, wie die Religiösen Sozialisten der Ersten Republik in ihrer Spätepoche, bereits frei-religiös ist, wenn nicht eine Vorform einer neuen „Ethischen Gemeinde“. Die andere Frage, wie weit der Autor mit seiner Meinung die Arbeitsgemeinschaft wie überhaupt die gläubigen Katholiken in der SPÖ repräsentiert, soll dagegen nicht untersucht werden.

In einem Artikel vom 7.1%. Jänner 1960 („Cattolici e socialisti“) nahm der „Osservatore Romano“ neuerlich zum Problem des Sozialismus in einer Weise Stellung, die auch in katholischen Kreisen Befremden erweckte, um so mehr, als eben Publikationen der vatikanischen Zeitung oft den Charakter von Thesen globaler Bedeutung zu haben scheinen. In der Zwischenzeit hat „Osservatore Romano“ seinen Chefredakteur ausgewechselt. Davon ist Massiczek unterrichtet, ebenso von der Bedeutung, die der oben angeführten Publikation in katholischen Kreisen beigemessen wird.

Im Artikel des „Osservatore Romano“ glaubt Massiczek eine Art Sozialismusverdikt zu finden, Anlaß genug, in Ergänzung zu einer in der „Arbeiter-Zeitung“ veröffentlichten Arbeit in einer Art zu antworten, die die Vermutung aufkommen lassen kann, daß die von Massiczek geführte Arbeitsgemeinschaft nun doch andere Vorhaben hat als die im Programmheft angedeuteten.

Die Kirche als solche hat sich in der Sache Sozialismus in den letzten Jahren so gut wie nicht geäußert. Das weiß Massiczek. Trotzdem wird sie in eine gegnerische Position gedrängt und in einer Schärfe angegriffen, die dann als unvertretbar bezeichnet werden muß, wenn die Arbeitsgemeinschaft darauf Anspruch erhebt, als „katholisch“ klassifiziert zu werden. Man muß sich sagen: Wenn die Katholiken der „Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Katholiken“ eine solche antikirchliche Haltung einnehmen, wie müßte es dann um die Haltung der anderen Katholiken in der SPÖ stehen, die nicht so gläubig sind, daß sie sich entschließen konnten, der Arbeitsgemeinschaft beizutreten? Dabei muß auch noch bemerkt werden, daß Massiczek sich der Terminologie der klassischen Los-von-Rom-Bewegung bedient, so wenn er statt von der Kirche von „Rom“ spricht, womit eine Reduktion der Kirche auf eine Nationalkirche angedeutet werden soll.

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