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Der Katholik in der SPÖ

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Anderseits sollte man die Schwierigkeit, in der sich Massiczek und die Arbeitsgemeinschaft befinden, keineswegs übersehen. Der meines Er-achtens unglückliche und reichlich oberflächliche Artikel des „Osservatore Romano“ hat die Katholiken in den sozialistischen Parteien in eine arge Verlegenheit gebracht und dem Ansehen der Kirche unter der Arbeiterschaft kaum einen guten Dienst erwiesen. Ohnedies scheel von den alten Marxisten angesehen, müssen sich die katholischen Sozialisten nun an vielen Orten vorwerfen lassen, daß ihr Vorhaben, das Bekenntnis zur Kirche und zum Sozialismus zu vereinbaren, offiziell vom Vatikan mißbilligt wird. Ein guter Katholik kann daher, so meint man, nur ein schlechter Sozialist sein. Anders bei den Liberalen, die vom „Osservatore Romano“ nie in der gleichen apodiktischen Weise angegriffen werden wie die Sozialisten. So entsteht für die SP-Katholiken die Gefahr der Standortlosigkeit.

Am anderen Ufer stehen jene Katholiken, die weiterhin glauben, jeder Versuch, im Sozialismus für den Glauben zu wirken, sei utopisch oder eine Verdeckung durchaus anderer Ziele. Beide Gruppen, die Marxisten und die Inte-gralisten, sehen in einem Experiment, wie Massiczek es unternimmt, die Gefahr einer „Ver-wässerung“, entweder des Sozialismus oder des Christentums.

Wie immer man den Artikel von Massiczek und die Hintergründe seines Entstehens deuten mag, der bei Errichtung der Arbeitsgemeinschaft vorhandene Optimismus ist verschwunden. Auf beiden Seiten.

Was bleibt, ist die Meinung von Massiczek: Die Sozialisten sollten sich begnügen, das Wesen der Kirche verstehen zu lernen und begreifen, daß die Lehre des Sozialismus im Ursprung eine wesentlich christliche gewesen sei und es noch sei.

Die Kirche oder das, was Massiczek unter „Kirche“ versteht, soll sich: dagegen lösen

a) vom Klerikalismus, vom systematischen Mißbrauch der verfügbaren Macht durch einzelne Kleriker, und

b) von der Bindung an den Kapitalismus (im Sinn der Auffassung von Massiczek).

Was die Kirche anlangt, ist sie aber, nach Massiczek, noch immer geneigt, ihre Autorität für den Kapitalismus einzusetzen und gleichzeitig jenen Parteien ihre Hilfe zu leihen, die den Interessen des Kapitalismus dienstbar sind. Der offizielle Katholizismus lebt weiterhin in einer unheilvollen Symbiose mit den Mächten des Kapitalismus und des Bürgertums. Die Formel „Kirche = Flankendeckung für den Kapitalismus“ wird von allem Anfang an beibehalten.

Hätte Massiczek mehr Tuchfühlung mit der Wirklichkeit „Kirche“, wäre es ihm freilich möglich gewesen, anders zu urteilen. Für Massiczek ist die Kirche eben ein Abstraktum, mit dem man sich nur intellektuell auseinandersetzen kann. Daher besteht für ihn auch nur die schreibende Kirche der Theoretiker. Die Kirche kann sich Massiczek in keiner anderen Weise darstellen als im Schrifttum, wenn er auch noch von den sagenhaften ÖVP-Propagan-disten auf den Kanzeln spricht, ohne zu begreifen, daß die Verteidigung der Normen des Sittengesetzes dem Priester auch dann geboten ist, wenn dieses einmal mit einer Haltung einer Partei im Widerspruch steht.

Wenn eine Seite im Verhältnis von Kirche und Sozialismus die Haltung zu ändern hat, dann ist es (bei Massiczek fast schon selbstverständlich) die Kirche. Vermag die Kirche aber ihre Haltung nicht zu ändern — das wird vermutet —, dann ist es besser, auf jede weitere Annäherung des Sozialismus an die Kirche zu verzichten.

Das heißt aber: Die Arbeitsgemeinschaft ist sinnlos geworden, wenn sie nicht gewillt ist, ihre Tätigkeit auf die Konservierung des Antiklerikalismus im Sozialismus zu konzentrieren.

Keine Rede von der nie aufgegebenen antikapitalistischen Sehnsucht in der Kirche, die vom Sozialismus adoptiert, aber heute weithin von den gewerkschaftsfeindlichen Kräften im Sozialismus wieder aufgegeben wurde. Keine Rede von der weltweiten Distanzierung der Kirche gegenüber einem Bürgertum, das die Technisierung der Welt mit dem Schweiß der Ausgebeuteten betreiben will, und nichts davon, daß Kapitalismus und Bürgertum (beide als Wirklichkeiten verstanden) heute unverkennbar auch zu einer innersozialistischen Angelegenheit geworden sind, womit zugleich der Bestand durchaus verschiedener und einander entgegengesetzter Schichten im Sozialismus angezeigt ist.

Die Summe der Ausführungen von Massiczek bedeutet, daß nun vom Sozialismus her Schluß mit dem „Palaver“ einer Annäherung von Kirche und Sozialismus gemacht wird, wenn Massiczek nicht für sich allein spricht und die vielfältigen Bemühungen von Sozialisten, auch solcher, die nicht katholischen Bekenntnisses sind, doch mehr reale Bedeutung haben sollten.

Nach den Ausführungen von Massiczek muß man sich jedenfalls fragen: Wozu noch die Arbeitsgemeinschaft? Hat sie etwa die Aufgabe, eine Gruppe von Katholiken zu sein, die das „Schweigen gebrochen“ haben und lediglich das antiklerikale Mißtrauen der SPÖ durch Zulieferung jeweils neuesten Materials wachhalten wollen? v i • iDnugiuaj uuiw

Die Auseinandersetzungen wie auch die Kontaktsuche von Kirche und Sozialismus (der doch nur eine, wenn auch gewichtige Darstellungsform der „Welt“ ist), leiden vor allem unter einem Begriffsnotstand. Dieser Tatbestand zeigt sich im zitierten Artikel von Massiczek ebenso wie im Artikel des „Osser-/atore Romano“, der seinen Darstellungen ein Sozialismusbild zugrunde legt, das vor Jahren Jen Verfassern der Enzyklika „Quadragesimo inno“ als Vorlage gedient hatte.

Begriffe, wie Kirche, Katholizismus, Rom, <lerus, werden vermengt und Randerscheinungen in der Kirche verabsolutiert.

„POLITISCHER KATHOLIZISMUS“? Auf der anderen Seite geht man immer noch /on der unseligen Annahme des einen Soziaismus aus, ohne zu verstehen, daß jedes Land md jede Zeit ihren Sozialismus haben und haben müssen, da doch der Sozialismus stets die Reak-:ion auf bestimmte Umwelterscheinungen dar-itellt.

Vor allem aber bedürfte die Stellung jener Katholiken in einer sozialistischen Partei, die lieh „gläubig“ nennen, einer Präzisierung, wo-jei man selbstverständlich davon ausgehen muß, laß es sich bei den entsprechenden sozialistischen Parteien um solche handelt, die einen iveltanschaulich-pluralistischen Charakter haben.

Wer als gläubiger Katholik klassifiziert werden will, kann mit einem unverbindlichen „Katholizismus“ nicht mehr sein Auslangen finden, sondern muß eben die Vergegenständ-lichung des Katholizismus in der einen, eingesetzten Kirche als wesentlich hinnehmen. Ebenso ist ein Arrangement mit einem Katholizismus nur über die Institution der Kirche möglich, als der „Verwirklichung des Gottesreiches auf Erden“ (K. Adam). Der Blick auf die Kirche muß dabei in einer totalen Sicht erfolgen, in der vollen Breite und in die Tiefe der Erscheinung. Die Kirche ist nicht allein durch einen Schreiber im „Osservatore Romano“ ausgewiesen, sie ist nicht allein als offizielle Kirche der Verträge von Bestand. Daneben gibt es die leidende Kirche der Märtyrer, die Kirche des heroischen, jeder Publizität fernen Einsatzes im toten Winkel der Seelsorge, die Kirche in der Vielfalt der heroischen Selbstbezeugungen. Diese Kirche ist die wirkliche, und nicht jenes Abstraktum aus dem Lexikon, mit dem oft und oft Wortgefechte geführt werden, deren Vorhandensein zuweilen nur der Sicherung von Lehrstühlen auf beiden Seiten dienlich zu sein scheint.

Es bedarf nun eines Bekenntnisses auch der katholischen Sozialisten zu dieser Kirche, wenn sie als gläubig angesprochen werden wollen. Ein solches Bekenntnis schließt aber die Verpflichtung ein, mit der an sich guten und der Wahrheit dienenden Kritik Maß zu halten dort, wo sie nur noch des schönen Wortes oder der Sicherung der eigenen Argumentation wegen geübt wird. ,

Schließlich hat aber auch eine sozialistische Partei nichts von jenen gläubig sein wollenden Katholiken, die ihr Christentum lediglich durch Angriffe auf eine „sündige“ Kirche zu dokumentieren suchen. Vermöge der Glaubwürdigkeit der Katholiken in einer sozialistischen Partei, gerade in Sachen des Glaubens, wird die Kirche, wenn von ihnen angegriffen, erst recht unglaubwürdig.

Die innere Liquidation des religiösen Sozialismus der Zwischenkriegszeit, trotz der oft und oft heldenhaft bezeugten und innigen Frömmigkeit seiner Vertreter, nahm ihren Anfang von einer maßlosen und auch lieblosen Kritik der Kirche. Das Ende war das Absinken in eine unverbindliche freireligiöse Haltung und fast die Konstitution einer Quasisekte.

Die zweite Versuchung des Katholiken in einer sozialistischen Partei ist in seinen Bemühungen begründet, christliche und auf einer ganz anderen Ebene liegende Postulate mit sozialistischen gleichzusetzen. Die Folge ist nicht selten die Erhöhung der Anliegen der Sozialreform zum Rang einer Religion, wie sich dies bei Frühsozialisten erwiesen hat. Schließlich können katholische Sozialisten nur noch, wenn zu sehr befangen, in sozialen und ökonomischen Kategorien denken. Jeder Christ, der sich eine Sozialreform nicht in der Denkweise des jeweiligen Sozialismus vorstellen kann, wird dann leichthin zum „Kapitalisten“, wobei nicht übersehen werden soll, wie sehr oft sozialistische Forderungen mit solchen der katholischen Soziallehre konform gehen, soweit sie eben vom Sittengesetz bestimmt sind.

Die gläubige Haltung eines Katholiken Im Sozialismus ist nicht allein dadurch erwiesen, daß er dem „Mammon“ widersteht und sich keines sozialen Sündenfalles schuldig macht. Um sich derart zu verhalten, müßte man nicht unbedingt Sozialist sein. Was noch notwendig ist, das ist auch der Widerstand im Machtbereich des Sozialismus, wenn dieser versucht, etwa ein unmoralisches Verhalten vermöge seiner Macht gesetzlich zu sanktionieren. Massiczek deutet übrigens einen solchen Widerstand in der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung an. Nicht unwesentlich ist auch das Abweichen einzelner sozialistischer Pläne zur Sozialreform von den Grundsätzen der katholischen Soziallehre, womit aber keineswegs gesagt werden soll, daß die bürgerlichen Parteien, wie man dies bei uns nicht selten darzustellen sucht, durchaus darauf bedacht sind, die katholischen Sozialprinzipien zu beachten. Es sei nur an die Exzesse in der Frage der Sonntagsruhe in der Deutschen Bundesrepublik erinnert oder an den Versuch des Beförderungsgewerbes, das Verbot der Lastenbeförderung an Sonntagen zu Fall zu bringen.

Die Arbeitsgemeinschaft ist nicht allein das, was sie i m Sozialismus darstellt, sondern auch, nach ihrem eigenen Willen, eine Gruppierung im katholischen Raum, in dem sie doch heimisch werden will, und sei es nur als eine Sonderform des politischen Katholizismus. Ist es aber so, dann wird die Arbeitsgemeinschaft ambivalent sein und sein müssen, wenn sie sich nicht selbst nur als ein Mittel des Agitprop versteht. Jeder gruppenweise unternommene Versuch gläubiger Katholiken, in der Welt und auch gegen die Welt Zeugnis abzulegen, ist nun einmal politischer Katholizismus, gleichgültig, ob man, wie bisher, von der Schauweise der „Bourgeoisie“ oder, wie nun vielfach, vom Sozialismus ausgeht. Wie weit eine Gruppierung des politischen Katholizismus eine innerkirchliche Angelegenheit ist, muß freilich dahingestellt bleiben.

Von einer „innerkirchlichen Diskussion“ kann man jedenfalls nur dann sprechen, wenn die in Frage kommende Gruppe einen Standort im kirchlichen Raum hat oder haben will, ganz abgesehen davon, daß „Diskussion“ nicht mit Angriff und Kritik allein ausgeführt sein kann.

Das Gefährliche am Vorhaben einzelner katholischer Sozialisten in Österreich ist es, den unseligen Versuch, diesmal unter einem anderen Vorzeichen, zu wiederholen, Religion und eine Partei miteinander in ein komplexes Verhältnis zu bringen und beispielsweise davon auszugehen, daß man als Katholik Sozialist sein müsse, während bis jetzt die Diskussion um die Frage ging, ob ein Katholik ohne Bedenken auch Sozialist sein könne.

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