Der Kirchenspalter WIDER WILLEN

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Am Büchermarkt boomen die Werke über Martin Luther und seine Zeit. Drei exemplarische Publikationen im Reformationsjubiläumsjahr.

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Am Büchermarkt boomen die Werke über Martin Luther und seine Zeit. Drei exemplarische Publikationen im Reformationsjubiläumsjahr.

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Habe ich einzelner Mann nicht genug Tumult ausgelöst? Ich habe nicht umsonst gelebt." Das schrieb Martin Luther im August 1521, als er noch fast ein Vierteljahrhundert Lebenszeit vor sich hatte und viele von ihm zumindest mitverursachte Konflikte und Konfrontationen noch gar nicht ausgebrochen waren, von der Wartburg an seinen Mitstreiter Philipp Melanchthon. Auf diese Aussage bezieht sich der Titel des neuen Buches "Habe ich nicht genug Tumult ausgelöst?", das sich darauf konzentriert, Luthers Leben in Selbstzeugnissen nachzuzeichnen.

Dessen Autor, der Kulturhistoriker Günter Scholz, der das Deutsche Bauernkriegsmuseum in Böblingen aufgebaut und lange geleitet hat, ist mit der Lutherzeit eng vertraut. Er hat, wie Luther einst dem Volk, dem Reformator selbst aufs Maul geschaut und zitiert, nach Themen und Lebensabschnitten gegliedert, ausgiebig aus dessen oft sehr deftigen Äußerungen. Insbesondere die Tischreden sind für Scholz eine erstrangige Quelle: "In den Tischreden kommt er als Mensch so nah wie kaum eine andere Persönlichkeit der Frühen Neuzeit. Er äußert sich dort so spontan wie heute die User von Facebook und Twitter."

Luther-Reden und Luther-Leben

Man habe diese Tischreden -unabhängig von der Frage, wie authentisch sie von seinen Tischgenossen überliefert wurden -bis heute nicht umfassend ausgewertet, meint Scholz: "Stattdessen nutzte man sie meist als Steinbruch und holte sich heraus, was ins eigene Lutherbild passte. Weniger Erwünschtes unterschlug man, oder man zweifelte am historischen Gehalt der Aussage." Luther sei so "historisch geliftet und weichgespült" worden. Davon kann bei Scholz keine Rede sein. Er zitiert auch viele Sätze Luthers, die heute weder als populär noch als politisch korrekt anzusehen wären, etwa zur Rolle der Frau in der Gesellschaft. Besonders verstören Luthers Ausfälle gegen den Papst und die Türken sowie sein ausgeprägter Antisemitismus. So schrieb er zum Beispiel 1543 in einer Hetzschrift über die Juden, gegen die er auch ein unsägliches Sieben-Punkte-Programm formulierte: "Kein blutdürstigeres und rachgierigeres Volk hat die Sonne je beschienen."

Vor allem den Juden, aber nicht nur ihnen, warf Luther den Abfall von Gott vor, schreibt Heimo Schwilk, der Autor der empfehlenswerten neuen Biographie "Luther - der Zorn Gottes". Für den noch mittelalterlich denkenden Luther sei der ",Zorn Gottes' über den sündhaften, von ihm abgefallenen Menschen eine unumstößliche Realität" gewesen. Für Schwilk ist Luther "kein Wegbereiter der Moderne, kein Anwalt der Autonomie des Einzelnen", sondern vielmehr getrieben vom "Furor des Gottsuchers".

Martin Luther, am 10. November 1483 als Martin Luder in Eisleben geboren, trat 1505 in Erfurt in den Orden der Augustiner-Eremiten ein. Während eines schweren Gewitters hatte er für den Fall seines Überlebens gelobt, Mönch zu werden. Seine Eindrücke auf einer Romreise (1510/11) ließen ihn zum scharfen Kritiker des Papsttums werden. Um das Jahr 1515 -der Legende nach durch ein "Turmerlebnis" in seinem Studierzimmer -festigte sich in ihm die Einsicht, dass nicht gute Werke, sondern nur Christus und der Glaube an Gottes Barmherzigkeit den Menschen beim Jüngsten Gericht rechtfertigen können. Angesichts der Ablass-Praktiken seiner Zeit, denen zufolge man sich durch Geldspenden -insbesondere für den Bau des Petersdoms in Rom -von seinen Sünden freikaufen konnte, wurde Luther zum Wutchristen. So kam es zu seinen berühmten 95 Thesen, die er ab dem 31. Oktober 1517 in Briefen und auf Plakaten verbreitete und gemäß einer umstrittenen Überlieferung selbst ans Tor der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte.

Schwilk kommt zu dem Schluss, dass Luther trotz seiner vielen Konflikte "kein Rebell" gewesen sei: "Er verabscheute den Aufruhr. Bei aller religiösen Leidenschaft war er stets loyal gegenüber der staatlichen Obrigkeit. Er war kein Umstürzler wie Savonarola oder Thomas Müntzer, kein Revolutionär, obwohl er durchaus revolutionär gewirkt hat. Gottesbindung und Obrigkeitstreue waren die Säulen, auf denen sein Lebenswerk ruhte. Luther führte einen konsequent geistigen Kampf. Nur das Wort, nicht die Gewalt ändert die Welt, war sein Credo."

Theologisch bleibe "Luthers Rechtfertigungs-und Gnadenlehre, die Papst Benedikt XVI. in ihrem theologischen Kern anerkannt hat", seine große Leistung, betont Schwilk, der in Luther einen Kirchenspalter wider Willen sieht: "Wer die frühen Schriften und Briefe Martin Luthers liest, der spürt: Dieser Mann wollte kein Schisma. Er wollte als guter Katholik allein die Missstände in Rom anprangern. Durch das sehr unglückliche Krisenmanagement der Kurie -man versuchte das ,Mönchlein' sozusagen im Vorbeigehen zu erledigen, um die Pfründe in Deutschland zu sichern -ist der Konflikt dann eskaliert. Luthers ungeheure Popularität aufgrund der medialen Unterstützung durch Flugschriften und Plakate machte ihn fast unangreifbar. Nichts, was Luther damals attackierte, ob der imperiale Anspruch der Kirche oder die Käuflichkeit der Bußsakramente, hat bis heute überlebt! Luther war, auch wenn seine Lehre am Ende zur Kirchenspaltung führte, ein entscheidender Katalysator der Selbstreformation der katholischen Kirche." Hier geht Schwilk wohl etwas zu weit, denn der von Luther bekämpfte Zölibat hat zum Beispiel bisher noch überlebt.

Ein umfassender Blick aufs Jahr 1517

Einen umfassenden Blick auf das Jahr, in dem die Reformation begann, wirft der Berliner Historiker Heinz Schilling, der bereits 2012 eine viel gerühmte Luther-Biographie veröffentlicht hat, in seinem Buch "1517". Bei Schilling dreht sich nicht alles um Rom und Wittenberg, sondern auch um andere Brennpunkte dieser Epoche. Wer denkt heute noch daran, dass die Portugiesen 1517 fast Dschidda, den wichtigsten Handelsplatz der Arabischen Halbinsel und das Tor zu den heiligen Stätten der Muslime, erobert hätten, zugleich aber die Osmanen durch die Einnahme von Kairo die politische und militärische Hegemonie in der muslimischen Welt errangen?

Wer das frühe 16. Jahrhundert verstehen will, ist bei Schilling in guten Händen. Er erinnert an damals lebende geniale Menschen wie Albrecht Dürer oder Nikolaus Kopernikus, schaut in die Fürstentümer Italiens, nach China, Moskau, in den Vorderen Orient und auf die Entwicklungen aufgrund von Seefahrern und Eroberern in Übersee: "Was Rom nach dem 31. Oktober 1517 in Europa binnen weniger Jahre verloren hatte, glich es durch die katholische Christianisierung der Neuen Welten nicht nur aus, sondern konnte es bald an Fläche und Zahl der Menschen weit überbieten."

"Habe ich nicht genug Tumult ausgelöst?" Martin Luther in Selbstzeugnissen Von Günter Scholz, C. H. Beck 2016 240 Seiten, kt., € 12,30

Luther. Der Zorn Gottes Von Heimo Schwilk, Blessing 2017 464 Seiten, geb., € 25,70

1517. Weltgeschichte eines Jahres Heinz Schilling, C. H. Beck 2017 364 Seiten, geb., € 25,70

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