Der "Kreuzzug" im Donbass

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Mit den militärischen Auseinandersetzungen um die Ostukraine wurden auch die Gegensätze zwischen christlichen Strömungen für politische Zwecke benutzt.

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Mit den militärischen Auseinandersetzungen um die Ostukraine wurden auch die Gegensätze zwischen christlichen Strömungen für politische Zwecke benutzt.

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Nun sag, wie hast du's mit der Religion? Die Gretchenfrage sorgt in der Ukraine immer wieder für Sprengstoff. Erst zuletzt im Sommer, als bei einem orthodoxen Marsch quer durch die Ukraine zum Frieden aufgerufen wurde. Organisiert wurde der Marsch von der orthodoxen Kirche unter Moskauer Patriarchat. Viele sehen dahinter eine politische Agenda aus Moskau.

Die Ukraine gilt als eines der gläubigsten Länder der Welt. 67 Prozent der Ukrainer bezeichnen sich als gläubig. Die Kirchenlandschaft der Ukraine spiegelt ihre wechselvolle Geschichte wieder: Während im Westen des Landes die griechisch-katholische Kirche viele Anhänger zählt, gibt es im Osten und Süden des Landes viele Gläubige der orthodoxen Kirche, die Moskau untersteht. Von ihr hat sich wiederum im Jahr 1992 ein pro-ukrainischer Flügel, die ukrainisch-orthodoxe Kirche mit einem Kiewer Patriarchat, abgespalten.

Der orthodoxe Glaube ist ein wichtiger Gründungsmythos der pro-russischen Separatistengebiete von Donezk und Luhansk. Die Separatisten haben die russisch-orthodoxe Kirche sogar als "Grundpfeiler" in ihrer so genannten Verfassung fest geschrieben: "Der führende und dominante Glaube ist der orthodoxe Glaube, wie er von der russisch-orthodoxen Kirche vertreten wird", heißt es in der Verfassung vom 14. Mai 2014 weiter, die kurz nach dem umstrittenen Referendum zur Unabhängigkeit der so genannten "Donezker Volksrepublik" unterzeichnet wurde.

"Hiermit erkennen wir das historische Erbe und die Rolle der russisch-orthodoxen Kirche als wichtigen Grundpfeiler unserer Doktrin des 'russki mir' an", heißt es dort. Unter "russki mir" (zu deutsch: "Russische Welt") versteht man eine neo-imperiale Ideologie der russischsprachigen Gebiete in den ehemaligen Sowjetrepubliken unter der politischen und geistlichen Leitung Moskaus und des orthodoxen Glaubens.

Evangelikale vertrieben

Vor allem Slawjansk, die Separatistenhauptstadt der ersten Stunde unter der Führung des russischen Staatsbürgers und ehemaligen russischen Agenten Igor Girkin (Kampfname: Strelkow), war Schauplatz brutaler Repressionen: Es kam sogar zu Folterungen und Morden. Die Repressionen richteten sich dabei vor allem gegen evangelikale Christen. Die Kirche "Frohe Botschaft" wurde im Frühling 2014 von den Separatisten besetzt. Kurz darauf wurden vier Mitglieder der Kirche "Verklärung des Herrn" gefoltert und getötet. Zuletzt ging die Bürgerbewegung "Wsi Razom"(zu deutsch: "Alle Gemeinsam") von insgesamt sieben getöteten und mehr als 40 inhaftierten Kirchenvertretern in den pro-russischen Separatistengebieten aus. Girkin steht auf der Sanktionsliste der EU.

Die Kosaken, die sich selbst gerne als militärischen Arm des russisch-orthodoxen Glaubens sehen, waren Separatisten der ersten Stunde. Mit der russisch-orthodoxen Armee und der Kosaken-Garde wurden auch eigene Bataillone der Glaubensrichtung aufgestellt. Die Gewalt in Namen der Kirche veranlasste das ukrainische Zentrum für Bürgerrechte sogar dazu, von einem "Kreuzzug im Donbass", insbesondere gegen die Evangelikalen, zu sprechen. Denn die evangelikalen Organisationen sind im Donbass stark vertreten: Nach den letzten offiziellen ukrainischen Daten vor dem Kriegsausbruch 2014 lagen sie mit rund 700 Organisationen oder 40,9 Prozent aller registrierten religiösen Niederlassungen im Donezker Gebiet nur ganz knapp hinter der dominanten orthodoxen Kirche unter Moskauer Patriarchat (42,9 Prozent).

Dass Kämpfer im Namen der russisch-orthodoxen Kirche militanter auftreten, ist allerdings nichts Neues: Kosakengruppen sind bereits seit mehrere Jahrzehnten in bewaffneten Konflikten im post-sowjetischen Raum involviert - von Transnistrien über Abchasien bis hin zu Serbien. So kämpfte auch Girkin schon in den Tschetschenienkriegen, in Transnistrien und auf dem Balkan. Der russische Historiker und Journalist Nikolaj Mitrochin bezeichnet Girkin und seine Kämpfer als "Rechtsextreme" "aggressive Fremdenhasser", die die Evangelikalen auch als ihre religiösen Konkurrenten im Donbass verfolgt hätten.

Nach den Verfolgungen

Für andere Glaubensgemeinschaften im Separatistengebiet ist es meist nicht mehr möglich, ihre Religion auszuüben. "Nur Gläubige der orthodoxen Kirche unter Moskauer Patriarchat sind frei von Verfolgung im Donbass", schreibt die Charkiwer Menschenrechts-Schutzgruppe in einem aktuellen Bericht. Mittlerweile gehören aber auch die brutalen Verfolgungen von Andersgläubigen in den Separatistengebieten der Vergangenheit an. Was auch daran liegt, dass ohnehin fast alle Vertreter von anderen Konfessionen die Separatistengebiete verlassen haben.

Zugleich gibt es freilich auch in der Ukraine Anfeindungen gegenüber der orthodoxe Kirche unter Moskauer Patriarchat, das als anti-ukrainisch und als "Agent des Kreml" verdächtigt wird. Unbekannte haben Anfang November Molotow-Cocktails auf eine orthodoxe Kirche in der zentralukrainischen Stadt Pawlohrad geworfen. Zu einer derartigen Gewalt, wie gegen Religionsvertreter im Donbass, ist es allerdings in der Zentral- und Westukraine nie gekommen.

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