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Der Macht mit Macht begegnen

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Des Journalisten Beruf ist unheimlich: Er mag wohl den Auftrag kennen, doch den Auftraggeber, den kennt er nicht. Insofern nimmt sich der Journalist wie ein G e-schäftsführer ohne Auftrag, wie ein negotiorum gestor aus. Wer ist der Auftraggeber? Der Staat? Was ist der Staat? Das Volk? Was ist Volk? Die Gesellschaft? Was ist die Gesellschaft?

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Des Journalisten Beruf ist unheimlich: Er mag wohl den Auftrag kennen, doch den Auftraggeber, den kennt er nicht. Insofern nimmt sich der Journalist wie ein G e-schäftsführer ohne Auftrag, wie ein negotiorum gestor aus. Wer ist der Auftraggeber? Der Staat? Was ist der Staat? Das Volk? Was ist Volk? Die Gesellschaft? Was ist die Gesellschaft?

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Was in der Wüste der Ungewißheit empirisch gewiß bleibt, ist einzig und allein er, der Journalist, selbst mit seinem Gewissen. Der Journalist erfährt es unausgesetzt, was Autonomie, Selbstgesetzgebung, wiegt, wie die grimmige Kälte des Alleinseins beißt. Ihm als Journalisten kann weder Papst noch Kaiser, weder Fürst noch Bischof, weder Minister noch Prälat, weder Konzil noch Parlament mit Rot der kraft Befehls auch nur eine Prise Verantwortung abnehmen. Sein Vorgesetzter ist das Gewissen. Kein Beruf lädt dem Träger so viel Freiheit auf, drängt ihn zu so viel Entscheidungen, an einem Tag, in einer Stunde, mit der Möglichkeit, tausend und abertausend, vielleicht Millionen Menschen an deren Existenz zu fassen.

Erwägt man Last und Leid des Journalisten, versteht man, daß von den vier Aspekten der menschlichen Tugend, wie die klassische Ethik sie entwirft: Maß, Klugheit, Mut und Gerechtigkeit, der erste Gesichtspunkt: der des Maßes, den Ausschlag gibt.

Das Augenmaß bewahren! — lautet das erste Gebot, das der Auftrag des Journalisten setzt.

Das Gebot gilt gleichviel, wenn wir die nämlichen Gründe mit umgekehrten Vorzeichen versehen, an. die Stelle des Solls das Haben rücken, statt der Verantwortung des Journalisten seine ihr korrespondierende Macht in Augenschein nehmen. Diesfalls treten die Umrisse der Un-heimlichkeit des Journalistenberufes womöglich noch schärfer hervor. Hundertfältig sind die Möglichkeiten, in denen die Macht des Journalisten erscheint. Wie oft packt seine Strafgewalt viel härter zu als der Spruch des Richters? Wie oft erweist sich die au/sehende Gewalt, die er über Staat und Gesellschaft ausübt, als weitaus wirksamer, nachhaltiger, heilsamer denn die Kontrolle, die Staatsorgane verrichten? Wenn, was der Gesellschaftsphilosoph Georg Simmel, was Hegel oder was der Altmeister der deutschen Staatslehre, Rudolf Sment, sagen, zutrifft, daß nämlich „mit der Öffentlichkeit des politischen Lebens sein heutiger abendländischer Typus steht und fällt“, daß „jede Infragestellung der politischen Öffentlichkeit seinen Träger und damit ihn selbst in Frage stellt“: dann wollen wir unter solchen längst geläufigen Gesichtspunkten über die Macht des Journalisten kein Wort mehr verlieren.

Einen anderen Gesichtspunkt heißt es herauskehren, einen, der erst allmählich im Bewußtsein die leitende Stelle einnimmt: die Information, die nicht bloß als Element der Bildung, sondern auch als Element der Macht, ja der Herrschaft aufgefaßt werden muß: Wer informiert, herrscht. Hans Magnus Enzensberger entblößt unverblümt ebendiese Struktur, die er als Abbild des „Grundwiderspruchs zwischen herrschenden und beherrschten Klassen“ ausweist, füglich revolutionär beseitigen zu können hofft. Die Hoffnung mag eitel sein; dennoch, das Utopische sollte uns nicht vom Sachverhalt ablenken, daß die Informator-Informand-Be-ziehung einem Herrschaftsi?efälle gleicht. Genau darauf kommt Martin Heidegger, der große Denker unserer Tage, im Werk: „Der Satz vom Grund.“ „Die Information ist als Benachrichtigung auch schon die Einrichtung, die den Menschen... in eine Form stellt, die zureicht, um die Herrschaft des Menschen über das Ganze der Erde und sogar über das Außerhalb dieses Planeten sicherzustellen. In der Gestalt der Information durchwaltet das gewaltige Prinzip des zuzustellenden zureichenden Grundes alles Vorstellen und bestimmt so die gegenwärtige Weltepoche ...“

So lautet der Auftrag des Journalisten — das wäre das zweite Gebot —, unerschrocken der Macht mit Macht zu begegnen, es immerzu mit der durch die Geschichte als unausrottbar erfahrenen Neigung der etablierten Machthaber aufzunehmen, wonach sie den Menschen Informationen vorenthalten, um sich an der Macht zu halten. In deutschsprechenden Ländern tut der Journalist nicht recht seine Wirkung, weil sein Auftrag mißdeutet wird: ein Mißverständnis, dem der angelsächsische, auch der französische Kulturkreis selten zum Opfer fallen. Der deutschsprechende Kulturpreis empfand und empfindet Kritik und Opposition als etwas im Grunde und von vornherein Negatives, Destruktives, Minderwertiges, das in dem Maße geduldet wird, wie man es vom Bezirk des öffentlichen in den unverbindlichen Privatgarten der Narrenfreiheit abzudrängen vermag. Die der Anlage, dem Ziele nach konstitutiv-integrative, also stiftende, vermittelnde Funktion der Opposition und Kritik will man und will man hierzulande nicht einsehen. Nicht um seiner selbst willen, noch um der Macht willen steht dem Journalisten Macht zu Gebote. Wehe ihm, wenn er sie zum Bösen kehrt, in Vernichtung pervertiert Ihm ist Macht geliehen, auf daß er die Macht in Schranken weise oder daß er ihre Schlupfwinkel aufspürt; denn in der Gegenwart liebt sie es, sich vom Staat, wo jedermann sie sieht, zu emanzipieren, um sich in die dunklen Kammern der Gesellschaft zu verkriechen, von woher sie ihr Unwesen treibt. Die privaten, gesellschaftlichen Mächte bedrohen heutzutage für gewöhnlich unverhältnismäßig ärger die Freiheit des Menschen als die öffentliche Macht des Staates. Der Journalist weiß davon ein Lied zu singen. Es ist das hartnäckige Ringen um die allseitige, vorbehaltlose Achtung vor dem Recht als der Bedingung der Möglichkeit menschenwürdigen Zusammenlebens.

Im Rücken geht die Schlacht wider die Anbetung der Macht, wider die menschenunwürdige Verrohung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Da zählt keine Neutralität! Da zählt Parteilichkeit: für Recht und Gerechtigkeit, gegen Willkür und nackte Gewalt, für den Rechtsstaat, gegen den Gewalt- und Willkürstaat, für den Frieden, gegen den Krieg, für den Kompromiß, gegen das forsche Durchhauen des Knotens. Eines der schwersten Leiden, die den Menschen gegenwärtig heimsuchen, sind die Verherrlichung des unbändigen Willens zur Macht, die Verhöhnung von Recht und Gesetz, der Verlust des Rechtssinnes und die Verachtung der Norm und Institution.

Der Rechtsgedanke ist im Augenblick die letzte Angel, auf der die Welt des Menschen sich dreht Albern und schlecht besorgte der Journalist seine Aufgabe, sammelte er nicht hier und jetzt sein ganzes Interesse auf den Rechtsgedanfcen hin, stellte er sich nicht voll in den Dienst der Gerechtigkeit. Dies Gebot der Stunde wollen wir die Pflicht des Journalisten zur Parteilichkeit für Recht und Gerechtigkeit nennen. Er hat nicht nur dafür zu sorgen, daß die Gerechtigkeit ih. ^ Lauf nimmt, sondern auch dafür, daß man sie laufen sieht.

Jählings werden wir der Konturen eines Auftraggebers der Journalisten ansichtig: Es ist der Gedanke des Rechts und der Gerechtigkeit. Das ist die Maxime seines Denkens und Handelns. Wie vom grellen Licht des Blitzes erhellt, erkennen wir die Verwandtschaft des Journalisten mit dem Richter; auch er steht und fällt mit seiner Unabhängigkeit. Die Auftragsdimension des Journalisten, wird nicht nur vom Prinzip der Öffentlichkeit bestimmt, sondern gleichermaßen vom Prinzip der Aktualität. Zunächst begegnen uns Journalismus und Aktualität wie einfache Synonyma, wie zwei Namen für ein und dieselbe Sache. Das Weg-und Absehen von Vergangenheit und Zukunft, ist die Leistung und Kunst des Journalisten, der die Allgegenwart des Sinnes der Welt und in der Welt aufdeckt: Er hilft dem Menschen, an den er sich wendet, daß dieser sein Leben wirklich lebe, statt daß er sich in Visionen, Illusionen, Träumen verliere.

Der Journalist befriedigt das Sinn-und Wirklichfceitsbedtirfnis des Menschen, das nicht zu stillen ist. Das freilich gelingt unter ztoei Voraussetzungen, einer formalen und einer materialen, die beide in Gestalt der Liebe erscheinen. Den Journalisten drängt die Liebe zum schönen Wort, der Anstand der Sprache, der literarische Eros. Und es beseelt ihn die Liebe zur Wahrheit, ohne die die menschliche Gesellschaft ausein-anderbnicht — so befriedigt er das soziale Bedürfnis des Renschen. Die Macht des Journalisten ist ebensowenig wie die politische Macht des Machthabers im letzten eine Frage des Machtträgers; sie ist aber eine Frage des Adressaten, des Empfängers, nämlich des Grades seiner Gefügigkeit und Trägheit. Die Passivität des B-#~Msempfängers erzeugt die Macht des Befehlshabers: Oboedientia facit imperantem! Die Passivität des Lesers, der seine Macht verkennt, den Journalisten gewähren läßt, trägt mit die Verantwortung für etwaige Machtüberschreitungen, deren der .Tnurnalist schuldig wird. Die Zeitung, die Wirkstätte und das Medium, wo der Fortsetzung auf Seite 2

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