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Nach der Hommage an die "Kunst-Figur" Otto Mauer von Matthias Boeckl (furche Nr. 40) erinnert sich der Pastoraltheologe wilhelm zauner an seinen Freund und Lehrmeister.

Otto Mauer gehört zu den Menschen, die man in sich trägt, wenn man ihnen einmal begegnet ist. Ich habe ihn zum ersten Mal etwa um 1950 auf der Kanzel der Jesuitenkirche in Innsbruck gesehen. Er hat dort aus irgendeinem besonderen Anlass eine Predigt gehalten, und ich weiß natürlich nicht mehr, was er gesagt hat. Aber der Prediger selbst ist mir in Erinnerung geblieben; ich hatte begonnen, ihn zu erinnern.

Prediger und Prophet

Später habe ich Otto Mauer oft als Prediger und auch als Vortragenden gehört, meist in Wien. Er sprach lang, aber nie langweilig. Er sprach engagiert und baute Kaskaden aus griffigen Wortblöcken, um sie dann manchmal schroff wieder abzubrechen. Er formulierte aus der Situation heraus und modellierte seine Satz-Skulpturen spontan, in einem geheimnisvollen Dialog mit seinen Zuhörern. Er stellte nicht bloß eine Lehre dar, sondern er brachte eine Botschaft, für die er als Person einstand. Er sprach nicht als Professor, sondern als Prophet - mit dem Anspruch, der seit der Pfingstpredigt des Petrus allen zusteht, die dem Auferstandenen nachfolgen: "Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein" (Apg 2,17).

Das intellektuelle und katholische Wien traf sich am Sonntag "beim Mauer", genau gesagt bei der Abendmesse in St. Stephan und anschließend auf dem Stephansplatz. Diese Predigtgemeinde war ihm so wichtig, dass er andere Termine nicht annahm, um diesen einhalten zu können. Seinen Beruf als Domprediger sah er als einen persönlichen Auftrag an, bei dem er sich nicht vertreten lassen konnte.

Redakteur und Autor

Otto Mauer war auch als Autor ein Redner; seine Texte sind geschriebene Reden. Sein erstes Buch, erschienen 1935, ist eine geschickte Kollage von Predigten. Der Titel "Auferstandene" ist das große Thema, das über allen Predigten Otto Mauers stehen könnte, die Botschaft, für die er sich leidenschaftlich eingesetzt hat: Wir leben jetzt schon als Auferstandene, weil wir in der Taufe mit Christus auferstanden sind. So steht es im Brief an die Römer (6,4) und an die Kolosser (2,12). - Sein zweites Buch "Das verborgene Antlitz", erschienen 1936, enthält kurze Betrachtungen im Anschluss an die Lesungen des Kirchenjahres. Dabei bleibt es. Die große Form lag ihm nicht. Er publizierte in Zeitschriften und gehörte verschiedenen Redaktionen an, in denen sein kritisches Urteil, sein Reichtum an Ideen, aber auch seine Freundschaft sehr geschätzt waren.

Gleich nach dem 2. Weltkrieg fassten Otto Mauer und der Wiener Hochschulseelsorger Karl Strobl den Plan zur Gründung der Zeitschrift Wort und Wahrheit. Mauer gelang ein Geniestreich: Er reklamierte für die Redaktion einige Räume "In der Burg, Säulenstiege". Diese prominente Adresse kam später auch der Stiftung Pro Oriente zugute, die Otto Mauer vorgeschlagen und Kardinal König errichtet hat. - Das erste Heft von Wort und Wahrheit, dieser "Monatsschrift für Religion und Kultur", erschien im April 1946; als Herausgeber und Schriftleiter schienen die beiden Freunde Mauer und Strobl auf. Otto Schulmeister kam noch in diesem Jahr aus der Kriegsgefangenschaft zurück; Mauer gewann ihn für die Redaktion und überließ sie ihm bald darauf ganz. Ab 1968 übernahm Mauer die Redaktion. Nach seinem plötzlichem Tod 1973 sind alle Bemühungen, die Zeitschrift fortzuführen, daran gescheitert, dass niemand so rasch seine Aufgaben und seine Rolle übernehmen konnte.

Theologe und Kunstförderer

Otto Mauer hatte kein Doktorat. "Ich hatte keine Zeit für so eine Schulaufgabe", sagte er. Der Zustand der Theologischen Fakultät Wien war in den dreißiger Jahren entmutigend. Die Professoren hatten seit den Modernismus-Dekreten Pius X. eine solche Angst vor Rom, dass sie sich nichts zu sagen trauten, was sie in Verdacht hätte bringen können, "Neuerer" zu sein oder werden zu wollen. Der Studienbetrieb glich dem Religionsunterricht in einer (damaligen!) Mittelschule.

Also studierte Otto Mauer aus Büchern und suchte das Gespräch mit Wissenschaftlern. Sein Kunstverständnis ebnete ihm den Weg zu den Künstlern. Er hatte einen sicheren Blick für junge Talente und förderte sie bis hin zur Gründung der "Galerie St. Stephan". Daraus entstanden aber bald schwere Konflikte. Für manche waren die Ausstellungen, die Mauer dort veranstaltete und meist selbst eröffnete, aber auch die Künstler, die dort ein- und ausgingen, ein "Gräuel an heiliger Stätte". Es gab Anzeigen an die kirchlichen Behörden in Wien und Rom. Eine Erleichterung trat ein, als Mauer die Galerie umbenannte in "Galerie nächst St. Stephan". Außerdem trat Kardinal Innitzer in Rom für die Verleihung des päpstlichen Titels "Monsignore" an Otto Mauer ein. Diesen Titel verband er fest mit seinem Namen: Er hat sein ganzes Leben der Kirche zur Verfügung gestellt. Sein Drängen und seine Ungeduld, seine Kritik und Unzufriedenheit waren nicht Ausdruck einer Distanzierung von der Kirche, sondern Zeichen seiner starken Identifikation mit ihr.

Seelsorger im Dialog

Wenn Mauer einen Gottesdienst hielt, suchte er keine liturgischen Extravaganzen. Er begrüßte die Liturgiereform und hielt sich an die neuen Regelungen. Ihm genügte die Predigt, um Leben und "Nachhaltigkeit" in die Feier zu bringen. In der Begegnung von Mensch zu Mensch ging es ihm nicht darum, anderen etwas einzureden, sondern sie ausreden zu lassen. Seine Missionsmethode war der Dialog.

Im Gespräch über die tiefgreifenden Veränderungen im politischen und kirchlichen Leben, die gerade meine Generation (Jahrgang 1929) erlebt hat, wurde ich oft gefragt, wie wir uns da zurechtgefunden haben. Ich antwortete meist, dass wir Persönlichkeiten hatten, an denen wir uns orientieren konnten, und dass mir selbst vor allem die drei Freunde Mauer, Strobl und Klostermann seit ihrem Tod sehr fehlen. Darauf bemerkte einmal jemand ungerührt: Jetzt ist halt eure Generation dran, solche Orientierungspersonen zu stellen.

Jeder Zeit ihre Propheten

Im Blick auf die heutige Situation drängt sich ein Wort aus dem Propheten Daniel auf: "Wir haben in dieser Zeit weder Vorsteher noch Propheten und keinen, der uns anführt" (Dan 3,38). Solche Klagen begleiten die Geschichte Israels und der Kirche. Man kann Konzepte entwerfen, Ämter vergeben und Kompetenzen zuteilen. Aber ohne prophetische Menschen geht es nicht, geht nichts mehr weiter, erstarrt der Apparat.

Doch jede Zeit hat ja ihre Propheten. Sie werden nicht immer erkannt oder anerkannt, denn sie sind oft unbequem und lästig; sie fügen sich nicht in Pastoralpläne und schmiegen sich nicht den Amtsträgern an. Sie sind einfach da, geschenkt; die Bibel sagt: Gott schickt sie uns. Woran erkennt man sie? Sie sind unter denen zu suchen, die auf die "Zeichen der Zeit" achten; sie sind unter den künstlerischen, politischen und kritikfähigen Menschen zu vermuten. Propheten und Prophetinnen sind unter den Menschen zu suchen, die noch Wege finden, wo anderen nichts mehr einfällt; die sich mit anderen verbünden, die dasselbe Ziel anstreben; deren Spiritualität schlicht darin besteht, dass sie sich "vom Geist Gottes leiten lassen" (Röm 8,14). Wo wir sie finden, werden sie uns an Otto Mauer erinnern.

Der Autor ist emeritierter Professor für Pastoraltheologie an der Kath.-Theol. Privatuniversität Linz.

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