Der moralische Schluckauf fehlt

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In Israel kennt nicht jeder die besonderen österreichischen Verhältnisse. Und Haider pur ist schwer zu verdauen!

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In Israel kennt nicht jeder die besonderen österreichischen Verhältnisse. Und Haider pur ist schwer zu verdauen!

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Am Abend vor der Wahl in Österreich hatte das israelische Fernsehen schon einen Österreich-Beitrag sendefertig im Regal stehen; dort blieb er auch: der Atomunfall in Japan versprach die höhere Quote. Erst Jörg Haiders Stimmengewinn machte die österreichischen Wahlen doch noch zum politischen Supergau.

Im Morgenmagazin verkündet der Moderator: "Jeder vierte Österreicher hat die faschistische Partei von Jörg Haider gewählt." Als ein Historiker einwirft, der Terminus "faschistoid" wäre angebrachter, kontert der Moderator: "Wie würden sie einen Mann nennen, der die Konzentrationslager als Strafanstalten bezeichnet?" In den Zeitungen werden ähnliche Töne angeschlagen. In der Schule meiner Tochter fragt man mich allen Ernstes, ob ich jetzt Angst um meine Familie habe. Als Außenminister David Levy ankündigt, man werde über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen nachdenken, ist man versucht zu rufen: "Ja sind denn alle meschugge geworden?"

Nein, sind sie nicht. Hier kennt nicht jeder die besonderen Verhältnisse in Österreich die es Haider ermöglicht haben, so viel zu gewinnen. Und Haider pur - ohne Erklärungen - das ist schwer zu verdauen. Hier weiß nicht jeder, was Sozialpartnerschaft und große Koalition angerichtet haben, wie satt die Österreicher den Filz haben. Daß als Alternative nicht grün oder liberal gewählt wurden, sondern die blaubeschalte Truppe, finde ich abstoßend, aber nicht erstaunlich. Populisten kommen gut an, überall. Haider ist zur Zeit der König der Populisten.

Als Theaterleiter Gunther Rühle 1985 seine Entscheidung, Fassbinders Stück "Die Stadt, der Müll und der Tod" aufzuführen, damit begründete, daß die "Schonzeit der Juden jetzt vorbei sei", konnten die Österreicher sagen: "Bei uns wäre so was nicht passiert!" Stimmt, denn in Österreich hat es nie eine Schonzeit gegeben. In der Opferrolle hatten es sich die Österreicher selbst gemütlich gemacht. Die Österreicher haben Haider wählen können, weil sie sich nie mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt haben und deshalb bei Haider kein moralisches Schluckauf bekommen. Josef Guvrin nennt das das pädagogische Scheitern Österreichs und sieht darin den Hauptgrund für Haiders Erfolg.

Guvrin war israelischer Botschafter in Österreich. Für ihn ist Haider kein Neo-Nazi, sondern "ein radikaler Nationalist mit klaren rassistischen und faschistischen Neigungen". Wenn Haider im israelischen Fernsehen sagt, die Israelis sollen vor der eigenen Türe kehren, dann zeigt er damit, wie tief im braunen Bodensatz der Geschichte er steht. Denn wenn das, was die Israelis mit den Palästinensern machen, das gleiche ist, was die Nazis mit den Juden gemacht haben, dann sind die jetzt frei von aller Schuld, denn das Opfer ist zum Aggressor geworden.

Als ob es einen Beweis für Haiders Antisemitismus brauchte, wirft er in einem Interview Israelis und Juden vor, im Holocaust "festzustecken". Damit macht er aus dem Holocaust ein jüdisches Problem und kein deutsches. Daß die Nazis Auschwitz den Juden nie verzeihen werden, ist bekannt: ohne Juden kein Holocaust. Das erinnert an den Vergewaltiger, der die Frau für seine Tat verantwortlich macht.

Jeden Freitag treffe ich mich mit Freunden in einem Kaffeehaus, das von Ex-Wienern gegründet wurde und heute noch so geführt wird. Bei Melange und Apfelstrudel rutschen wir gemütlich in den Sabbat. Letzten Freitag fragt mich ein Freund: "Wie können die Österreicher nur so unappetitlich wählen, wenn sie so leckere Mehlspeisen machen?". Darauf wußte ich keine Antwort, aber es wurde mir klar, warum Haider und Juden nie zusammenpassen werden. Haider weiß auf alles eine Antwort. Im jüdischen Geistesleben war es aber immer wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen, als Antworten parat zu haben.

Die Autorin ist Auslandskorrespondentin für deutschsprachige Medien in Tel Aviv.

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