Der neue Netanjahu

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Trotz der jüngsten Entwicklungen besteht - noch - Anlaß zu vorsichtigem Optimismus für den Nahen Osten.

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Trotz der jüngsten Entwicklungen besteht - noch - Anlaß zu vorsichtigem Optimismus für den Nahen Osten.

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Der Benjamin Netanjahu, der aus den USA am 25. Oktober 1998 nach Israel zurückkam, ist ein völlig anderer, als der überhebliche israelische Ministerpräsident, der neun Tage zuvor das Heilige Land verlassen hatte, um an der Gipfelkonferenz in Wye Plantation in der Nähe von Washington teilzunehmen. Entgegen all seinen Prinzipien hängte er die ihm mit der Muttermilch eingeflößte Ideologie an den Nagel und unterzeichnete das Abkommen in Wye Plantation. Damit stimmte er - im Gegensatz zum Dogma seiner Likud-Partei von einem Groß-Israel - für ein geteiltes Israel und für das Prinzip "Land für Frieden".

Noch kurz vor der Unterzeichnung des Abkommens versuchte Netanjahu US-Präsident Bill Clinton zu erpressen und behauptete, daß Clinton ihm die Freilassung von Jonatan Pollard, dem amerikanischen Agenten, der für Israel spionierte, versprochen hatte, sollte er unterzeichnen. Sofort protestierten die US-Geheimdienste dagegen, und da Clinton fürchtete, daß ihm Nachgiebigkeit bei den (damals bevorstehenden) Wahlen zum Kongreß (3. November) schaden könnte, erklärte er Netanjahu: "Wenn Sie nicht unterzeichnen wollen, dann lassen Sie es bleiben." Netanjahu sah ein, daß er zu weit gegangen war. Hier war er noch der alte Bibi gewesen, der er nicht mehr sein wollte. Sein engster Vertrauter sagte zur Presse: "Pollard kommt mit uns, oder wir unterzeichnen nicht." Auch CNN brachte die Nachricht von der Freilassung Pollards "exklusiv". Es war nur eine seiner vielen Falschmeldungen ...

Warmer Empfang Netanjahu wurde jedenfalls ein anderer. Er brach mit der religiös-nationalen Partei, mit den 170.000 Neuansiedlern der besetzten Gebiete, mit der rechtsradikalen Zomet-Partei, mit vielen Ultrareligiösen und mit einem großen Teil seiner eigenen Likud-Partei. Sie alle hatten seinerzeit Netanjahu zu seinem Wahlsieg vor über zwei Jahren verholfen und sahen sich nun betrogen. Netanjahu hatte in Wye Plantation bis zur letzten Minute gekämpft, um doch noch Pollard als Trumpf für die Rechtsparteien mit nach Hause zu bringen - aber vergebens.

Es ist ein anderer Netanjahu, der nach Hause kommt: Bibi, der den Frieden bringt - allerdings, von einer Versöhnung ist noch nicht die Rede. Doch läßt nun Netanjahu nichts unversucht, um seine neue Friedenspolitik für alle bekömmlich zu machen.

Israels Rechtsaußen-Parteien wollten dem aus den USA heimkehrenden Premier einen "warmen" Empfang bereiten. Tonangebend waren hier die Neuansiedler, die aus allen Siedlungen der besetzten Gebiete strömten. Sie blockierten die Hauptverkehrsader von Tel Aviv nach Jerusalem, um Netanjahu kurz vor Jerusalem entgegenzuschreien: "Du hast uns betrogen, Du hast Israel verkauft, und wir werden Dich stürzen!" Und viele Jugendliche schrien: "Bibi, Du bist ein Verräter!" Vor drei Jahren schrien sie auf ihren Demonstrationen: "Rabin, Du bist ein Verräter!" ... Die Neuansiedler haben Angst um ihre schönen Häuser und Wohnungen in den besetzten Gebieten, die sie fast umsonst bekamen. Nun werden viele in Enklaven innerhalb palästinensischer Gebiete leben müssen, wenngleich auf israelischem Territorium. Es waren jedoch nur einige Tausend, die diese Rechtsradikalen mobilisieren konnten. Ihre Schreie verhallten ungehört, denn Netanjahu zog es vor, per Helikopter nach Jerusalem zu fliegen, und nichts von der Protestaktion mitzubekommen. Es war eine verlorene Schlacht, denn 75 Prozent der Israelis befürworten letzten Meinungsumfragen zufolge den Vertrag, den Netanjahu mit nach Hause gebracht hat. Die Front für ein Groß-Israel besteht aus 17 Knesset-Mitgliedern der Koalition. Ihr Vorsitzender, Michael Kleiner, ist zwar sehr lautstark, doch ohne jegliches Charisma, und das gleiche trifft mehr oder weniger auch auf alle anderen selbsterwählten Führer der Rechtsaußen-Gruppen zu. Außer mit ihren Stimmen die Regierung zu Fall zu bringen, haben sie nichts Positives zu bieten. Weder die religiös-nationale Partei mit ihren zehn Knesset-Mitgliedern, die zum größten Teil die Neuansiedler vertritt, noch alle anderen Gruppen können eine führende Persönlichkeit aufweisen, der man auch nur im entferntesten Glauben schenken kann.

Netanjahus langanhaltende Weigerung, den Friedensprozeß fortzusetzen, führte dazu, daß er sich mit den Palästinensern überwarf und - schlimmer noch - die freundschaftlichen Beziehungen zu den USA zerrüttete. Er verbündete sich mit Clintons politischen Gegnern. Er baute darauf, daß der in Sexskandale verwickelte Präsident keinen Druck auf den Judenstaat ausüben kann - bis er sich endlich zum "neuen Bibi" durchrang. Doch mit seinen Manövern hatte es Netanjahu "geschafft", die Palästinenser zu den neuen Verbündeten der Amerikaner zu machen, sodaß in Wye Plantation eine gemeinsame Front der Amerikaner und der Palästinenser den Israelis gegenüberstand. Während beim Osloabkommen die Palästinenser und Israelis alleine die Paragraphen umsetzen mußten, so ist nun ein dritter Faktor da, der amerikanische Geheimdienst, der die Durchführung des Abkommens in allen Details überwachen wird.

Keine Euphorie Eine euphorische Stimmung ist in Israel nicht zu verspüren. Man weiß genau, daß alle schweren Brocken - dritte Rückzugsphase, Verhandlungen über Jerusalem, Rücknahme oder Entschädigung von Flüchtlingen - noch herumliegen; auch hat Arafat nicht auf die Ausrufung eines Palästinenserstaates, geplant für den 5. Mai 1999, verzichtet. Die Palästinenser betrachten das Abkommen ebenfalls nüchtern. Allerdings, so denkt man, wenn die Neuansiedler dagegen demonstrieren, muß doch etwas Gutes daran sein ... Solange jedoch die Neuansiedlungen, die von israelischen Soldaten bewacht werden, sich noch in den Autonomiegebieten befinden, die Neuansiedler immer noch neue Häuser bauen und die Neuansiedlungen erweitern, solange israelische Soldaten an den Militärsperren schikanieren, solange gibt es noch keine Freiheit.

Netanjahu erwarten große politische Schwierigkeiten. Auch wenn die rechten Parteien Netanjahu nicht stürzen, aus Angst, daß dann die Arbeiterpartei ans Ruder kommt, so hat er doch keine Parlamentsmehrheit und ist beim Friedensprozeß von der Arbeiterpartei abhängig. Diese unterstützt zwar Netanjahus neue Friedenspolitik, doch wird sie kaum seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Politik mittragen. So dürfte das Wye-Plantation-Abkommen zu vorgezogenen Wahlen - wahrscheinlich im März kommenden Jahres - führen. Netanjahu wird im Wahlkampf versuchen, als der große Friedensapostel aufzutreten. Wenn das Abkommen bis dahin hält, wird es für Arbeiterparteiführer Ehud Barak nicht leicht sein, den Urnengang für sich zu entscheiden.

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